Neue Serie: "Babylon Berlin"

Liebeserklärung an das Berlin der 20er-Jahre

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Szene aus der TV-Serie "Babylon Berlin", die ab 13. Oktober auf Sky zu sehen ist. © Filmausschnitt: Sky Television
Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten im Gespräch mit Susanne Burg |
Eine Mischung aus Sittengemälde und Liebeserklärung an das Berlin der wilden 20er-Jahre: Das ist die TV-Serie "Babylon Berlin", die am Donnerstag in Berlin Premiere hat. Was die Zuschauer sonst noch erwartet, darüber sprachen wir mit Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten.
Morgen Abend ist es so weit: Das Projekt, mit dem Deutschland in der internationalen Serienwelt mitspielen will, hat in Berlin Premiere. "Babylon Berlin" ist eine zunächst in 16 Folgen erzählte Geschichte um den jungen Kriminalkommissar Gereon Rath. Im wilden Berlin der Zwanzigerjahre jagt er Mörder, Zuhälter, Erpresser.

Thriller mit viel Zeitkolorit

"Ich war immer fasziniert von der Modernität der Zeit und von der kulturellen Vielfalt und dem Berlin, das gebrummt hat, wo Millionen Einwanderer waren, wo 24 Stunden die Läden offen hatten und die U-Bahn im Zweiminutentakt gefahren ist, wo mehr Einwohner waren als heute", so Achim von Borries, einer der drei Regisseure, im Deutschlandfunk Kultur.
Einen Geschichtsfilm habe man aber nicht machen wollen, ergänzt sein Regie-Kollege Tom Tykwer. "Erst mal ist es Krimi und ein Thriller, und es gibt einen klaren Plot, es gibt einen Fall, der zu lösen ist, es gibt Kriminalkommissare und Oberkommissare, und es gibt Unschuldige und nicht so Unschuldige. Es gibt Frauen, die Männer reinlegen, und Männer, die Frauen reinlegen, all das, was man da so braucht."
Gleichwohl werden die Zuschauer Zeugen einer dramatischen Epoche, in der die Stadt von seelisch und körperlich verkrüppelten Kriegsheimkehrern wimmelte und in der Aufbruch und Elend parallel existierten. "Und gleichzeitig eine Zeit, in der ein demokratisches Experiment hier stattgefunden hat, was von der Welt halb kritisch beäugt wurde", sagt von Borries.
Tom Tykwer, Achim von Borries and Henk Handloegten, die Regisseure der TV-Serie "Babylon Berlin".
Tom Tykwer, Achim von Borries and Henk Handloegten, die Regisseure der TV-Serie "Babylon Berlin". © picture alliance / Ekaterina Chesnokova/Sputnik/dpa
"Das zu erzählen, war die Aufgabe, ein Sittengemälde in der Weimarer Republik, aber gleichzeitig einen unterhaltsamen Genrefilm zu machen, die Leute mitzureißen und zu unterhalten, weil darum geht es auch. Wir wollen ja keine Geschichtsstunde machen, sondern wir wollen einen Genrefilm machen, einen Unterhaltungsfilm, eine Liebeserklärung an die Stadt."

Romanvorlage von Volker Kutscher

Die Romanvorlage für "Babylon Berlin" lieferte die erfolgreiche Krimireihe von Volker Kutscher über das Berlin der 1920er-Jahre. ("Der nasse Fisch", "Der stumme Tod", "Die Akte Vaterland" etc.)

"Babylon Berlin" startet am 13. Oktober im Bezahlsender Sky. Ab 2018 soll die Serie dann auch in der ARD zu sehen sein.

(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es ist jetzt so weit – wobei, streng genommen ist es morgen Abend dann so weit. Da feiert das deutsche Serienprojekt zumindest dieses Jahres seine Weltpremiere. "Babylon Berlin", das ist die teuerste deutsche Fernsehserie, die je produziert wurde, spielt in den Wirren der Weimarer Republik. Viereinhalb Jahre haben ihre Schöpfer an dieser Serie gearbeitet, und viereinhalb Jahre haben ihre – nein, ist klar, es war eben nicht nur Tom Tykwer, über den wird geredet, seit bekannt wurde, dass auch er hinter diesem Projekt steht. Es sind aber insgesamt drei Macher, neben Tykwer auch noch Achim von Borries und Henk Handloegten. Susanne Burg hat bei einem Gespräch die alle drei erlebt. Schönen guten Morgen erst mal.
Susanne Burg: Guten Morgen!
Tom Tykwer: Tykwer hin oder her, alle drei zusammen – wie haben Sie die denn erlebt? Waren die stolz?
Burg: Die waren sehr stolz. Ein bisschen aufgeregt, auch wenn sie es runtergespielt haben. Man merkt auch, dass die sehr vertraut miteinander sind. Sie haben inzwischen, glaube ich, auch so ein bisschen den Kleidungsstil aufeinander abgestimmt, waren alle in Schwarz angezogen. Sie haben die letzten viereinhalb Jahre wirklich sehr eng verzahnt miteinander gearbeitet, denn die haben alle drei am Drehbuch geschrieben und haben alle drei auch Regie geführt.

Mehr als 300 Drehorte

Und ich habe sie dann natürlich auch gefragt, warum zu dritt? Und sie sagen eben, drei ist die kleinste Gruppe, die es gibt, uns wenn einer eben eine Idee hat, dann muss er gleich zwei andere überzeugen davon, und man kann im besten Fall gemeinsam dran weiterarbeiten oder muss diese Idee dann vielleicht auch über den Haufen werfen.
Das ergibt durchaus Sinn, denn "Babylon Berlin" ist natürlich ein großes Projekt, eine auf 16 Folgen erzählte Geschichte mit vielen Handlungsfäden. Und natürlich auch bei der Umsetzung nicht ganz unaufwendig. Man hat an 300 verschiedenen Orten gedreht, man hat eine eigene Straßenkulisse gebaut. Und mit dem Projekt will man jetzt in der internationalen Serienwelt mitspielen.
Kassel: Dazu gehört auch, dass es schon noch so ein bisschen Geheimniskrämerei gibt: Es darf jetzt noch keine Kritik – ich darf Sie gar nicht fragen, wie Sie es fanden. Aber ich darf zugeben – ich glaube, vier Folgen konnten Sie schon gucken. Und was wir ja zugeben können, das spielt alles im rauschhaften Berlin im Jahr 1929. Wie rauschhaft geht es denn wirklich zu in dieser Serie?
Burg: Man sieht schon sehr ausschweifende Partyszenen. Gleich am Anfang des Films sind wir als Zuschauer mit am Set eines Pornofilms, der in einem Hinterzimmer gedreht wird. Ein Kommissar ermittelt nämlich in einem Erpressungsfall, hinter dem scheinbar ein Pornoring steht.
Es ist also eigentlich ein Krimi, der aber natürlich auch eine Reise in die Stadt Berlin ist und in diese brutale, schnelle, schmutzige Zeit der Zwanziger-Jahre. So wie es ja auch schon in der Vorlage angelegt ist. Das sollte man nämlich auch sagen, das beruht ja auf dem Kriminalroman "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher. Und ich habe mit Tykwer, von Borries und Handloegten auch über ihre Vorstellung von der Weimarer Republik gesprochen, und Achim von Borries hat als Erster davon erzählt, was ihn an dieser Zeit interessiert hat.

"Sittengemälde der Weimarer Republik"

Achim von Borries: Ich war immer fasziniert von der Modernität der Zeit und von der kulturellen Vielfalt und dem Berlin, das gebrummt hat, wo Millionen Einwanderer waren, wo 24 Stunden die Läden offen hatten und die U-Bahn im Zweiminutentakt gefahren ist, wo mehr Einwohner waren als heute.
Und gleichzeitig eine Zeit, in der ein demokratisches Experiment hier stattgefunden hat, was von der Welt halb kritisch beäugt wurde. Das zu erzählen, war die Aufgabe, ein Sittengemälde der Weimarer Republik, aber gleichzeitig einen unterhaltsamen Genrefilm zu machen, die Leute mitzureißen und zu unterhalten, weil darum geht es auch.
Wir wollen ja keine Geschichtsstunde machen, sondern wir wollen einen Genrefilm machen, einen Unterhaltungsfilm, eine Liebeserklärung an die Stadt.
Burg: Es spielt ja nach dem Ersten Weltkrieg, und damals hieß das, was die Menschen hatten, die aus dem Krieg kamen, nicht posttraumatische Belastungsstörung, aber es gab sie. Was haben Sie über die speziellen Belastungsstörungen durch den Ersten Weltkrieg gelernt?

Die "Kriegszitterer"

von Borries: Also ich wusste das erst mal nicht, dass es damals im Ersten Weltkrieg diese Störung so gab und dass sie vor allen Dingen auch so dokumentiert waren. Man kann sich auf Youtube die medizinischen Filme angucken von den Opfern. Jetzt ist es PTSD, aber damals war es eben – "Kriegszitterer" hießen die.
Und wenn man also mit diesen Bildern konfrontiert ist von wirklich vollkommen zerstörten Körpern und Seelen, die sich aufgrund ihrer Dysfunktionalität sozusagen verweigern, der Waffe weiter zu dienen und dem Krieg weiter zu dienen, dann ist das erst mal schockierend. Das ist hart, sich das anzugucken.
Nichtsdestotrotz haben wir natürlich gemerkt, dass das natürlich ein so wichtiger Punkt war, der bei Volker Kutscher auch vorkommt, aber ganz am Rande vorkommt, dass das ein Punkt war, den wir ins Zentrum rücken wollten. Weil natürlich ist diese Zeit, 1929, ist elf Jahre nach Ende des von Deutschland verlorenen Ersten Weltkriegs, sehr stark geprägt von großem Männermangel. Die Männer waren tot oder sie waren seelisch und körperlich verkrüppelt.
Es wäre jetzt seltsam gewesen, eine Hauptfigur zu haben, die im Krieg war, die eine der wenigen ist, die damit unheimlich gut umgehen. Natürlich gab es auch die anderen, die die Fronterfahrung sehr positiv erlebt haben und die dann auch gar nicht aufhören konnten, Krieg zu spielen. Das war ja auch in der Weimarer Republik eine wichtige Sache.
Aber natürlich muss man dann gucken, dass man einige vielleicht auch nicht so bekannte Dinge aus der Zeit, Aspekte aus der Zeit nutzt in seinen Hauptfiguren und nicht irgendwo oder gar nicht.
Burg: Genau. Gereon Rath ist eben einer, der muss zwischendurch immer mal verschwinden und eine kleine Ampulle trinken, und man weiß aber gar nicht genau, was das eigentlich für eine Ampulle ist. Man weiß nur, dass danach das Zittern aufhört. Und Sie erklären es eben auch nicht in der Serie. Man versteht nur, das braucht er jetzt. Wie viel Kontext wollten Sie dem Zuschauer bewusst geben, und wie viel sollte sich dann aber auch selbst erklären?

Film nicht mit historischem Wissen überfrachten

Tykwer: Es ist ja eigentlich für jeden historischen Film wichtig, dass man sich beschützt fühlt als Zuschauer, sozusagen geführt von einer kenntnisreichen Hand, aber dann auch mal losgelassen wird und allein forschen kann. So will man ja historische Filme sehen. Das ist ja ein schmaler Grat, weil natürlich unsere sukzessive Überfütterung mit nebensächlichem oder nicht so nebensächlichem Wissen um die Epoche – das natürlich immer mehr wurde, je länger wir daran gearbeitet haben –, sicherlich immer die Gefahr in sich trägt, dass man die Sache überfrachtet.
Aber da wir uns dieser Gefahr sehr bewusst waren und uns wirklich vorgenommen hatten, einen Film zu machen, der erst mal aus den Figuren heraus erzählt ist. Wenn man sich darauf verlässt, dann ist die Gefahr meistens damit schon gebannt, weil die sich nie mehr mit etwas beschäftigen, als ein normaler Bürger eben tut und deswegen auch niemals in einen allzu ausführlichen Vortrag über irgendetwas geraten, sondern sich die Dinge eigentlich auf dem Weg ergeben. Was natürlich hilft, ist, dass wir erst mal auch einen Genrefilm gemacht haben.
Wir haben ja keinen Film gemacht, der ein historisches Zeitkolorit über den Zuschauer ausbreiten will, sondern erst mal ist es Krimi und ein Thriller, und es gibt einen klaren Plot, es gibt einen Fall, der zu lösen ist, es gibt Kriminalkommissare und Oberkommissare, und es gibt Unschuldige und nicht so Unschuldige. Es gibt Frauen, die Männer reinlegen, und Männer, die Frauen reinlegen, all das, was man da so braucht. Und das ist eigentlich das, was uns besonders gefallen hat an der Konzeption des Ganzen. Und all das hat eigentlich dazu geführt, dass wir, glaube ich, an keiner Stelle darein verfallen sind, einen pädagogischen Film über die Epoche zu machen, sondern sich das ganze Wissen und dieses Kolorit tatsächlich automatisch mit ergeben hat.
Burg: Und gleichzeitig könnte man bei den Themen, die behandelt werden, also Korruption, Drogen, Waffenhandel, auch an Serien denken, die in der Jetztzeit spielen, an "The Shield" zum Beispiel, wo es um genau das Thema in L.A. geht. Oder auch natürlich "The Wire". Also dann doch auch irgendwie so eine zeitlose Geschichte?

Unpolitische Figuren in einer höchst politisierten Zeit

Tykwer: War uns natürlich von vornherein ein Anliegen, die Verwandtschaft unserer heutigen Zeit mit dieser Epoche ernst zu nehmen und das halt auch in den Plots wirklich zu verankern, also Geschichten zu erzählen, die was reflektieren, was heute uns auch noch betreffen kann. Allein, wie sich das politische Leben verändert durch bestimmte Ereignisse, durch Zäsuren, die sozusagen neue Fraktionen und neue Gegenüberstellungen erzeugen innerhalb der politischen Gewichtungen.
Wie auch unser Held – ich versuche immer, das irgendwie zu betonen, wie sehr wir natürlich immer versucht haben, zu sagen, was macht Gereon Rath oder was macht Charlotte mit dem, was um sie herum eigentlich passiert.
Weil wir ja doch immer am Ende bei denen sind und wie die das wahrnehmen, und es für uns halt so interessant war, zu sagen, wir haben im Zentrum erst mal zwei nicht sehr politisch geprägte Figuren, die in einer Zeit, die hoch politisiert ist, versuchen, ihr Ding zu machen und quasi davon ja auch überrollt oder eingeholt werden und irgendwann sich auch positionieren müssen. Und das ist natürlich unheimlich interessant, Figuren zu haben, die erst zu ihrer Moral eigentlich finden. Sie merken, sie haben zwar eine, aber die ist eher so eine reflexhafte. Worauf fußt die eigentlich?
Das ist ein großes Thema für uns gewesen, zu sagen, ein Sittengemälde hat auch immer was mit Moral zu tun, Moral hat mit den Figuren zu tun, und die Figuren in unserer Geschichte, die uns besonders am Herzen liegen, die finden erst ihre Moral. Das ist sozusagen eine Erziehung des Herzens, wenn man so will.
Kassel: Tom Tykwer. Susanne Burg hat mit ihm und den beiden anderen Machern der Serie Babylon Berlin, Achim von Borries und Henk Handloegten, gesprochen. Wir haben es ja schon gesagt, ich habe es schon gesagt, Frau Burg: Es gibt unglaublich viel, was Sie nicht verraten können, aber eines muss doch möglich sein, Weltpremiere ist morgen im Theater, aber es ist ja eigentlich eine Fernsehserie. Wann läuft die dann im Fernsehen?
Burg: Man kann sie dann ab dem 13. Oktober beim Bezahlsender Sky sehen. Und Ende 2018 dann in der ARD, also im Öffentlich-Rechtlichen muss man noch eine Weile warten.
Kassel: Ich hab schon gesagt, ich darf Sie eines ganz Simples nicht fragen, nämlich, lohnt sich das, weil dann kommt Ihre Bewertung, das dürfen Sie jetzt noch nicht. Aber für das, was Sie durften, vielen Dank!
Burg: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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