Kampf um kulturelle Hegemonie
"Ich bin a Dorfkind und darauf bin I stolz, denn wir Dorfkinder sind aus gutem Holz": Die Band Dorfrocker aus Franken sei ein Beispiel für Popmusik, die bestimmte Muster der Neuen Rechten und der AfD transportiere, sagt der Musikwissenschaftler Mario Dunkel. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Wie die Neue Rechte sich der Popkultur bedient
53:21 Minuten
Seit 1990 sind rechtsextreme Milieus in Deutschland stark gewachsen, die sich auch im „vorpolitischen Raum“ etablieren - mittels Musik, Kleidung und anderer alltagskultureller Inhalte. Welche Bedeutung hat die Popkultur für die Neue Rechte?
Nicht allein politische Erwägungen, sondern auch kulturelle Denkkategorien leiten die Strategie der Neuen Rechten in Deutschland. Nämlich die Vorstellung, dass manche Menschen in diesem Land der richtigen Kultur angehören und andere nicht. Rechte Politik, rechte Ideologie soll nicht nur in den Parlamenten stattfinden, sondern auch im Alltag und in der Kultur. Die Neue Rechte ist besonders gut darin, Popkultur umzudeuten und zu vereinnahmen. Dabei könnte man meinen, Popkultur sei viel zu international, um sie für ein nationalistisches, rückwärtsgewandtes Identitätsbild zu verwenden. Man könnte auch meinen, Popkultur stehe für Fortschritt und globale Gemeinschaft. Warum aber eignet sich Popkultur so gut für die Ziele der Neuen Rechten?
Inhalt
Was bedeutet „Metapolitik“ als Konzept der Neuen Rechten?
Die Neue Rechte hat eine langfristige Strategie, wie sie ihre Ideologie, ihre Welt- und Feindbilder auch in Deutschland mehrheitsfähig machen will. Kunst und Kultur, Lifestyle und popkulturelle Phänomene spielen dabei eine große Rolle. Ein zentraler Begriff in diesem Konzept der Neuen Rechten ist „Metapolitik“. Das Wort beschreibt eine gesellschaftliche Einflussnahme, die sich nicht an Wahlen und der Beteiligung an Regierungen orientiert. Metapolitik könne man übersetzen mit „vorpolitischer Raum“, sagt der Tübinger Soziologe Felix Schilk. Der Erfolg rechtsextremer Parteien wie der AfD müsse, so die neurechte Idee, von einer „Hegemonie im kulturellen Bereich“ begleitet werden.
Metapolitik-Strategie von Martin Sellner
Um politisch durchsetzungsfähig zu werden, brauche man demnach eine Mehrheit der Bevölkerung, welche „die Ideen teilt und die Motive, mit denen man Politik macht, verinnerlicht hat“, sagt Schilk. Es geht der Neuen Rechten darum, „Bilder und Begriffe zu injizieren“, schreibt der einflussreiche Autor Martin Sellner, ein führender Kopf der europäischen Rechten.
Das aktuellste Beispiel für diese Strategie ist das Wort „Remigration“, das aus der Exilforschung stammt, seit einigen Jahren jedoch von der Neuen Rechten als Euphemismus für Abschiebungen und Deportationen verwendet wird. Felix Schilk erklärt: „Es geht darum, diesen Begriff in den Köpfen der Gesellschaft oder der Bevölkerung zu verankern als etwas, das möglich oder sogar gewünscht ist.“
Was ist mit „kultureller Hegemonie“ gemeint?
Kulturelle Hegemonie ist das Ziel von rechter Metapolitik, sagt Soziologe Schilk. Sie sei dann erfolgreich, wenn sich zum Beispiel die Zeitungen „nur noch mit rechten Begriffen beschäftigen“ und Begriffe wie Remigration nicht mehr anstößig seien, sondern in den normalen Sprachgebrauch eingehen würden. Diese Konzepte zu normalisieren und für eine Zustimmung der Bevölkerung zu sorgen, sei für die Neuen Rechten wichtig. Da komme auch „Kultur“ ins Spiel und was im Kern einer rechten Weltanschauung stehe: „Dass Menschen nicht gleich sind oder dass Hierarchien erhalten werden. Und es gibt die Grundidee, dass der Mensch die Welt nicht vollends gestalten kann, sondern dass er sich Dingen wie Kultur, Gott, Volk oder Nation unterwerfen muss.“ Die Neue Rechte sei auf der Suche nach solchen schicksalhaften Entitäten: Heimat, Familie, Geschlechterverhältnis.
Diese kulturellen Angriffspunkte könnten auch banale Dinge sein, konstatiert Felix Schilk, der an der Universität Tübingen zu Formationen und Verschwörungstheorien der Neuen Rechten forscht. Zum Beispiel werde die „Schrauberkultur“ in Ostdeutschland - Jugendliche, die an DDR-Mopeds schrauben - von der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative als ländliche Gegenkultur zum grünen Lifestyle in den Städten beschrieben. „Im Grunde können so alle möglichen Lebensweisen von der Neuen Rechten besetzt, aufgewertet und instrumentalisiert werden“, sagt Schilk.
Es gebe Popkultur, die sicherlich nicht rechts sei, aber bestimmte Themen transportiere, die man von rechts nutzen könne: Geschlechtervorstellungen, Familienvorstellungen, Heimatidylle, Weltschmerz. Daneben gebe es natürlich auch Popkultur, die explizit rechts ist, Rechtsrockbands zum Beispiel: „Die Art der Musik hat sich heute sicherlich verändert, aber es gehe immer noch um Klamotten, Festivals und einen Alltag, den man so politisieren kann.“
Welche Bedeutung hat Kleidung für die Identität von Rechten?
Die Bomberjacken und Lonsdale-Shirts von Skinheads sind längst passé, aber Mode spiele auch für die Kultur der Neuen Rechten eine zentrale Rolle, sagt Elke Gaugele, Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, die zum Schwerpunkt Moden und Styles forscht. Sie habe sich immer gefragt, warum ausgerechnet Deutschland das Land mit den meisten rechten und rechtsextremen Modelabels ist. Ihre Antwort: „1989 stand in Deutschland das Thema "Nation" zur Verhandlung. Damals haben es Neonazis und Rechtsextreme extrem gut verstanden, mit Mode Gemeinschaften zu schaffen und ihre Vorstellung von ,Volk‘ zu nähren.“
Mode habe die Kraft, Identitäten zu formieren, Gefühle zu binden, Gruppen herzustellen, sagt Gaugele. Mittlerweile gebe es ein ganzes Spektrum rechter Modestile von Outdoor über Hipster bis hin zum AfD-Look mit Anzug und Perlenkette. Dazu zähle auch Alexander Gaulands Dackelkrawatte: „In der rechten Mode wird sie als Icon für die Rede ,Wir werden sie jagen‘ genutzt. Dieses Jagen im Sinne von Hass verbreiten, von Menschen in die Flucht schlagen, wurde als Motiv begeistert aufgegriffen.“
Hat die AfD einen Soundtrack?
Interessant sei, dass die AfD Bedrohungsszenarien über Musik zu schaffen versuche, sagt der Oldenburger Musikwissenschaftler Mario Dunkel, der am Forschungsprojekt „Popular Music and the Rise of Populism in Europe“ beteiligt ist. Die AfD wolle einen „Krisendiskurs“ erzeugen: Die Idee, dass wir permanent durch Krisen gingen, dass es Kontrollverlust gebe und die AfD diese Kontrolle wiederherstellen könne. „Man findet in Werbevideos der AfD zum Beispiel relativ chaotische Musik, die an düstere Filmmusik erinnert“, berichtet Mario Dunkel, „oder Muezzin-Gesang auf Demonstrationen, was man nicht unbedingt erwarten würde“, was das "Bedrohungsszenario verklanglichen" solle. Außerdem gebe es eine Aneignung von Singer-Songwritern wie Reinhard Mey.
Welche Rolle spielt Popmusik für die Neue Rechte?
Politische Parteien können mithilfe populärer Bands und Songs größere und diversere Wählergruppen erreichen. Ein Beispiel ist die Band Dorfrocker, eine Schlagerband, die 2017 für den Musikpreis Echo nominiert wurde. In ihren Liedtexten seien Muster zu erkennen, die auch in der Rhetorik der AfD vorkommen, sagt Musikwissenschaftler Dunkel, vor allem ein Stadt-Land-Kontrast, die „Polarisierung zwischen den guten einfachen Menschen auf dem Land und den Eliten in der Stadt“.
"Dorfrocker" - Musik über Veganer und Männlichkeit
Die "Dorfrocker" spielten Stücke, die sich über Veganer oder über Klimaaktivisten lustig machen. „Es geht viel um Gender, klare Geschlechterrollen, um Männlichkeit und um Weiß-Sein.“ Solche Themen seien natürlich wichtig, um Themen und Positionen zu normalisieren und kulturelle Hegemonie zu erlangen, sagt Dunkel.
Kann Popkultur sich vor Vereinnahmung schützen?
Pop als flüchtige Kunst sei offen für Vereinnahmung, weil Pop uneindeutig sei, sagt der Journalist und DJ Klaus Walter. Pop bestehe aus Bildern, Gesten, einzelnen Sätzen, und ein Popkonzert sei nun einmal keine Diskussionsveranstaltung: „Es geht vor allem um Emotionen, und das hat die Rechte historisch gesehen schon immer besser verstanden.“ Der Vereinnahmung zuträglich sei die Art und Weise, wie ein Popsong daherkommt, wenn er einen eingängigen Refrain hat: „Wenn er eine mitgröl-taugliche Melodie hat, ist er natürlich kooptierbar“.
Sich vor Vereinnahmung zu schützen, sei sehr schwer, weil es dann oft auch auf Kosten der Breitenwirkung gehe: „Je komplexer die Ästhetik wird, desto geringer die Reichweite“, meint Walter. Als Beispiel nennt er die eingängigen Refrains der Toten Hosen, die auch biedere CDU-Männer am Wahlabend beziehungsweise „An Tagen wie diesen“ singen. Das sei der Preis der Popularität, sagt Klaus Walter: „Popularität ist nicht umsonst der kleine Bruder von Populismus. Und da muss man sich entscheiden.“
Lars Hendrik Beger, scr