Neue Theaterblüte am Bischofssitz

Von Stefan Keim |
In Paderborn gibt es ein schickes neues Theater mit drei Spielstätten. 16 Millionen Euro hat es gekostet, dazu kommen sieben Millionen für Technik und Ausstattung. Auch der Etat wurde erhöht, damit mehr Mitarbeiter angestellt werden können.
(Aus 'Käthchen') "Lief sie über die Straße, ging es flüsternd von allen Fenstern herab: Das ist das Käthchen, das Käthchen von Heilbronn, ein Kind recht nach der Lust Gottes."

Im Lichtkegel steht der Waffenschmied Theobald Friedeborn. Er klagt den Grafen Wetter vom Strahl vor dem Femegericht an, seine Tochter Käthchen verführt zu haben. Im Hintergrund schattenhafte Gestalten. Als sich der schwarze Vorhang zur nächsten Szene öffnet, hat sich die Bühne verändert. Halb hochgezogene Platten deuten einen Wald an. Solche Umbauten waren bisher in den Westfälischen Kammerspielen Paderborn nicht möglich. Das Theater hat nun eine Bühne auf neuestem technischen Stand und einen Zuschauerraum mit 400 Plätzen, fast doppelt so viele wie vorher. Ein Rangtheater, ganz traditionell. Intendantin Merula Steinhardt-Unseld nennt den Grund:

"Das haben wir von Anfang an vorgegeben, vor der Architektenausschreibung, dass wir ein Rangtheater wollen, mit Parkett und einem Rang. Um diese Intimität qua Gebäude zu erreichen, dass alle sehr dicht dran sind und zudem dieses Gemeinschaftsgefühl, dass man gemeinsam Theater sieht. Und da wir ja ein reines Schauspiel sind und bleiben wollen, ist das gerade mit der Sprache und der Mimik ganz wichtig, dass man das so direkt wie möglich erlebt."

Die Tradition der Kammerspiele, die Nähe und Direktheit des Spiels, werden also weitergeführt. Auch wenn der Rahmen nun ein anderer ist. Bisher spielte das 1957 gegründete Ensemble in mehreren, über die Stadt verteilten Spielstätten. Die nach außen kaum als Theater auffielen. Das ist nun anders. Das neue Haus liegt mitten in der Stadt, hat eine große Glasfassade, davor ein neu angelegter Platz. Ein repräsentativer Bau.

Rafael Meltzer: "Da ist ja auch unsere Hoffnung, dass wir jetzt auch Menschen ins Theater bekommen, die sich dafür interessieren, die bisher nicht so genau wussten, was ist das, wo ist das? Ist das was für mich, ne?"

Schauspieler Rafael Meltzer ist seit fünf Jahren in Paderborn. Wie seine Kollegen geht er noch staunend und etwas ungläubig durchs neue Haus:

"Wenn jetzt nie ein Zuschauer da ist, ist das alles erst mal sehr groß. Wir sind so viele Mitarbeiter ja auch nicht, obwohl wir ja aufgestockt haben, da verliert man sich erst mal in den Gängen am Anfang. Da muss man gucken, wer sitzt da wo drin?"

21 neue Stellen wurden geschaffen, insgesamt hat das Theater Paderborn nun 62 Mitarbeiter. Das Ensemble wurde allerdings nicht aufgestockt, es besteht weiterhin aus zehn Schauspielern, verstärkt durch einige Gäste. Vor allem Bühnentechniker wurden gebraucht und Pförtner, die es bisher mangels Pforte nicht gab. Eine Million Euro mehr als bisher braucht das Theater an Zuschüssen, um das große Haus zu bespielen. 900.000 kommen von einer Stiftung, der Rest von der Stadt. Der Kreis hat sechs Millionen für den Bau gegeben und trägt auch die laufenden Kosten der Bühne mit. Das alles ist möglich, weil die Auslastungsquote der Kammerspiele immer über 90 Prozent liegt. Obwohl die Bühne auch sperrige Stücke – zum Beispiel von Sarah Kane – und Uraufführungen zeigt. So konservativ, wie man von außen denken mag , sind die Paderborner nicht. Intendantin Merula Steinhardt-Unseld:

"Wissen Sie, als ich von Hamburg hierher ging, haben die zu mir gesagt, ob ich den Bischof fragen müsste wegen des Spielplans. Erstens wusste ich, dass das nicht so ist, und das ist natürlich abstrus, das stimmt gar nicht. Im Gegenteil, die Paderborner sind sehr aufgeschlossen, mindestens unser Theaterpublikum. Und durch Briefe und Gespräche haben wir immer die Rückmeldung bekommen, dass sie auch gut finden, dass wir neben den Stücken, die alle mitnehmen, dass wir Besonderes machen und auch Ungesehenes und auch Unbequemes."

Immerhin wurde das Theater gestern Abend nicht nur eröffnet, sondern auch geweiht. So katholisch ist man schon in Paderborn. Heute durfte zum ersten Mal zahlendes Publikum hinein. Es gab gleich drei Premieren: Kleists "Käthchen" im großen Haus, die Filmadaption "Leon und Lara" im Studio und ein Brecht/Weill-Liederabend im Theatertreff, der kleinsten Spielstätte unter dem Dach.

(Musik:) "Denn wie man sich bettet, so liegt man…"

Mit seinem ehrgeizigen Spielplan will das Theater Paderborn auch überregional auf sich aufmerksam machen. Neben Goethes "Faust" gibt es eine Koproduktion mit dem Theater im chinesischen Qingdao. Außerdem wird das nordrhein-westfälische Kinder- und Jugendtheatertreffen "Westwind" 2012 in Paderborn stattfinden. All das wäre in den bisherigen Räumen nicht möglich gewesen. Paderborn ist eine wachsende Stadt, bis 2030 – so die Prognosen – wird die Einwohnerzahl weiter steigen. Es gibt High-Tech-Industrie, eine Universität – und die Verschuldung ist noch vergleichsweise erträglich.

Dennoch sind alle glücklich, dass die Entscheidung für den Theaterneubau vor der Finanzkrise getroffen wurde. Die Einrichtung des Theatertreffs unterm Dach wäre fast am fehlenden Geld gescheitert. Doch dann sprang der Förderverein ein und sammelte in kurzer Zeit 200 000 Euro. Die Bürgerschaft steht zu ihrem Theater. Während die meisten Metropolen ihre Kulturetats kürzen, gewinnen vielerorts die regionalen Zentren an Bedeutung. Auch die Städte Siegen und Gütersloh haben in den vergangenen Jahren neue Theater gebaut, zwar ohne eigenes Ensemble, aber mit anspruchsvollen Gastspielen und viel Zulauf.

Das Paderborner Theater hat sogar einen Orchestergraben. Falls mal Opern aufgeführt werden sollen. Der Bürgermeister verkündet stolz, hier solle Kultur auf Großstadtniveau statt finden. Kleists "Käthchen" ist da nur der Anfang.

(Aus 'Käthchen') "Was fesselt dich an meine Schritte an? – Mein hoher Herr, da fragst du mich zu viel. Und stünd' ich so wie ich vor dir jetzt steh vor meinem eigenen Bewusstsein da, so spräche jeglicher Gedanke noch auf das, was du gefragt: Ich weiß es nicht."

Theater Paderborn