Das muss man gehört haben - oder auch nicht!
Brian Wilsons Pop-Genius wird in "No Pier Pressure" duftig-plüschig verhunzt. Poppig ist auch "Culture of Volume" von East India Youth, während Drenge auf "Undertow" ihrem unbeugsamen Alternative Rock treu bleiben und der E-Gitarre huldigen - was heute kaum noch jemand tut.
East India Youth "Culture of Volume"
Jaja, das schwierige zweite Album. Diesem Fluch kann man eigentlich nur entgehen, wenn man alles ein bisschen anders macht. William Doyle und seine Band East India Youth gehörten nach ihrem Debüt im letzten Jahr zu den großen Hoffnungen in England. Kein Wunder, Techno, Pop und Dance gingen auf dieser Platte eine geradezu magische Verbindung ein. So und auf dieser neuen CD "Culture of volume" reichte dieses Konzept nicht mehr aus. William Doyle schlägt ein Kissen auf für den Elektro-Pop.
Das was ich auf dem Debüt von East India Youth geliebt habe, die dystopischen, zerstreuten elektronischen Tanz-Klänge – das fehlt mir auf der neuen Platte ein wenig. Man bekommt dafür jetzt strukturierter Sounds, eben richtige Songs. Dennoch: Die Band genehmigt sich glücklicherweise noch genügend Dance- und Techno-Teppiche. Und deshalb sind die Songs auf "Culture of volume" kein gebräuchlicher lieblicher Elektropop, weil ihre Wurzeln im Club liegen. Sagen wir es so: Die Erforschung des Popsongs, mit den Mitteln des Techno.
Drenge "Undertow"
Allenthalben wird ja dieser Tage das Ende der elektronischen Gitarre ausgerufen. Und wenn man sich umschaut, von Nikki Minaj bis FKA Twigs und James Blake, die E-Gitarre hat nicht mehr viel zu melden und verkriecht sich in die Indie-Nische. Ein paar Unbeugsame machen dort aber munter weiter, als hätte es die letzten 40 Jahre nicht gegeben. Ich darf vorstellen: Drenge aus Sheffield. Ihr Album "Undertow".
Benannt haben sich Drenge nach dem dänischen Wort für Jungs. Mit großer Gitarrenwand kommen diese beiden Jungs schnörkellos gleich zur Sache. Ein zündelnder Hybrid aus Bluesrock, Metal und Gothic. Wenig Melodien, viel Wut – so wie es sein muss. Klingt natürlich um so interessanter, weil sich heute kaum eine englische Band mehr traut, so traditionell zu spielen. Für diesen Mut und ihre Aggression bewundere ich die Band. Und mehr braucht man zu Drenge eigentlich auch nicht sagen. Man kann sie hören, als heiße Erinnerung an die große Kraft der elektronischen Gitarre. Long live Rock!
Brian Wilson "No Pier Pressure"
Ja, Sie haben richtig gehört. Der Brian Wilson. Und zwar der echte. Mit neuen Songs. Seit zehn Jahren erlebt der Ex-Beach Boy einen kleinen späten Frühling und ringt sich im Alter von 72 Jahren noch mal ein Album ab. Und da tropft es ganz schön. Honig-klebriger Disney-Pop.
Ich habe Bauchschmerzen bei der ganzen Sache. Wilsons genialer Vokal-Stil wird hier in duftig-plüschigen Soft-Pop überführt. Ein wirklich merkwürdiges Hörerlebnis. Die sehnsüchtigen Melodien, denen man bei den Beach Boys ja tränenüberflutet hinterher lauschte, die schweben hier zwar als Geist durch alle Songs. Aber diese furchtbaren Arrangements und diese seifigen Produktion machen alles kaputt. Und da können die prominenten Gastsänger und die erstklassig besetzte Studioband leider auch nichts mehr retten.
Will sagen: Wilson Pop-Genius ist immer noch zu erkennen, aber er hat die falsche Verpackung bekommen. Wer auch immer der Bestimmer war auf dieser Platte "No pier pressure" – hätte er doch nur den ganzen Kitsch-Kram weggelassen! Ein Brian Wilson Vokal-Album – das wär’s gewesen. Schlimm und schade.