Neue Resistenzen, neues Unglück
Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast ist nach wie vor heftig umstritten. Dabei sind vielmehr die unsachgemäße Anwendung von Antibiotika bei Menschen und Haustieren eine häufige Ursache für die Entstehung resistenter Keime, meint Udo Pollmer.
Die Antibiotika-Diskussion hört nicht auf, ja sie nimmt immer skurrilere Züge an. Nach den resistenten MRSA geht es nun um die ESBL, eine weitere schillernde Gruppe resistenter Keime. Erneut stehen die Antibiotika in der Tierhaltung am Pranger. Ein Fachlabor fand im Auftrag von Stern TV ESBL-Keime nicht nur auf konventioneller Ware, sondern auch auf Biogeflügel und Bioschwein, Produkten, die aus Supermärkten und Bioläden stammten, darunter Fleisch von Demeter und Bioland.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung beklagt, dass diese typischen Krankenhauskeime immer häufiger in den Ställen angetroffen werden. Wer die weitere Ausbreitung eindämmen will, muss natürlich wissen, wo die verschiedenen Arten der ESBL denn herkommen. So fanden beispielsweise die Briten vor wenigen Jahren, dass dort die Resistenzen einiger menschlicher Keime mit denen beim Geflügel übereinstimmten – genauer gesagt, mit den Keimen auf Hähnchenfleisch, das aus Brasilien importiert wurde. Britisches Geflügel war damals noch völlig frei davon. Erst danach gerieten die brasilianischen Keime in die englischen Ställe. Ich vermute mal über Essensreste aus der Küche.
Ursache für die Ausbreitung ist vor allem der Mensch. So kommen bestimmte Keime, die Resistenzen gegen besonders wichtige Reserveantibiotika aufweisen, in Europa fast ausschließlich in Griechenland vor – aber dort ziemlich häufig. Zu uns gelangen sie über Reisende. Sonnenhungrige Urlauber haben sich als wichtigste Überträger der ESBL entpuppt. Extrem häufig findet man die üblen Keime natürlich bei Ferntouristen! Sie werden nicht unbedingt selbst krank, sie sind nur das Transportmittel für die Resistenzen.
Einer der riskantesten Keime dieser Art ist der Neu-Delhi-Typ, und der kam, wie der Name schon sagt, aus Indien. Denn dort sind Antibiotika frei verkäuflich. Jeder, der es sich leisten kann, versucht natürlich, die besten, die modernsten Mittel zu kaufen. In deutschen Ställen ist deren Einsatz untersagt. Die Resistenzen werden von außen eingetragen, beispielsweise über Futtermittelimporte.
Doch nicht alle ESBL kommen aus der Ferne zu uns. Ziemlich häufig findet man die gefährlichen Keime auf Hunden und Katzen. Denn bei Schmusetieren werden – im Gegensatz zum Nutzvieh – die gleichen modernen Antibiotika angewandt wie beim Menschen. So werden die Keime resistent und gelangen auf direktem Weg zum Halter – und im Gegensatz zum Kalbsschnitzel landet der Kater nicht auf den Grill. Deshalb ist es zwingend erforderlich, Schmusetiere den gleichen Regeln zu unterwerfen wie Nutzvieh.
Resistenzen lassen sich nicht aus der Welt schaffen, sie sind so alt wie die Bakterien. Antibiotika werden von Bakterien erzeugt, um sich Konkurrenten vom Leib zu halten. Damit sie dabei nicht selbst draufgehen, verfügen sie über Mechanismen, sich davor zu schützen. Das nennt man Resistenz. Kürzlich fanden kanadische Forscher im Permafrostboden in 30.000 Jahren altem mikrobiellen Erbgut Resistenzen gegen eine Palette moderner Antibiotika wie zum Beispiel Tetracycline oder Vancomycin. Normalerweise werden diese als Hinweis auf Missbrauch in der Mast gewertet. So kann man sich täuschen.
Die wichtigste Ursache der ESBL ist aber die nicht sachgemäße Anwendung von Antibiotika am Menschen. Deshalb versagen Antibiotika in der Medizin. Gibt es nicht zu denken, dass sie in den Ställen nach wie vor wirksam sind? Und das bei einem deutlich eingeschränkten Spektrum an Wirkstoffen? Es sind auch nicht die Mäster und ihre Familien, die krank werden. Bei der EHEC-Krise zum Beispiel, ausgelöst durch bestimmte Gemüsesprossen, waren vor allem junge Frauen lebensbedrohlich erkrankt, die auf gesunde Ernährung achteten.
Was tun? Die erforderlichen Maßnahmen sind bekannt: Einführung eines rigorosen Hygienemanagements in den Krankenhäusern. Zweitens: Einschränkung des Einsatzes von Antibiotika bei Schmusetieren. Und als Drittes: Keine Propaganda mehr für Rohkost – namentlich gegenüber Kindern. Rohkost ist – vor allem im Urlaub unter südlicher Sonne – eine Drehscheibe für Resistenzen. Mahlzeit!
Literatur:
BfR: ESBL bildende Bakterien in Lebensmitteln und deren Übertragbarkeit auf den Menschen. Stellungnahme Nr. 002/2012 vom 5. Dezember 2011
Hunfeld KP: Gramnegative Resistenz auf Reisen: Gestern in Neu Dehli – morgen auf Ihrer Intensivstation. Hessisches Ärzteblatt 2011, H.9: 545-546
Warren RE et al: Imported chicken meat as a potential source of quinoline-resistant Escherichia coli producing extended-spectrum ß-lactamases in the UK. Journal of Antimicrobial Chemotherapy 2008; 61: 504-508
Vaux S: Epidémiologie des EBLSE et des EPC dans le monde et en France. Institut de Veille Sanitaire; Journées Nationales d’infectiologie, Toulouse 2011
Overdevest I et al: Extended-spectrum ß-lactamase genes of Escherichia coli in chicken meat and humans, the Netherlands. Emerging Infectious Diseases 2011; 17: 1216-1222
Ewers C et al: Extended-spectrum beta-lactamases-producing Gram-negative bacteria in companion animals: action is clearly warranted! Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 2011; 124: 94-101
Labor für Klinische Diagnostik: ESBL: Die neue Gefahr in der Veterinärmedizin? Info 2011; Nr.5
D’Costa VM et al: Antibiotic resistance is ancient. Nature 2011; 477: 457-461
Das Bundesinstitut für Risikobewertung beklagt, dass diese typischen Krankenhauskeime immer häufiger in den Ställen angetroffen werden. Wer die weitere Ausbreitung eindämmen will, muss natürlich wissen, wo die verschiedenen Arten der ESBL denn herkommen. So fanden beispielsweise die Briten vor wenigen Jahren, dass dort die Resistenzen einiger menschlicher Keime mit denen beim Geflügel übereinstimmten – genauer gesagt, mit den Keimen auf Hähnchenfleisch, das aus Brasilien importiert wurde. Britisches Geflügel war damals noch völlig frei davon. Erst danach gerieten die brasilianischen Keime in die englischen Ställe. Ich vermute mal über Essensreste aus der Küche.
Ursache für die Ausbreitung ist vor allem der Mensch. So kommen bestimmte Keime, die Resistenzen gegen besonders wichtige Reserveantibiotika aufweisen, in Europa fast ausschließlich in Griechenland vor – aber dort ziemlich häufig. Zu uns gelangen sie über Reisende. Sonnenhungrige Urlauber haben sich als wichtigste Überträger der ESBL entpuppt. Extrem häufig findet man die üblen Keime natürlich bei Ferntouristen! Sie werden nicht unbedingt selbst krank, sie sind nur das Transportmittel für die Resistenzen.
Einer der riskantesten Keime dieser Art ist der Neu-Delhi-Typ, und der kam, wie der Name schon sagt, aus Indien. Denn dort sind Antibiotika frei verkäuflich. Jeder, der es sich leisten kann, versucht natürlich, die besten, die modernsten Mittel zu kaufen. In deutschen Ställen ist deren Einsatz untersagt. Die Resistenzen werden von außen eingetragen, beispielsweise über Futtermittelimporte.
Doch nicht alle ESBL kommen aus der Ferne zu uns. Ziemlich häufig findet man die gefährlichen Keime auf Hunden und Katzen. Denn bei Schmusetieren werden – im Gegensatz zum Nutzvieh – die gleichen modernen Antibiotika angewandt wie beim Menschen. So werden die Keime resistent und gelangen auf direktem Weg zum Halter – und im Gegensatz zum Kalbsschnitzel landet der Kater nicht auf den Grill. Deshalb ist es zwingend erforderlich, Schmusetiere den gleichen Regeln zu unterwerfen wie Nutzvieh.
Resistenzen lassen sich nicht aus der Welt schaffen, sie sind so alt wie die Bakterien. Antibiotika werden von Bakterien erzeugt, um sich Konkurrenten vom Leib zu halten. Damit sie dabei nicht selbst draufgehen, verfügen sie über Mechanismen, sich davor zu schützen. Das nennt man Resistenz. Kürzlich fanden kanadische Forscher im Permafrostboden in 30.000 Jahren altem mikrobiellen Erbgut Resistenzen gegen eine Palette moderner Antibiotika wie zum Beispiel Tetracycline oder Vancomycin. Normalerweise werden diese als Hinweis auf Missbrauch in der Mast gewertet. So kann man sich täuschen.
Die wichtigste Ursache der ESBL ist aber die nicht sachgemäße Anwendung von Antibiotika am Menschen. Deshalb versagen Antibiotika in der Medizin. Gibt es nicht zu denken, dass sie in den Ställen nach wie vor wirksam sind? Und das bei einem deutlich eingeschränkten Spektrum an Wirkstoffen? Es sind auch nicht die Mäster und ihre Familien, die krank werden. Bei der EHEC-Krise zum Beispiel, ausgelöst durch bestimmte Gemüsesprossen, waren vor allem junge Frauen lebensbedrohlich erkrankt, die auf gesunde Ernährung achteten.
Was tun? Die erforderlichen Maßnahmen sind bekannt: Einführung eines rigorosen Hygienemanagements in den Krankenhäusern. Zweitens: Einschränkung des Einsatzes von Antibiotika bei Schmusetieren. Und als Drittes: Keine Propaganda mehr für Rohkost – namentlich gegenüber Kindern. Rohkost ist – vor allem im Urlaub unter südlicher Sonne – eine Drehscheibe für Resistenzen. Mahlzeit!
Literatur:
BfR: ESBL bildende Bakterien in Lebensmitteln und deren Übertragbarkeit auf den Menschen. Stellungnahme Nr. 002/2012 vom 5. Dezember 2011
Hunfeld KP: Gramnegative Resistenz auf Reisen: Gestern in Neu Dehli – morgen auf Ihrer Intensivstation. Hessisches Ärzteblatt 2011, H.9: 545-546
Warren RE et al: Imported chicken meat as a potential source of quinoline-resistant Escherichia coli producing extended-spectrum ß-lactamases in the UK. Journal of Antimicrobial Chemotherapy 2008; 61: 504-508
Vaux S: Epidémiologie des EBLSE et des EPC dans le monde et en France. Institut de Veille Sanitaire; Journées Nationales d’infectiologie, Toulouse 2011
Overdevest I et al: Extended-spectrum ß-lactamase genes of Escherichia coli in chicken meat and humans, the Netherlands. Emerging Infectious Diseases 2011; 17: 1216-1222
Ewers C et al: Extended-spectrum beta-lactamases-producing Gram-negative bacteria in companion animals: action is clearly warranted! Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 2011; 124: 94-101
Labor für Klinische Diagnostik: ESBL: Die neue Gefahr in der Veterinärmedizin? Info 2011; Nr.5
D’Costa VM et al: Antibiotic resistance is ancient. Nature 2011; 477: 457-461