Neue Platten

Herzerwärmender Folk aus Berlin

Die Berliner Musikerin Alice Phoebe Lou zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Die Berliner Musikerin Alice Phoebe Lou zu Gast bei Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio Kultur / Sven Crefeld
Von Carsten Rochow |
Die Angebote von großen Plattenlabes hat die Singer-Songwriterin Alice Phoebe Lou abgelehnt. Die junge Südafrikanerin wollte lieber Straßenmusikerin in Berlin bleiben. Jetzt hat sie ihr erstes Album produziert. "Orbit" ist eine der Platten in unserer Kritik.

Drangsal: "Harieschaim"

Das ist "Schwarzleder-Pop in der Geschmacksrichtung Rotze mit Lakritz." Etwas neidisch gebe ich zu, dass das nicht von mir ist, sondern aus der "Spex", dem Magazin für Popkultur. Es geht um Drangsal und das Album "Harieschaim", das fast mehr nach 80ern klingt, als die 80er selbst geklungen haben.
Auch wenn die Musik ganz stark daran erinnert, The Cure habe Max Gruber, der 22-jährige Pfälzer hinter Drangsal, nie gehört, Ian Curtis von Joy Division finde er unerträglich. Trotzdem sind peitschende Drums, knochige Basslinien, klirrende Gitarren, vertraute synthetische Klänge und in Hall getauchte Gesangsmelodien der Treibstoff der Platte. Songtitel wie "Ingrimm" oder "Hinterkaifeck" – 1922 Tatort eines brutalen Mehrfachmordes in Oberbayern – gewähren Einblicke in die dunkle Gedankenwelt des jungen Außenseiters aus der Provinz.
Aber wie frisch das alles vorgetragen wird, ist absolut mitreißend. Wer sagt denn, dass man eine musikalische Epoche erleben muss, um sie nacherzählen zu können? Drangsal jedenfalls hat die 80er mit "Harieschaim" hingebungsvoll restauriert und dunkelbunt angestrichen.

Alice Phoebe Lou: "Orbit"

Mauerpark, Hackescher Markt und U-Bahn-Stationen – das sind die bevorzugten Orte, an denen sich Straßenmusiker in Berlin ihr Publikum erkämpfen. Vor allem am U-Bahnhof Warschauer Straße auf der Brücke gibt's von Rappern bis Rockern alles zu erleben. Bei Alice Phoebe Lou bleiben die Leute/die Passanten stehen. Die Musikerin, die zum ersten Mal mit 16 ihre südafrikanische Heimat gen Europa verlassen hat, spielt einfühlsame Lieder mit elektrisch verstärkter Konzertgitarre und singt mit herzerwärmender Stimme.
Angebote von Majorlabels hat Alice Phoebe Lou abgelehnt. Sie macht lieber alles selber. Künstlerische Unabhängigkeit – wohl nur so konnte dieses sanfte, bedächtige, unaufdringlich schöne Album entstehen. Ginge es nach der Musikerin, blieben kleine Clubs und ungewöhnliche Auftrittsorte ihr Zuhause. Demnächst wird sie aber wohl oder übel umziehen müssen – auf größere Bühnen. Das Album "Orbit" öffnet ihr neue Türen.

Ebbot Lundberg & The Indigo Children: "For The Ages To Come"

Das ist er wieder! Ebbot Lundberg, mit seinem schulterlangen Haar und grau meliertem Vollbart – der sympathisch korpulente Daddy der schwedischen Rockmusik. Siebzehn Jahre lang war der Musiker und Sänger Frontmann der Band The Soundtrack Of Our Lives, die immer einen Hang fürs Mystische und Psychedelische hatte. Mit seiner gestenreichen Performance, zum Beispiel den weit geöffneten Armen, hat Lundberg etwas von einem Wald- und Wiesenprediger, aber einem, dem man gern zuhört, einer, der eine echte Botschaft hat.

Während der singende Prediger weiser und gereifter klingt –inzwischen immerhin 50 – besteht seine neue Band aus einem Haufen junger Typen. Und das passt, denn wie könnte der psychedelische Blumenkranz-Rock der 60er und 70er besser aufgefrischt werden als von wissensdurstigen und talentierten Musikern, die von einem der Besten lernen: Ebbot Lundberg. Zwar gibt es nicht mehr so viel verzerrte Gitarren wie bei seiner alten, 2012 aufgelösten Band, aber herrlich verspielte Arrangements mit Bläsern und Chören. Diese Hippie-Hymnen erhalten Ebbot Lundbergs Lebenswerk für die nächste Generation – eben wie schon der Titel der Platte sagt: "For The Ages To Come".
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