Das Spiel mit politischen Avancen
Politische Gruppen nutzen Sportvereine häufig für ihre Zwecke. Besonders Fußball ist dafür anfällig. Beim SG Dynamo Schwerin wird darauf geachtet, wie sich Verantwortliche verhalten - eine Gratwanderung zwischen Gesinnungspolizei und Gesicht zeigen.
Vorigen Sonntag im Sportpark Lankow. Die SG Dynamo Schwerin ist zu Gast bei der zweiten Mannschaft des Fußballclubs Mecklenburg Schwerin, ein Punktspiel der "Landesliga West Mecklenburg-Vorpommern".
Dynamo-Fan: "Jeder, der Fußball guckt und kennt, weiß, was ein Derby ist. Ist immer was anderes! Es gibt immer eine Mannschaft, die will DIE Mannschaft sein in der jeweiligen Stadt. Und im Derby kannste das zeigen."
Anderer Zuschauer: "Da gibt der Gelb gleich, oder was? Du Penner!"
Zwar muss sich der Schiedsrichter von zusehends betrunkenen Dynamo-Fans nicht nur einmal als "Penner" und "Flasche" bezeichnen lassen. Doch weil die Gäste auf dem Platz ihren Vorsprung über die zweite Halbzeit retten, bleibt die Stimmung einigermaßen.
Sammelbecken für Rechtsextreme
Zu den rund 100 Dynamo-Anhängern, die zu diesem Spiel gekommen sind, gehören einige Kinder und Frauen. Zumeist sind es jedoch korpulent gebaute Männer im Alter zwischen 20 und 45 Jahren. Sie tragen komplett schwarze Kleidung oder die typisch weinrote Dynamo-Trainingsjacke. Auf dem Rücken in Frakturschrift: "Schweriner Jungs". An vielen Füßen: Turnschuhe der Marke "New Balance", die in der rechtsextremen Szene beliebt ist. Hier und da großflächig auf dem Rücken auch das Eiserne Kreuz, darunter der Spruch "Sport frei!".
Daniel Trepsdorf weiß, dass die SG Dynamo Schwerin seit Jahren das Image hat, auch ein Sammelbecken für Rechtsextreme zu sein. Was er an diesem Tag im Sportpark Lankow sieht, entziffert er durchaus als einschlägige Codes. Wobei:
"Es ist ja so, dass das gern auch als eine Art Versteckspiel betrieben wird. Dass Kennzeichen nicht nur 'ne Fankultur darlegen, sondern auch 'ne politische Zugehörigkeit. Beim Spruch ‚Sport frei!‘ kann man es eben nicht eindeutig zuordnen, weil er auch in der DDR weit verbreitet gewesen ist. Im Westen weniger. Also insofern ist es immer auch ein Spiel mit den politischen Avancen, die man mit dem Kleidungsstil vertritt."
Sport instrumentalisieren
Daniel Trepsdorf leitet das Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg. Das versteht sich vor allem als Anlaufstelle für den Kampf gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit - Phänomene, mit denen auch der Breiten- und Vereinssport zu tun habe.
"Eltern, die sich beispielsweise an uns wenden, die sagen dann auch mal: ‚Da ist doch jemand, der ist relativ engagiert im Sportverein. Das braucht man ja auch: Ehrenamtliche, die engagiert sind.‘ Bloß, wenn man dann im Auto sitzt und zum nächsten Training gefahren wird und sich Kinder an ihre Eltern wenden, die dann mal mitgeschnitten hat: Was ist das denn für eine komische Rockmusik, die der scheinbar so engagierte Vater gehört hat?
Und es kommt dabei heraus, dass es sich beispielsweise um Screwdriver handelt, also eine sehr gewaltbetonende ausländerfeindliche, fremdenfeindliche Nazi-Gruppe, dann muss auch mit Trainerinnen und Trainern gesprochen werden. Dann muss, was jetzt immer mehr Sportvereine tun, in Satzungsänderungen das demokratische, integrative Moment betont werden, damit destruktive Elemente, Akteure der extremen Rechten nicht den Sport für ihre Zwecke instrumentalisieren können."
Fußball ist besonders anfällig
Die Regionalzentren für demokratische Kultur sind in Mecklenburg-Vorpommern bestens mit Verwaltungen und Institutionen vernetzt. So nimmt auch der Landessportbund die Beratungsdienstleistungen in Anspruch und bucht Vorträge zum Umgang mit extremistischen Tendenzen im Breitensport ebenso ein wie Hilfe bei der Ausbildung von Schiedsrichtern und Übungsleitern zu Konfliktmanagern. Torsten Haverland, LSB-Geschäftsführer seit 2003, erklärt den Grund:
"Es ist so, dass wir in der ersten Zeit, wo ich meine Aufgabe übernommen habe, mit Problemen konfrontiert wurden, wo es um Hooligans ging oder um Ausschreitungen am Rande von Spielen im Unterligen-Bereich. Und es eben auch festgestellt wurde, dass man versucht hat, einige Vereine - naja, ich will nicht sagen zu infiltrieren - aber Personen mit rechtsextremistischem Hintergrund versucht haben, dort Fuß zu fassen."
Besonders anfällig dafür sei die Sportart Fußball, weil es auch in Mecklenburg-Vorpommern in nahezu jeder Stadt, in jedem Dorf gespielt werde, sagt Torsten Haverland. Doch im Landessportbund MV sind 47 Sportarten vertreten, organisiert in 1900 Vereine mit rund 255.000 Mitgliedern.
Bekenntnis zum Grundgesetz
Für sie alle gelte das Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz sowie zu fairem und friedlichem Sporttreiben unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion. So steht es in der Satzung des Landessportbundes, die in diesem Punkt vor einem Jahr neu gefasst wurde. Das sei mit Blick auf die Folgen der Flüchtlings- und Migrationskrise von 2015/16 nötig geworden.
"Die gesamtgesellschaftliche oder gesamtpolitische Situation ist ja schon so, dass man gemerkt hat, da ist eine Polarisierung da. Die wird sicherlich auch in den Vereinen diskutiert. Da können wir uns auch nicht von freimachen."
Und so gehe es dem Landessportbund sowie den Kreis- und Fachverbänden in MV darum, die Sinne dafür zu schärfen, ob sich in bestimmten Sektionen oder Abteilungen radikal ausgerichtete Strukturen bilden oder ob einzelne Personen extremistisch unterwegs seien.
"Aber auch die Vereine insgesamt zu sensibilisieren, dass man nicht auf dem rechten, aber auch nicht auf dem linken oder auf dem religiösen Auge blind ist."
Mehr Linksradikale als Salafisten
Von radikalislamischen Salafisten in Sportvereinen ist nichts bekannt, was daran liegen könnte, dass diese Szene in Mecklenburg-Vorpommern laut Landesverfassungsschutz ausgesprochen klein ist. Eher schon tummeln sich Linksradikale in der Sport- beziehungsweise Fan-Szene.
Gerade lobten sogenannte Linksautonome auf der einschlägigen Internetplattform Indymedia in höchsten Tönen, was sich während eines Drittliga-Heimspieles des FC Hansa Rostock gegen Köln in der Ultra-Kurve abspielte. Auf einem riesigen Banner wurde bei voller Namensnennung ein kürzlich tödlich verunglückter Polizist verhöhnt, der in der "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" im Umfeld von Hansa tätig war.
Die Autoren empfanden nach eigenen Worten "mehr als nur klammheimliche Freude, als uns seine Todesnachricht erreichte! Bamberg kann jetzt keinen Schaden mehr anrichten, das finden wir gut."
Klubchef Robert Marien, der ohnehin pausenlos mit Nachrichten über die aggressive Hooligan-Szene von Hansa Rostock zu tun hat, reagierte entsetzt.
"Komplette Anstandslosigkeit, Pietätlosigkeit. Da muss man auch mal deutlich sagen: Da nutzen anscheinend einige ihren Verstand nur in Teilzeit. Also anders kann ich mir das nicht vorstellen. Das muss das Thema auf der Mitgliederversammlung sein. Es kann nicht sein, dass ein Einzelner, also der Vorstandsvorsitzende, sagt, das ist anstandslos. Sondern das muss von allen kommen, dass da jedes Mitglied natürlich auch ganz klar sagt, was es von solchen Aktionen hält."
Vertraulichkeit für besorgte Eltern
Bei derart eindeutigen menschenverachtenden Verhaltensweisen müsste es einfach sein, sich in der Mitgliederversammlung des Vereins zu äußern. Doch erstens passiert das bei weitem nicht immer. Und zweitens beginnen die Probleme vor allem dann, wenn es persönlich wird, wie in diesem Fall, sagt Eckardt Schimansky von der "Mobilen Beratungsstelle im Sport" beim Landessportbund.
"Da ist eine ganze Sportart in einen Verein eingetreten, ist aufgenommen worden in einen Großsportverein. Und nach einer gewissen Zeit wurde erkennbar, wofür diese Abteilung steht. Wo sie auftritt, bei was für Veranstaltungen. Da ging es Richtung Kampfsport."
Es ist schwer zu schätzen, wie stark die Unterwanderung durch Radikale, speziell Rechtsextreme in Mecklenburg–Vorpommern wirklich ist, schwer zu prüfen, wie oft die Mobile Beratungsstelle in Zusammenarbeit mit den Regionalzentren für demokratische Kultur in Anspruch genommen wird. Denn ob Sportwart oder Jugendwart, ob besorgtes Elternteil oder Trainer - die Berater sichern jedem, der sich an die wendet, absolute Vertraulichkeit zu.
Verantwortung liegt bei den Vereinen
Damit betroffene Vereine nicht womöglich öffentlich in Verruf geraten, werde kein Dritter - erst recht kein Journalist - mit konkreten Namen und Jahreszahlen beliefert, erklärt Eckardt Schimansky. Nur so viel: Wenn ein Verdacht im Raum stehe, seien vor allem kleinere Vereine sehr zurückhaltend. Nicht nur aus rechtlichen Gründen wolle niemand die Grenze zur Gesinnungsschnüffelei und Rufschädigung überschreiten.
"Also so pauschal zu sagen. ‚Den schmeißen wir jetzt raus und dann hat sich das geregelt!‘ - so einfach ist es ja tatsächlich nicht. Gerade im ländlichen Raum, in der Dorfgemeinschaft - da freut man sich im Prinzip über jeden, der sich engagiert. Der Verantwortung übernimmt.
Aber gerade, wenn es um Übungsleiter geht, die Verantwortung tragen gegenüber Jugendlichen und entsprechende Arbeit machen, auf der anderen Seite ein anderes Gesicht zeigen und dann genau gegen diese Werte, für die ein Verein steht und der Sport insgesamt steht - da liegt es letztlich in der Verantwortung der Vereine selbst, wie wollen sie mit dem Problem dann umgehen."
Grenze zwischen Gesinnungspolizei und Gesicht zeigen
Auch Daniel Trepsdorf vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg weiß um diese Gratwanderung. Er betont am Rande des Landesliga-Spiels, dass er keinesfalls den gesamten Verein der SG Dynamo Schwerin mit Rechtsradikalismus in Verbindung bringen wolle, nur weil Einzelne entsprechend aufgefallen seien und weil die Bekleidungs-Codes im Fan-Block darauf hindeuten. Wo die Grenze zwischen Gesinnungspolizei und Gesicht zeigen für ihn liegt?
"Das sage ich Ihnen ganz offen: Das fällt unter Meinungsfreiheit. Also wenn jemand sich im Keller 'ne Reichskriegsflagge aufhängt oder das Hakenkreuz als Teppich vor die Dusche legt - wenn das im privaten Raum getätigt wird, ist das okay. So traurig das ist und so bitter das natürlich auch ist, weil die Person scheinbar nicht den demokratischen Konsens teilt.
Aber einen Unterschied macht es natürlich, wenn in der Öffentlichkeit zu Gewalt aufgerufen wird, wenn rassistische Parolen geschrien werden. Wenn versucht wird, Jugendliche und vielleicht sogar Kinder zu indoktrinieren - dann muss natürlich aber auch Demokraten entgegenstehen und klipp und klar sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter!‘"