Daniel Loick ist Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Uni Amsterdam. Zurzeit hält er sich für einen Forschungsaufenthalt in New York auf.
Neue Rechte in den USA
Am 6. Januar 2021 erstürmten Trump-Anhänger das Kapitol in Washington: Symptom einer Gesellschaft, die in Teilen faschistische Züge trägt, meint Daniel Loick. © Getty Images / Robert Nickelsberg
Auf dem Weg zum Faschismus?
04:34 Minuten
Hierarchisches Weltbild, sexuelle Paranoia, rassistische Hetze: Die Neue Rechte in den USA lebt auch nach der Abwahl Donald Trumps weiter. Und ihre Agenda trägt Züge des Faschismus, meint der Philosoph und Sozialwissenschaftler Daniel Loick.
Zeugenaussage um Zeugenaussage – jede Woche bringt der vom US-amerikanischen Repräsentantenhaus eingesetzten Ausschuss zur Untersuchung des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar neue Details ans Licht. Mittlerweile kann als bewiesen angesehen werden, dass der ehemalige Präsident Trump mithilfe rechtsextremer Gruppierungen und einiger Medien den Versuch eines Staatsstreiches unternommen hat.
Die parlamentarische Aufarbeitung dieser Ereignisse ist wichtig, vor allem, weil sie Informationen über die Verstrickung der Republikaner mit einem Netzwerk anderer rechter Akteure öffentlich macht. Sie sollte allerdings nicht den Eindruck erwecken, es habe sich bei dem Angriff um eine Ausnahmesituation gehandelt, die nun mit den Mitteln des Rechtsstaats effektiv beendet wurde.
Denn unter der Hand haben sich im mächtigsten Land der Welt längst dramatische Tendenzen verfestigt und beschleunigt. Der 6. Januar war keine Ausnahme, sondern Symptom.
Eine faschistische Agenda
Der Philosoph Jason Stanley spricht daher, ebenso wie viele andere, von einer Entwicklung der USA zum Faschismus. Dieser Begriff erscheint zunächst übertrieben. Schließlich spielten die USA historisch eine wichtige Rolle gerade bei der Befreiung Deutschlands und der Welt vom Faschismus. Auch marschieren in den Straßen von Washington keine Braunhemden, es gibt freie Wahlen und eine plurale Presse.
Dennoch ist es für Stanley wichtig, die aktuellen Tendenzen spezifisch als Faschismus zu bezeichnen. Er identifiziert zentrale Merkmale historischer faschistischer Bewegungen.
Dazu zählen etwa die Berufung auf eine mythische glorreiche Vergangenheit, ein hierarchisches Weltbild, das auf die Dominanz einer als überlegen konstruierten Gruppe abzielt, die Forderung nach Kriminalisierung von Abweichung, eine sexuelle Paranoia, die andere als pervers oder bedrohlich stilisiert, oder der Einsatz von Propaganda-Rhetoriken.
Auch wenn solche Kriterienlisten immer unvollständig und umstritten sind, können sie dabei helfen, gesellschaftliche Situationen besser einzuschätzen. Alle von Stanleys Kriterien treffen auf die aktuelle Situation in den USA zu – und das, obwohl gerade die Demokraten im Parlament die Mehrheit haben und den Präsidenten stellen.
In vielen Bundestaaten arbeiten die Republikaner zurzeit fieberhaft daran, demokratische Institutionen zu untergraben und unliebsame Wähler*innen auszuschließen. Der Supreme Court macht mit juristischen Mitteln den Weg für einen fundamentalen Abbau von Grundrechten frei, wie zuletzt bezüglich der Rechte von Millionen von Frauen über ihre eigenen Körper. Exekutivorgane wie die Polizei können straflos Minderheiten wie schwarze Menschen und Migrant*innen schikanieren und sogar töten.
Teile der Medien heizen unaufhörlich rassistische, sexistische und transfeindliche Stimmungen an. Paramilitärische Gruppen wie die Proud Boys und die Oath Keepers sorgen für einen angsteinflößenden Terror auf den Straßen.
Kein historisch überholter Anachronismus
Was aber spricht dafür, all diese neuen Entwicklungen unter dem historisch aufgeladenen Begriff Faschismus zu klassifizieren? Erstens hat dieser Begriff analytische Vorteile.
Er hilft uns zum Beispiel zu verstehen, wie die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung und die Abschottung der Grenzen zusammengehören – beides sind Teile einer Agenda, die auf nationale Homogenität und weiße Vorherrschaft setzt. Und er zeigt uns, wie Kampagnen gegen Transpersonen oder die angebliche „Woke-Diktatur“ an den Universitäten die Funktion erfüllt, Sündenböcken zu konstruieren.
Aber die Zusammenfassung solcher Tendenzen unter die Kategorie des Faschismus hat auch eine politische Funktion: Sie soll uns zur politischen Intervention aufrütteln. Faschismus ist weder ein historisch überholter Anachronismus, noch kann er einfach auf „autoritäre Kulturen“ oder „rückschrittliche Systeme“ projiziert werden. Liberale westliche Demokratien sind nicht das Gegenteil des Faschismus – sondern häufig genug seine Brutstätten.