"Riesige Chancen für den Industriestandort Deutschland"
Im Zuge der Energiewende kann Deutschland zum Vorreiter bei neuen Technologien werden, sagt Johanna Wanka. Das funktioniere aber nur, wenn die Forschung ihre Erkenntnisse zusammenführe.
Klaus Pokatzky: Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das nach Fukushima eine so radikale Wende in Gang gesetzt hat. Das hat die französische Tageszeitung "Le Figaro" geschrieben – und hat das nicht als Kompliment für unsere Energiewende nach der japanischen Atomkatastrophe gemeint. Deutschland ist ja nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch das Land der Forscher und Tüftler und Erfinder. Und die Forschungsministerin sagt: Die Energiewende funktioniert nur, wenn die Forschung ihre Erkenntnisse zusammenführt.
Johanna Wanka, wie wollen Sie das denn genau machen, und warum so spät? Konnte das nicht mal jemandem früher einfallen?
Johanna Wanka: Die Entscheidung nach Fukushima war von der Bevölkerung in großem Maße getragen und gewollt. Und natürlich ist das kein einfacher Weg, weil es eben kein Vorbild gibt. Aber es sind nicht nur riesige Chancen in der Hinsicht, dass es klimapolitisch wichtig ist, sondern es sind auch riesige Chancen für den Industriestandort Deutschland. Wir entwickeln jetzt Technologien, wir entwickeln Dinge, die wir dann, wenn andere Länder diesen Weg gehen, weltweit exportieren können, wo wir Vorreiter sind. Und ich finde es schon erstaunlich, wie viele auf der Welt auf uns schauen, ob wir das schaffen. Und wir können es nur schaffen – da bin ich fest überzeugt – mit Forschung und Entwicklung.
Und wir haben sehr, sehr viele Institutionen, die Forschung und Entwicklung in der Richtung betreiben. Wir haben über 180 Hochschulen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, viele, viele außeruniversitäre Einrichtungen. Und für mich war es ganz wichtig, dass wir das ein Stück weit bündeln, wir müssen schnell zu gewissen Ergebnissen kommen. Und deswegen: Nicht jeder macht das, was er will und für wichtig hält, sondern dass wir es auch zusammenfassen, bündeln, voneinander wissen.
Und deswegen habe ich im letzten Jahr in Abstimmung mit den anderen Ressorts das Forschungsforum Energiewende gegründet, wo aus unserer Sicht alle Wichtigen, die mit diesem Thema befasst sind, also Forschung in dem Zusammenhang, beteiligt sind. Das heißt natürlich die Ministerien, das heißt die Forschungseinrichtungen, die Wissenschaftseinrichtungen, das heißt die Industrie, die Wirtschaft, das heißt aber auch die Naturschutzverbände und die Zivilgesellschaft.
Pokatzky: Welches ist denn die drängendste Frage überhaupt, die zu beantworten ist?
Wanka: Es gibt eine Reihe von Fragen, wo jedem klar ist, dass das die Schlüsselthemen sind. Das ist das Problem Netzkapazitäten, Speichertechnologien, das ist das Thema neue Materialien unbedingt, das ist das Thema Elektromobilität, aber eben auch energetische Gebäudesanierung.
Pokatzky: Was heißt Elektromobilität?
Wanka: Das heißt der Umstieg auf Elektroautos in großem Maße.
Pokatzky: Da fördern Sie ja jetzt auch schon Projekte.
Wanka: Ja.
Pokatzky: VW, die Uni Braunschweig entwickeln Leichtbaukomponenten für Fahrzeuge. Jetzt muss ich aber mal fragen: Kann VW das nicht alleine? Volkswagen hat 2013 einen Gewinn von 9,1 Milliarden Euro gemacht, warum braucht VW dann noch für solche Entwicklungen unsere Steuergelder, Frau Ministerin?
Warum bekommt VW Steuergelder vom Bund?
Wanka: Wir haben in Deutschland leistungsfähige Forschung in der Wirtschaft und wir haben ein groß angelegtes Hochschul- und Wissenschaftssystem. Und wichtig sind die Investitionen, die die Wirtschaft in Forschung macht, wie viel Geld sie dafür ausgibt. Aber auf der anderen Seite wollen wir das natürlich mit den neuesten Ideen kombinieren, und deswegen, das Beispiel, das Sie sagten, Forschungscampus: Die Bundesrepublik Deutschland gibt Geld über einen langen Zeitraum, über viele Jahre, weil VW hier mit der Uni Braunschweig ganz eng zusammenarbeitet in einem Bereich, der für VW noch nicht anwendbar ist, den die vielleicht auch gar nicht beherrschen können alleine und wo das Risiko auch besteht, dass das dann nichts ist, dass es sich nicht lohnt, dass es nicht umgesetzt werden kann in der Industrie. In diesem vorwettbewerblichen Bereich mit einem hohen Risiko arbeiten jetzt die Wissenschaftler zusammen, und das lohnt dann auch für die Studenten. Die sind dann ganz nah mit diesen Projekten an Forschung, die für Deutschland wichtig ist.
Pokatzky: Welchen Anteil nimmt in Zukunft dieser Aspekt der erneuerbaren Energie überhaupt in Ihrem Etat und bei dem, was Ihr Ministerium macht?
Wanka: Ich würde auf die Frage sagen, dass ein Programm von dreieinhalb Milliarden, was jetzt läuft zur Energieforschung, ein riesiger Brocken ist, dreieinhalb Milliarden. Wir diskutieren ja zum Beispiel das Kita-Ausbau-Programm, war bei vier Milliarden, dreieinhalb Milliarden für die Energieforschung für den Zeitraum '11 bis '15. Und was auch noch ein Indiz ist, dass die Steigerung, wie viel gibt man dafür aus, von Jahr zu Jahr beträchtlich ist. Im Bereich von zehn Prozent. Das zeigt also die wachsende Bedeutung dieses Themas.
Pokatzky: Wenn wir jetzt noch mal auf die Industrie und das, was wir eingangs sagten, dass dahinter auch steckt, dass die deutsche Industrie Produkte herstellen kann, die dann wettbewerbsfähig sind für den Weltexport, wenn wir da noch mal auf einen anderen Aspekt kommen: Vor zwei Jahren hat der BUND, der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland, bemängelt, die heutige Wissenschaft sei viel zu wirtschaftshörig. Kommen Sie überhaupt gegen die Interessen der Wirtschaft an?
Wanka: Ich sehe nicht diesen Widerspruch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft. Wissenschaft ist erst mal zweckfrei, das ist ganz klar, Grundlagenforschung. Da können Dinge gemacht werden, die überhaupt nicht anwendungsrelevant sind. Und dann ist es aber wichtig, alles, was an guten Ideen besteht, wo eine Anwendungsmöglichkeit zu finden ist, das dann auch wirklich anzuwenden.
Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Unser Thema: Warum die Energiewende nur funktioniert, wenn die Forschung ihre Erkenntnisse zusammenführt. Warum ist das so?
Wanka: Es ist ein neuer Weg. Es ist ein Weg, Einsatz von erneuerbaren Energien in Größenordnungen. Also nicht zu zehn oder 20 Prozent, sondern in anderen Größenordnungen. Und dafür gibt es kein Beispiel auf der Welt, wie das funktionieren kann. Also muss man Innovationen haben, Ideen haben. Und da sind wir in Deutschland stark. Es gibt ein Problem und dann wird eine Lösung gefunden und die Lösung möchte möglichst so gut sein, dass wir daraus auch wirtschaftlichen Erfolg für die Zukunft haben können. Es gibt viele ungelöste Fragen und deswegen brauchen wir Wissenschaft und Forschung. Wenn wir die nicht lösen, können wir die Wende nicht bewältigen.
Pokatzky: Aber wir sind nicht konsequent. Es gibt ja zum Beispiel viele kleine Unternehmen, die innovativ sind, noch im Anfangsstadium sind, die Anschubfinanzierung brauchen oder aber zumindest steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten brauchen. Und da will die Bundesregierung ja nicht mitspielen. Das heißt, ich könnte jetzt auch so ein bisschen sagen, die großen Unternehmen werden wahnsinnig gefördert, VW mit neun Milliarden Gewinn im Jahr, und diese armen Kleinen, für die tun Sie nicht genug, Frau Wanka!
Wanka: Wir haben die Hightech-Strategie seit 2007. Und der größte Teil der Mittel geht in KMUs.
Pokatzky: Was heißt KMU?
Die Bürger bei der Energiewende einbinden
Wanka: Kleine und mittlere Unternehmen. Die können über Jahre bei uns in den entsprechenden Programmen Fördermittel bekommen. Und wir haben auch in den Koalitionsverhandlungen über das Thema steuerliche F-und-E-Förderung diskutiert. Und dann aber ist die Entscheidung gefallen, bei den Geldern, die zur Verfügung stehen, die zusätzlich ausgegeben werden, diese 23 Milliarden, dass es da nicht realisierbar ist. Oder etwas anders gesagt: Wenn man eine Koalitionsverhandlung führt mit einem Partner, der eigentlich auf Steuererhöhungen gesetzt hat, dann zu erreichen, es gibt keine Steuererhöhung – das ist ja das Ergebnis –, aber darüber hinauszugehen und noch Steuererleichterung, das war dann nicht mehr machbar.
Pokatzky: Zu dem, was Ihr Haus jetzt fördert, gehören auch 30 Millionen Euro für 33 Projekte, für ganz spezielle Forschungsvorhaben. Da geht es auch darum, wie der Widerstand von Bürgerinitiativen, etwa gegen den Bau von Windrädern oder Stromtrassen, gebrochen werden kann, um das mal ganz brutal zu sagen, Frau Wanka?
Wanka: Nein, nein, das ist wirklich brutal und falsch! Aber es geht darum, das wissen wir doch, dass diese Veränderungen, dass da Leitungen gebaut werden, dass da viel passiert, dass das oft von den Menschen als Bedrohung empfunden wird. Und es geht hier bei diesen Projekten darum, dass man von Anfang an die Zivilgesellschaft, die Bürger einbindet, und nicht erst dann, wenn man das Ding aufstellen will, und auch nicht in einem kurzen Verfahren, ihr könnt mal eure Meinung dazu sagen.
Pokatzky: Brauche ich dazu Studien? Liegt das nicht auf der Hand?
Wanka: Nein, dazu brauche ich Untersuchungen. Und es ist auch wichtig bei der Energiewende, es geht nicht nur um Entwicklung von Technologien, sondern es geht auch um diesen Transformationsprozess, was sich alles in unserem Leben verändern wird. Und es geht wirklich nicht darum, wie Sie es so drastisch formulieren, hier irgendwelche geschickten Theorien, wie man gegen ..., sondern es geht darum, dass man von Anfang an die Bedenken auch ernst nimmt, dass man sie aufnimmt. Und was in der Politik oft falsch gemacht wird, dass man nicht nur über Chancen redet, sondern auch von Anfang an die Risiken. Und es braucht solche Diskussionsprozesse mit den kommunalen Netzbetreibern und vielen anderen, weil, es wird am Ende nicht nur Gewinner geben. Es wird auch Nachteile bringen. Und deswegen ist es wichtig, dass man über diese Tatsache, und wie kann man trotzdem die Menschen dafür gewinnen, dass man das auch durch Forschung, sozialwissenschaftliche, gesellschaftliche Forschung stärkt.
Pokatzky: Aber warum, Frau Wanka, kommt das alles so spät? Drei Jahre nach Fukushima, drei Jahre nach dem Ausstieg aus der Atomkraft? Wäre es nicht viel sinnvoller gewesen, gleich vor drei Jahren mit solchen Projekten anzufangen?
Wanka: Sie sind sehr klug, Sie wissen sofort generalstabmäßig, was man machen muss! Also, Forschung gibt es zu den Themen. Das gab es schon vorher, wie geht man um mit Risiken, wie nimmt man Menschen mit. Jetzt geht es darum, ganz konkret an Beispielen mit Stadtwerken oder anderen, wo der Prozess stattfindet, auch unterschiedlichste Möglichkeiten zu erproben, zu erforschen, zu sagen, wie ist die Zufriedenheit in dieser Kleinstadt, wenn wir das so oder so machen, was haben wir für Fehler gemacht zu Analyse und Befragung in der Bevölkerung? Also mit großem auch Aufwand, und eine Million für so ein Projekt ist viel Geld.
Pokatzky: In dieser Woche tagt ja in Berlin der Weltklimarat und wird am Sonntag seinen Bericht vorstellen. Klima- und Energieforschung hängen eng zusammen. Insgesamt hat Ihr Ministerium für Bildung und Forschung in diesen beiden Bereichen allein im letzten Jahr 750 Millionen Euro investiert. Was erhoffen Sie sich denn vom Bericht des Weltklimarats?
Wanka: Der Weltklimarat ist der beste und größte Vorsorge- und Risikomonitor, der wissenschaftsbasiert ist. Und bei diesem neuen Bericht erwarten wir, oder nach dem, was wir darüber wissen, dass die bestehenden Erkenntnisse bestätigt werden im Grundsatz und die Sicherheit für die globalen Aussagen zur Klimaveränderung noch eine größere wissenschaftliche Untermauerung erfahren.
Pokatzky: Danke, Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung! Und morgen, also am Samstag, gibt es in unserer Sendung "Im Gespräch" von 9:05 Uhr bis 11:00 Uhr ebenfalls zu diesem Thema unter der Fragestellung "Verbockt Deutschland die Energiewende?" die Möglichkeit, dass alle Hörerinnen und Hörer sich lebhaft am Gespräch beteiligen können!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.