Das muss man gehört haben! - Oder auch nicht.
Chloé Charles macht schönen Soul. Schnipo Schranke spottet mit schrägen Texten über die Probleme der Wohlstandsbürger. Und der frühere Bürgerschreck John Lydon etabliert sich als Kommentator gesellschaftlicher Zustände - die Kolumne zu den Neuveröffentlichungen.
Musik: "Take me naked"
Eine Stimme zum Niederknien - Songs, die obwohl gar nicht allzu weit weg vom Pop-Mainstream, wohltuend eigenwillige Charaktere aufweisen. Die Singer-Songwriterin Chloé Charles aus dem kanadischen Toronto schließt mit ihrem Zweitwerk "With Blindfolds on" absolut an das hohe Niveau ihres vor zwei Jahren gefeierten Debüts "Break the Balance" an. Die 30-Jährige baut sich mit von ihr selbst gezupfter Akustik-Gitarre, Piano, Streichern und elektronischen Bässen vielschichtige und höchst dramatische Kulissen für ihren unter die Haut gehenden Gesang über alle Facetten der Liebe.
Musik: "Hold me"
Chloé Charles Album "With Blindfolds on" zeigt eine Frau mit Eigensinn und klarer persönlicher musikalischer Vision. Sie verdient es absolut, dass sie jetzt schon in einem Atemzug genannt wird mit so herausragenden Künstlerinnen wie Björk.
Musik: "Pisse"
Mindestens so eigenwillig wie Chloé Charles, aber sehr viel radikaler im Anderssein, das sind Schnipo Schranke, eine Zwei-Frauen-Band aus Hamburg. Sie singen genauso niedlich wie anstößig unter anderem von der Liebe. Jawohl die Liebe, allerdings in gerade für Frauen ungewohnt ungeschönten Bildern.
Musikalisch erlebt man bei Schnipo Schranke die Respektlosigkeit der Neuen Deutsche Welle gepaart mit dem Low Figh des Punk und der Naiven Anmutung von Kinderliedern. Alles wohl kalkuliert. Die zwei Musikerinnen spotten sich auf ihrem Debütalbum "Satt" durch zwölf Songs über banale Probleme von saturierten Wohlstandsbürgern, über Geschlechterklischees und PopglitzerweltBlödsinn. Ich finde das genauso erfrischend wie angenehm hintersinnig-verdreht, vor allem wie sie gegen konventionelle Frauenbilder ansingen. Ginge es nach mir und wäre die Popwelt gerecht würden Schnipo Schranke the next big Thing.
Musik: "Spice of Coice"
Johnny Rotten ist Geschichte – John Lydon ist jetzt auch schon wieder eine Ewigkeit der Kopf von Public Image Limited und trotzdem eine Art Elderstatesmen des Punk. Gerade erst mit einer sehr zornigen Autobiografie in den Medien gibt es jetzt das neue Album "What the world needs now" und das beginnt schön rotzig mit einem Monolog über kaputte Toiletten. Da fühlt man sich sogar an Sex Pistol Zeiten erinnert. Aber das ist nur der erste Eindruck. PiL liefern ansonsten ihr hörbarstes Album überhaupt ab mit 70er-Boogie-Rock, einem Reggae-Flirt und einigen regelrecht hymnisch-melodiöse Songs wie den gerade gehörten. Lydon wäre nicht er selbst, wenn er solche Songs nicht mit seinem verrückten Gesang gegen den Strich bürsten würde.
Musik: "The One"
"What the world needs now" ist ein zwischen rüde und extrem eingängig pendelndem Mix aus PostPunk und Poprock zu konsum- und sozialkritischen Texten. Lydon hat sich außerdem einen schönen Kniff überlegt seinen Furor auch den Clubgängern nahe zu bringen und spielt gekonnt mit Techno und sogar Drone-Elementen.