Jetzt machen sie auf bunt
07:40 Minuten
Hakenkreuze und Heil-Hitler-Rufe - das war gestern. Inzwischen versuchen Rechte, die offene Gesellschaft zu infiltrieren, indem sie deren Symbole übernehmen, beobachtet der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff.
Zehntausende haben am Wochenende an den Berliner Protesten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung teilgenommen, unter ihnen auch zahlreiche Rechtsextremisten. Sich unters Volk mischen, so tun, als ob man zur Gesellschaft gehört - eine Strategie, die die Rechten auch in ästhetischer Hinsicht immer öfter nutzen, sagt der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff.
Nicht mehr als Rechte erkennbar
"Wir haben in der neurechten Bewegung schon seit Jahren eine Tendenz, die darauf abzielt, gar nicht mehr als neurechte Bewegung erkennbar zu sein", sagt Hornuff:
"Man will sich ästhetisch pluralisieren, man will vielfältig werden. Man will so aussehen, wie eine offene und bunte Gesellschaft aussieht. So gleicht man sich dieser offenen Gesellschaft an, um sie letztlich unterlaufen und schwächen zu können."
Natürlich gebe es nach wie vor auch Gewaltbereitschaft innerhalb der Szene, so der Wissenschaftler. Gleichzeitig werde aber versucht, die Gesellschaft "ästhetisch zu infiltrieren und Muster zu adaptieren, die man auf ganz anderen gesellschaftlichen Feldern vorfindet". Auch werde inzwischen ganz bewusst darauf geachtet, keine verfassungsfeindlichen Symbole mehr zu zeigen und sich so angreifbar zu machen.
Stattdessen schwenke die Rechte ästhetisch um, unter anderem auf die Regenbogenfahne. "Man versucht, Symbole zu inkorporieren, die der eigenen Sache entgegenstehen." Das gehe bis zu einem neurechten Feminismus, berichtet der Professor für Theorie und Gestaltung an der Universität Kassel.
(cmk)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es gab große Aufregung, Wut und Empörung, nachdem Rechtsextreme am Samstag nach der Demo auf die Treppen des Reichstagsgebäudes gelangt waren und dort Fahnen geschwenkt hatten. Sie standen also vor dem Haus, in dem der Bundestag sitzt - Bilder, die um die Welt gegangen sind.
Welche Strategien stecken hinter dieser neurechten Ästhetik? Darüber spreche ich mit Daniel Hornuff. Er ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule an der Universität Kassel, hat rechte Kampagnen untersucht und ein Buch darüber geschrieben, "Die neue Rechte und ihr Design". Neurechte auf den Treppen des Reichstagsgebäudes, in dem sich der Plenarsaal des Deutschen Bundestages befindet – war diese Aktion für die Rechtsextremen erfolgreich?
Hornuff: Man muss sich erst einmal fragen, was wird hier genau als Erfolg verbucht? Es war allem Anschein nach eine Aktion, die nicht von langer Hand geplant war, sondern die irgendwie aus der Situation der Demonstration heraus entstanden ist. Gleichwohl werden diese Bilder, die jetzt von dieser Aktion in den Umlauf kommen, in den Massenmedien, aber auch in den sozialen Medien, durch die sogenannte Neue Rechte genutzt und als eine Art Triumph für das eigene Anliegen gewertet.
Billerbeck: Also ein Erfolg für die Neue Rechte.
Hornuff: Könnte man schon sagen. Die Bilder werden quasi als Erfolg verbucht. Und eigentlich kann man sagen, dass diese ganze Demonstration - deren Anliegen ja völlig unklar ist, man weiß ja gar nicht so recht, gegen was wird da eigentlich demonstriert, was ist das verbindende Merkmal der Teilnehmenden? - als Erfolg gewertet wird.
Rechte wollen sich ästhetisch pluralisieren
Wir haben in der neurechten Bewegung schon seit einigen Jahren eine Tendenz, die darauf abzielt, gar nicht mehr als neue rechte Bewegung erkennbar zu sein, sondern man will sich ästhetisch pluralisieren, man will vielfältig werden, man will eigentlich so aussehen, wie eine offene, eine sogenannte bunte Gesellschaft aussieht, und so gleicht man sich dieser offenen Gesellschaft an, um sie unterlaufen und letztlich schwächen zu können.
Billerbeck: Der Bundespräsident hat von einem Angriff auf das Herz der Demokratie gesprochen, die CDU-Chefin war wütend, es gab viele Statements dazu. Man könnte aber auch sagen, die Rechten haben es auf die Treppen geschafft, das ist eigentlich ein ziemlich banales Bild, das ist irgendwie die Instagramisierung von Ästhetik.
Hornuff: Das ist natürlich auch genau die demokratieschwächende Strategie der neurechten Bewegung, jetzt nicht mehr hart zu konfrontieren. Natürlich gibt es die harten Ziele, natürlich gibt es die Gewaltbereitschaft innerhalb der Szene, das ist völlig unbestritten. Aber man versucht zu infiltrieren, ästhetisch zu infiltrieren, Muster zu adaptieren, die man auf ganz anderen gesellschaftlichen Feldern vorfindet, von denen man gelernt hat.
Es ist auch kein Geheimnis, dass sich die neurechte Bewegung intensiv etwa mit emanzipatorischen Bewegungen der 60er- und 70er-Jahre beschäftigt hat, um sich diese aktionistischen Ästhetiken, die aktionistischen Praktiken abzuschauen, sie zu adaptieren und jetzt für eigene Zwecke einzuspannen.
Keine verfassungsfeindlichen Symbole mehr
Billerbeck: Sie haben die neurechte Ästhetik erforscht und festgestellt, dass man eine klassisch faschistische Ästhetik gar nicht mehr findet. Wie machen das die Neurechten konkret, die offene Gesellschaft auch ästhetisch anzugreifen?
Hornuff: Indem beispielsweise ganz bewusst darauf geachtet wird, verfassungsfeindliche Symbole nicht mehr zu zeigen, also sich da auch ein Stück von Angreifbarkeit zu nehmen, von sich zu weisen. Man schwenkt dann etwa um auf die Reichskriegsflagge oder auch nur auf die Reichsflagge. Man benutzt beispielsweise auch die Regenbogenfahne, versucht also Symbole zu inkorporieren, die der eigenen Sache entgegenstehen.
Das geht so weit, dass es innerhalb der neurechten Bewegung so etwas wie einen neurechten Feminismus gibt, man identifiziert sich so als die wahre Emanzipation, und so versucht man immer mit dieser Methode des Übertragens auf das eigene Anliegen zu arbeiten und somit eine offene Gesellschaft mit ihren eigenen Mitteln zu schwächen.
Es wird nicht mehr der Kampf gegen eine Mehrheitsgesellschaft geführt, sondern man versucht sich in die Mehrheitsgesellschaft auch ästhetisch einzuführen, um sie dann von innen heraus schwächen zu können.
Ökonomische Dimension neuer Symbole
Billerbeck: Also etwa Tassen mit irgendwelchen Aufschriften oder T-Shirts, die nicht mehr so eindeutig sind oder die Regenbogenfahne - was ja den Gesundheitsminister völlig verunsichert hat, dass dieses Symbol bei dieser Demo auftauchte. Funktioniert diese Taktik?
Hornuff: Das funktioniert in der Szene erstaunlich gut, auf zweifache Weise: Erstens wird diese Strategie als Mobilmachung gesehen - man schließt sich diesen Praktiken an, überträgt sie quasi auf das eigene Handeln.
Was man auch nicht vergessen darf: Es gibt eine ökonomische Dimension dieser Strategie. Der Verein Querdenken 711 hat beispielsweise einen eigenen Merchandising-Shop, den er betreibt. Er verkauft die Symbole, mit denen die eigenen Versammlungen ausgestattet werden sollen, generiert darüber Einnahmen, und so wird dieser ästhetische Angriff auf die offene Gesellschaft auch zu einem ökonomischen Faktor.
Billerbeck: Ein weiteres Problem die mediale Verantwortung - also die Frage, wie man darüber berichtet. Wie kann man das klarmachen, dass das trotzdem Neurechte sind - auch wenn sie nicht mehr diese harten Symbole benutzen?
Hornuff: Zunächst muss man einmal sagen, die, die da demonstriert haben, sind nicht die Mehrheit, definitiv nicht. Die überwältigende Mehrheit der Menschen, die in unserem Land leben, lehnen diese Demonstrationen, deren Ziel ja noch nicht einmal wirklich ausgemacht ist, ab. Sie stehen hinter den Maßnahmen, die gegen die Verbreitung von COVID-19 ergriffen worden sind.
Das heißt, in der medialen Berichterstattung müsste auch immer das Bild der Mehrheitsgesellschaft und das Anliegen der Mehrheitsgesellschaft mit thematisiert werden, um nicht unfreiwillig die Anliegen zu stärken, die durch eine solche Bewegung in die Welt gesetzt werden sollen - nämlich sich als starke Bewegung zu präsentieren, sich als Vertreter einer Mehrheitsgesellschaft in Szene setzen zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.