Auftrag an die Regierung

Schafft wieder Vertrauen in Politik!

Geschäftsmann bekämpft Coronavirus mit Besen.
Die Pandemiebekämpfung wurde nahezu eingestellt, beklagt Tillmann Bendikowski. © imago / Ikon Images / Thomas Kuhlenbeck
Ein Kommentar von Tillmann Bendikowski |
Die neue Regierung ist im Amt und steht vor großen Aufgaben. Denn das quasi Nichtregieren der vergangenen Wochen hat unser politisches System beschädigt und zu einer Vertrauenskrise geführt, meint der Historiker Tillmann Bendikowski.
Bis vor wenigen Wochen galt es als politische Erfolgsgeschichte, dass hierzulande eigentlich nur politische Wirrköpfe nach einem „starken Mann“ rufen. Schließlich hatte es nach 1945 auch den Deutschen gedämmert, dass diktatorische Vollmachten in der Hand eines Menschen so ziemlich eine der dümmsten Regierungsformen darstellt, die man sich denken kann.
Zumindest in Westdeutschland ergab sich daraus die Chance, ein Land endlich ziviler zu denken – und damit dem frei gewählten Parlament und der Regierung die Verantwortung für das Land in die Hände zu legen. Ein demokratischer Traum wurde war: gewählte und abwählbare Regierungschefs, abhängig von der Unterstützung des Parlaments, eingebunden in die Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative.

Politikversagen in den vergangenen Wochen

In den vergangenen Wochen sind angesichts der vierten Corona-Welle jedoch sicher geglaubte Traditionen dieser politischen Kultur infrage gestellt worden. Aus einem vorher kaum für möglich gehaltenen Mix aus parteipolitischem Kalkül, handwerklicher Unfähigkeit und mangelndem Mut vor der eigenen Bevölkerung wurde die Pandemiebekämpfung zwischendurch nahezu eingestellt.
So blieb schließlich nur ein verzweifelter Akt, nämlich die Bestellung eines Bundeswehrgenerals zum Leiter des neuen Corona-Krisenstabs im Kanzleramt. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Der dafür ausgewählte General Carsten Breuer ist womöglich ein prima Logistiker, der die Impfkampagne vielleicht tatsächlich effektiv organisieren kann.

Ein General soll schaffen, was Politiker nicht hinkriegen

Aber ganz sicher – und das ist über den Einzelfall hinaus entscheidend – ist seine Berufung zugleich das deprimierende Eingeständnis, dass sich die Politik diese Aufgabe selbst nicht zutraut. Kann es in der Stunde der Not also nur ein Militär richten?
Brauchen wir tatsächlich einen, der mal durchgreift, wie es dann immer heißt? Der nicht lange rumredet, einer, der keine Rücksichten auf Parteien und Parlamente nehmen muss? Brauchen wir einen starken Mann in Uniform, um die Impfkampagne zu einem Erfolg zu machen? Diese Personalentscheidung ist als Symbol für die politische Selbstpreisgabe besorgniserregend.
General Carsten Breuer kommt mit einem Mitarbeiter zum Bund-Länder Treffen zur Corona Pandemie im Bundeskanzleramt an, 30.11.2021.
"Wollen wir wirklich, dass in Deutschland ein hoher Militär zum Helden, zum ´Retter` in dieser Krise wird?", fragt Tillmann Bendikowski. Hier General Carsten Breuer auf dem Weg ins Kanzleramt.© picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Wollen wir wirklich, dass in Deutschland – wie etwa in Italien – ein hoher Militär zum Helden, zum „Retter“ in dieser Krise wird? Weil die Spitzen von Bund und Ländern selbst keine effektive Politik treiben können und damit für die Zukunft der Bevölkerung zugleich schon einmal signalisieren, dass wir uns in kommenden Katastrophenfällen besser gar nicht erst an sie wenden sollten? Hängt dann da in Zukunft ein Zettel an den Ministerien: „Nehmt lieber einen General, wir können Euch auch nicht helfen?“

Lauterbach als ziviler Gegenentwurf zur Generalslösung

In dieser Situation wahrt ausgerechnet – als hätte der nicht schon genug Funktionen – Karl Lauterbach das Gesicht der parlamentarischen Demokratie. Der Mann ist Politiker: Mitglied des Bundestags, per Direktmandat gewählt, langjähriges Parteimitglied und überdies ein ausgewiesener Fachmann.
Er ist zunächst einmal schlicht der zivile Gegenentwurf zu einer Generalslösung, und dieser Minister wird – wenn die neue Regierung ihn denn lässt – vermutlich in den nächsten Wochen und Monaten das Gesicht der deutschen Corona-Politik sein; ein Zivilist, und kein Uniformierter.
Das ist schon mit Amtsantritt – ungewollt – das vielleicht größte Verdienst des neuen Bundesgesundheitsministers. Egal, was er inhaltlich konkret unternehmen wird, mit ihm gibt es in diesem Land die unverhoffte Chance, wieder Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit unseres politischen Systems zu schaffen. Wir brauchen einfach nur gute Politik – und keinen starken Mann.

Tillmann Bendikowski, geboren 1965, ist Historiker und Journalist. Er ist Verfasser zahlreicher Sachbücher, betreut historische Ausstellungen und ist u.a. als historischer Kommentator im NDR-Fernsehen zu sehen. Zuletzt erschien von ihm das Buch "1870/71: Der Mythos von der deutschen Einheit".

Der deutsche Journalist und Historiker Tillmann Bendikowski spricht am 19.03.2016 auf dem Blauen Sofa auf der Buchmesse in Leipzig.
© picture alliance / dpa / Jan Woitas

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