Verspäteter Meilenstein mit Makeln
Nach 49 Jahren bekommt der "wahre Gesellschaftsroman der Bundesrepublik" mit Florence Kasumba seine erste afrodeutsche "Tatort"-Kommissarin. Für unseren Filmkritiker ein längst überfälliger Schritt. Allerdings sei die Rolle "unglücklich impulsiv" angelegt.
Der ARD-"Tatort" ist mehr als eine gewöhnliche Krimireihe, er versteht sich als deutsches Kulturgut. Der Literaturwissenschaftler Jochen Vogt hat die Krimireihe vor Jahren als "wahren Gesellschaftsroman der Bundesrepublik" bezeichnet.
Deshalb ist es interessant, dass am kommenden Sonntag neben Maria Furtwänglers Charlotte Lindholm erstmals eine afrodeutsche Kommissarin ermittelt: Sie heißt Anaïs Schmitz und wird gespielt von Florence Kasumba.
Gemischte Gefühle
Unser Filmkritiker Matthias Dell betrachtet diese Entscheidung mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei dies natürlich ein Meilenstein, weil damit die Vorstellung von Repräsentation erweitert werde, also wer in einem Film was spielt und was dies mit symbolischen Ordnungen zu tun hat, die unsere Vorstellungen von der Welt prägen.
Wenn dann eine afrodeutsche Hauptfigur Teil dieser Ordnung in der populärsten Krimireihe des Landes werde, sei das von Bedeutung, kommentiert Dell. Dennoch "kommt dieser Meilenstein ziemlich spät: Den Tatort gibt es seit 49 Jahren" und in anderen Krimireihen gab es schon wesentlich früher schwarze Ermittler, erinnert sei an Charles M. Huber, der schon 1986 in der ZDF-Serie "Der Alte" einer der Assistenten war.
Kasumbas Erfolg in Hollywood
Außerdem ist der "Tatort" nicht ganz von alleine auf die Idee gekommen, Kasumba prominent zu besetzen, wie Matthias Dell berichtet. "Florence Kasumba hat zwar früh ihre Ambitionen geäußert, Ermittlerin in diesem beliebten Format zu werden, die Nebenrollen aber, die sie bei ihren bisherigen Auftritten spielen durfte, waren zumeist geflüchtete Frauen, die radebrechend Deutsch sprechen."*
Dass sie nun für die Hauptrolle in Frage kam, hat mit ihrem Erfolg in Hollywood zu tun. Dort ist Kasumba bekannt aus mehreren Großproduktionen, unter anderem aus dem Superheldenfilm "Black Panther".
Rassistische Klischees
Für Matthias Dell ist die Rolle der Anaïs Schmitz dennoch "unglücklich impulsiv" angelegt: In der ersten Hälfte des Films gebe es ein ziemliches Gerangel zwischen den beiden Ermittlerinnen, das seinen Höhepunkt in einer Ohrfeige für Charlotte Lindholm habe. Da frage man sich natürlich schon, warum Schmitz so unbeherrscht angelegt sein muss, sagt Dell: "Für mich tönt da auch so ein bisschen ein Echo eines rassistischen Klischees von vermeintlicher Wildheit durch."
*Eine frühere Version enthielt eine fehlerhafte Angabe zu Florence Kasumbas Biografie.