Neue Unternehmen

Den Deutschen fehlt der Gründermut

Formulare, Formulare - verbunden mit viel Bürokratie.
Die einen klagen über zu viel Bürokratie bei den Anmelde- und Genehmigungsverfahren, die anderen über mangelnde Risikobereitschaft bei den Banken. © dpa / picture alliance / Hans Wiedl
Von Susanne Arlt |
Die Deutschen lassen sich lieber anstellen. Die Zahl der Unternehmensgründungen ist seit Jahren rückläufig. Überdurchschnittlich häufig gründen allerdings Menschen mit ausländischen Wurzeln, die jedes fünfte neue Unternehmen betreiben. Was sagt das über unser Land?
Im Land der innovativen Ideen sinkt das Interesse an Firmengründungen - und das schon seit Jahren. Gründe dafür gibt es zahlreiche. Die einen klagen über zu viel Bürokratie, zu verzwickte Anmelde- und Genehmigungsverfahren. Die anderen über zu wenig Risikokapitalgeber und zu wenig Risikobereitschaft bei den Banken.
Es gibt aber noch einen Grund für die Flaute im Gründungsgeschehen: die gute Konjunktur. Die Deutschen, einst Wegbereiter ganzer Industrien, sind inzwischen zu Hasenfüßen geworden. Sie setzen lieber auf eine finanzielle Absicherung und einen festen Job statt auf freien Unternehmergeist.
Einziger Hoffnungsschimmer: Gründer mit Migrationshintergrund. Fast jeder fünfte Gründer in Deutschland hat inzwischen ausländische Wurzeln. Entweder haben sie einfach mehr Traute, oder sie haben weniger zu verlieren.
Erwerbslosigkeit war schon immer ein großer Antreiber für Unternehmertum in Deutschland, stellt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag resigniert fest. Darum fordert der Lobbyverband konsequenten Bürokratieabbau, ein Venture-Kapital-Gesetz, mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schon bei Grundschülern das Interesse für mehr Unternehmertum zu wecken.
Und vielleicht sollten die Deutschen auch einfach mal umdenken: Scheitern darf kein Makel sein.
Adalbert Rajca vom Startup-Unternehmen Ampido stellt im März 2013 auf der Gründerkonferenz "Startup Camp Berlin" in Berlin auf einem Pitch-Marathon seine Idee vor.
Gründerkonferenz "Startup Camp Berlin" in Berlin - Aufnahme von 2013© dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke

Manuskript zum Beitrag:
20 Frauen und Männer, zwischen 20 und 50 Jahre alt. Die meisten von ihnen sind leger gekleidet, im Freizeitlook. Vor ihnen auf dem Tisch steht eine Platzkarte mit ihrem Namen drauf.
Viel mehr wissen sie nicht voneinander, trotzdem habe sie dasselbe Ziel. Sie wollen ein Unternehmen gründen: ein Start-up für Apps, ein Café in Form eines Food-Trucks, ein Feinkostgeschäft oder einen Shop für Männer, die sich gerne Frauenkleider kaufen.
Dozent Daniel Schäfer von der Berliner Industrie- und Handelskammer macht ihn erst einmal Mut. Eine wichtige Eigenschaft für Existenzgründer.
"Das größte Risiko, so sagte einst Joachim Ringelnatz ist, dass Sie kein Risiko eingehen. Das größte Risiko ist, dass Sie irgendwann 80 Jahre alt sind, zurückdenken, hätte ich mich damals bloß selbstständig gemacht."
So sehen es allerdings immer weniger. Glaubt man den Zahlen aus dem Gründerreports des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, dann wagen immer wenige Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit.
Einziger Lichtblick: Menschen mit Migrationshintergrund. Fast jeder fünfte Gründer in der Gründerberatung hat mittlerweile einen. Woran liegt das? Haben sie mehr Traute als die Deutschen? Oder einfach nur weniger Angst vorm Scheitern?
Die Spurensuche beginnt bei Maximilian Greschke. 26 Jahre jung, die halblangen, dunklen Haare nach hinten gekämmt, sympathisches Lächeln. Mit seiner Firma Veyo Care – ein Online-Dienst, der freiberufliche Pflegekräfte mit Familien und zu Pflegenden vernetzt – residiert er über den Dächern von Berlin-Mitte. Angenehm loftige Atmosphäre.
Schon früh wollte Maximilian Greschke hoch hinaus.
"Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, kam das auch immer aus so einem kleinen Drang, mich selbst beweisen zu müssen."

Im Leben alles geschafft - und dann die Niederlage

Mit seinem Abi-Notendurchschnitt von 1,2 stehen ihm fast alle Türen offen. Er beginnt ein VWL-Studium an der renommierten Wirtschafts-Universität in St. Gallen. Nach anderthalb Jahren stellt er fest, das Fach ist nichts für ihn. Greschke quittiert, bewirbt sich kurzerhand für ein Informatikstudium an der Harvard-Universität in den USA. Bleibt auch dort nur drei Semester. Gemeinsam mit einem Freund will er ein Start-up in Berlin gründen: ein Software-Tool entwickeln, dass Boutiquenbesitzern den Einkauf optimiert.
"Mein Mitgründer und ich wir waren von dem ganzen Gefühl, diese Sache jetzt wirklich machen zu können, so angetan, dass wir kurzerhand unsere Studien geschmissen haben und drei Tage später nach Berlin gezogen sind. Und so nach acht Monaten ist uns dann klar geworden, dass wir absolut das falsche Team für die ganze Sache sind."
Jetzt klingt das ziemlich abgeklärt. Doch vor vier Jahren fühlte es sich anders an, gibt Maximilian Greschke zu. Bis dahin hatte der 22-Jährige in seinem Leben eigentlich alles geschafft, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Dies nun war seine erste große Niederlage. Ein Scheitern auf ganzer Linie.
"Ich habe erst einmal versucht, solange wie es nur möglich war, mit niemandem darüber zu sprechen. Weil im Endeffekt zwei schwere Sachen da zusammenkamen. Das eine ist Erwartungshaltung. Ich glaube, dass wurde dadurch verstärkt, dass ich dafür mein Studium abgebrochen hatte. Und im Endeffekt da von vorne herein niemand aus meinem Umfeld Verständnis dafür hatte. Und die andere Sache, die es mir wirklich schwer gemacht hat, war so ein Identitätsproblem. Wahrscheinlich auch, weil ich davor noch nie so richtig daran gewöhnt war, zu scheitern."
Eine Identität, mit der es sich in den USA leichter leben lässt als in Deutschland, meint Maximilian Greschke. Auch weil man dort mit Erfolg oder Misserfolg ganz anders umgeht als in Deutschland.
"In den USA da ist es zum einen viel akzeptierter, dass die Leute ihr Studium auch abbrechen, um dort bei Softwarefirmen zu arbeiten. Aber ganz allgemein, Unternehmertum ist dort viel, viel, viel akzeptierter. Und wenn man dort scheitert mit einem Start-up, kann man sich locker überall anders bewerben und das wird total anerkannt."
Denn wer scheitert, ist nicht nur im Nachteil, er hat den anderen auch etwas voraus: Erfahrung.
Eine "Kultur des Scheiterns" – in Deutschland ist sie nicht etabliert. Dass die schwarz-rote Bundesregierung sie in ihrem Koalitionsvertrag einfordert, findet Sascha Schubert amüsant, aber wenig hilfreich.

Lustgründer und Frustgründer

Allerdings schätzt der stellvertretende Bundesvorsitzende Deutscher Startups den Gründerfrust in Deutschland nicht ganz so prekär ein wie der DIHK:
"Wir unterscheiden immer ganz gerne in zwei Typen von Gründungen, einmal die Lustgründer, von der Idee getrieben, ein neues Produkt in den Markt bringen zu wollen und die Frustgründer, die aus der Arbeitslosigkeit gründen. Und die Frustgründer sind sicherlich eine Gruppe, die abnehmen. Die besonders wachstumsorientierten Gründungen, die wir Startups nennen, die steigen aber in Deutschland."
Vor allem in Berlin, betont Sascha Schubert. Nichtsdestotrotz könne der Staat etliche Hebel in Bewegung setzen, damit nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland die Gründerszene wieder wächst. Punkt eins: das Steuerrecht.
"Das immer noch kompliziert ist. So kompliziert, dass man in Deutschland am besten für jedes Startup einen eigenen Steuerberater braucht, der neben dem Datenschützer und dem Juristen das Team bildet."
Punkt zwei: innovative Unternehmensfinanzierung.
"Man braucht so ein Modell wie in Israel, wo man sich beim Eigenkapital beteiligen kann und dann im Veräußerungsfall voll partizipieren kann, also auch sein Geld verzehn-, verfünfzehn-, verzwanzigfachen kann."
Punkt drei: das Insolvenzrecht.
"Aus einer gescheiterten Gründung herauszukommen und wieder neu zu starten, das dauert in Deutschland einfach immer noch zu lang."
Punkt vier: deutscher Kontrollwahn.
"Hier wird viel zu viel geprüft, tot geprüft und kaputt geprüft."
Fremdkapitalgeber lassen sich in der Regel ihr Kapital durch ein Darlehen finanzieren, bei dem dann Zinsen fällig werden. Im Insolvenzfall wird der Gläubiger bevorzugt. Eigenkapital-Investoren, so genannte Business Angels, genießen diese Privilegien nicht. Im Insolvenzfall haben zwar auch sie einen Anspruch am Unternehmen, an erster Stelle aber stehen die Gläubiger. Das Risiko eines Eigenkapital-Investors ist somit deutlich höher. Was zur Folge hat, dass die deutsche Finanzierungskultur vom Fremdkapital getrieben ist. Man kann in der Regel mehr verlieren als gewinnen. Das treibt keinen Eigenkapital-Investor zu Höchstleistungen an.
"Wir müssen eine Kultur des Risikoeingehens schaffen und nicht eine Kultur des Risikoverhinderns. Man muss dafür sorgen, dass man am Gewinn partizipiert. Es ist wie im Fußball, für Siege gibt es halt drei Punkte, für Niederlagen Null und für ein Unentschieden einen und wir gucken immer so drauf, dass wir bloß nicht verlieren und dann irgendwie so ein Unentschieden erreichen. Aber eigentlich gibt es eine ganze große Welt zu erobern."
Land der Gründer - das war einmal. In einem aktuellen Ranking der Weltbank kommt Deutschland mit seiner Gründungs-Aktivität im Vergleich mit 189 Ländern gerade mal auf Platz 107 – weit abgeschlagen hinter Kanada, den USA, Israel, aber auch Ländern wie Armenien, Georgien, Weißrussland. Dabei gibt der deutsche Staat viel Geld für seine Gründer aus. Vor allem in Form von Förderprogrammen. 215 an der Zahl allein für Existenzgründer. Um den Überblick zu behalten, braucht man fast schon einen Spezialisten.
"Es gibt den High-Tech Gründerfonds, das EXIST-Gründerstipendium, es gibt das European Recovery Program gleichermaßen für Kapital für Gründungen, für Startfonds oder für den Gründerkredit, es gibt den KMU-Fonds-Mikrokredit, es gibt Bürgschaften für Investitions- und Betriebsmittelkredite, und auch für Investoren gibt es etwas, den INVEST Zuschuss für Wagniskapital."

"One-Stop-Shops" sind deutschlandweit rar gesät

Staatliches Fremdkapital, dann noch gepaart mit deutscher Bürokratie, der stellvertretende Bundesvorsitzende Deutscher Startups schüttelt entnervt den Kopf. Mit seiner Einschätzung steht Schubert nicht allein. Die Weltbank sieht es ähnlich und schreibt in ihrer Studie: Eine Firmengründung in Deutschland ist mit "wesentlichen administrativen Hindernissen belastet". Wer hierzulande eine Firma gründen will, braucht fünfzehn Tage und neun Behördengänge. In den USA sind es nur fünf Tage und sechs Besuche. In Kanada reicht sogar eine einfache Online-Anmeldung. Die so genannten digitalen One-Stop-Shops, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, mit denen eine Gründung in einem Guss gelingen soll, sind deutschlandweit noch rar gesät.
"Das schafft man in Deutschland nicht. Die Bayern wollen natürlich eine bayerische Agentur beauftragen, die das Ding baut. Die Nordrein-Westfalen eine nordrhein-westfälische. Und so ist man dann im Dauerkampf darum, wer macht jetzt was, und im Zweifelsfall baut man es dann halt 16 Mal und 16 Mal schlecht und redet möglichst wenig miteinander da drüber. Man muss sich eigentlich dafür schämen, wenn man sieht, dass kleine Länder die Dinge einfach zehn Mal so schnell hinkriegen. Mit einem Zehntel des Budgets."
Jessica Krauter und ihr Bruder Daniel, beide Mitte 20, sitzen in ihrem schmalen Büro an einem Tisch, die Köpfe dicht zusammengesteckt über Jessicas Smartphone. Durch die Glasfensterfront sieht und hört man den Berliner Straßenverkehr vorbeirauschen. Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung kriegt davon nichts. Er vergnügt sich in diesem Moment auf seinem Segelboot. In Bayern ist heute Feiertag, erklärt er. Die beiden kommen schnell zum Punkt.
"Und zwar wollten wir jetzt noch einmal den Kredit ansprechen, wir haben uns da jetzt ein bisschen informiert, sagt dir KfW was, der KfW-Kredit …"
Das Gebäude der staatlichen Förderbank KfW in Frankfurt am Main
Das Gebäude der staatlichen Förderbank KfW in Frankfurt am Main© dpa / picture alliance / Arne Dedert
Nach einem Urlaub in Thailand und Costa Rica kam den beiden Geschwistern die Idee, den Smoothie neu zu erfinden. Jeden Tag frisches Obst einkaufen, schälen, schnippeln, das Ganze pürieren, dazu hatten sie selber keine Lust. Warum aber nicht gefriergetrocknetes Obst nehmen, das am besten noch im Herkunftsland bis zu seiner vollen Reife wachsen kann? Vitaminreich und aromatisch. Sie gründeten ihr Unternehmen Buah Smoothies. Bevor sie ihre Produktlinie zusammenstellen konnten, hatten sie schon ihren Business Angel Christian an der Hand.
"Das war auf der ersten Messe, er kam vorbei und hat gemeint, wieviel Geld wir brauchen. Da haben wir noch nicht einmal an Geld gedacht. Es ist echt cool, jemanden zu haben, der die Vision teilt."
Einen richtigen Businessplan hatten sie damals noch gar nicht entwickelt, sondern nur das so genannte Business–Canvas-Modell, die einfachere Variante, sagt Jessica Krauter.
"Man schaut, wer sind die Schlüsselpartner, was sind die Vertriebswege, was sind die Marketingstrategien, was sind die finanziellen Mittel. Das sind einfach neun Felder, die man miteinander verknüpft und das ist der Businessplan. Wir haben angefangen und gemerkt na ja so ne Woche später war komplett die Strategie wieder anders. Wie wir gemerkt haben, der Markt fordert etwas anderes."
Statt am Businessplan zu feilen, testen sie lieber ausgiebig ihr Produkt. Kommt eine Geschmacks-Mischung nicht so gut an, variieren sie. All das können sie sich aber nur leisten, weil ihr Investor zum Glück nicht nur ihr Geld-, sondern auch ihr Ratgeber ist. Jeden Montagnachmittag schließen sie sich mit ihm kurz. Jessica Krauter zählt auf der anderen Seite die Vorteile des staatlichen KfW-Kredits auf, den sie für ihr neues Warenlager brauchen: Für 100.000 Euro zahlen sie gerade mal zwei Prozent effektiven Jahreszins. Und können sie den Kredit am Ende doch nicht zurückzahlen, dann haftet die Bank zu 80 Prozent dafür.
"Die Sparkasse oder die KfW? Die KfW, nee die Sparkasse, ah neee warte, … das lässt die sich durch die KfW absichern, die Sparkasse haftet für gar nichts, ... stimmt, stimmt … die Sparkasse gibt euch nur Geld, wenn ihr lückenlos nachweist, dass ihr keins braucht."

Eigentlich wollte sie nie selbstständig werden

Jessica Krauter nickt, Fremdkapital, ein neues Kapitel für sie. Kein unkompliziertes. Bis zum nächsten Telefon-Meeting in einer Woche wollen die Geschwister den Businessplan vervollständigen, mit ihrem Investor noch einmal die Zahlen durchgehen und dann zur Bank. Eigentlich wollte Jessica Krauter nie selbstständig werden. Zu viel Stress, vom Scheitern bedroht, fast jeden Tag bis Mitternacht schuften und dann der ganze Behördenkram.
Die Anmeldung als GbR war einfach, die Umwandlung in eine GmbH dagegen aufwändiger. Sie mussten zum Notar, zum Steuerberater, zum Registergericht. Vom Finanzamt bekamen sie die Steuernummer, dass sie für ihr Gewerbe auch eine Umsatzsteueridentifikationsnummer brauchen, sagte ihnen dort niemand. Und trotzdem bedauern die beiden Jungunternehmer ihren Schritt in die Selbstständigkeit nicht.
"Ich habe es mir schlimmer vorgestellt, aber ich muss zugeben, in Berlin ist es halt so, dass man auch an die Hand genommen wird. Es gibt ganz viele Gründertreffen, es gibt so viel Hilfe, die man bekommen kann. Wenn man jetzt woanders gründet, da kommt es so langsam."
Plötzlich steht Giovanni Bruno in der Tür, 28 Jahre jung, selbst Gründer von zwei Startups. Das erste war ein so großer Erfolg, dass er mit dessen Verkauf sein zweites finanzieren konnte: eine online Marketingagentur. Der studierte Wirtschaftspsychologe verschafft jetzt mit den richtigen Kniffen Unternehmen mehr Präsenz im Internet. In Deutschland an Kapital zu kommen, sei keine leichte Sache, sagt Giovanni Bruno. Wer sich selbstständig machen will, könne sich an viele Stellen wenden. Zum Beispiel das Förder-Programm EXIST.
"EXIST habe ich nicht bekommen. Es war einfach eine bürokratische Hürde ohne Ende."
Also hat er es mit den so genannten De-Minimis-Beihilfen versucht. Die Investitionszuschüsse für Gründer stammen aus einem EU-Fonds. Pro Kopf bekommt man 200.000 Euro. Eine schöne Sache, dachte sich Giovanni Bruno. Aber, so musste er feststellen, auch hier benötigt man Ausdauer.
"Sie müssen einen Finanzplan vorlegen, der den letzten Euro bis ins kleinste Detail für die nächsten fünf Jahre aufsplittet. Schachsinnig. Wir mussten eine GmbH gründen. Wir mussten verschiedene Formalitäten erfüllen, bevor wir da überhaupt drankommen, das hat sich ein Dreivierteljahr hingezogen."
Manche Idee ist da längst überholt. Giovanni Brunos zum Glück nicht. Er und sein Mitgründer bekamen schließlich ein Gründer-Stipendium von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt. Der Weg zum Ziel war trotzdem steinig.
"Wir haben ja eine Plattform gegründet, auf der man Werbung schaltet. Und wir mussten das einer Bank erklären, einer Landesbank, jetzt mal ohne die beiden zu kritisieren, das waren ganz nette Menschen. Aber der eine war knapp 60 und der hatte noch nicht einmal ein Smartphone. Und der andere, der war knapp 30, brachte nicht die Expertise mit, wusste nicht was Metriken sind, was Traffic oder Besucherzahlen, er wusste nicht wie man online Werbung schaltet oder wie man generell Modelle aufbaut im Internet. Und das hat uns natürlich die ganze Sache sehr erschwert. Wie wollen sie einen Menschen überzeugen, der ihnen 250.000 Euro geben soll, aber eigentlich gar nicht kapiert, was sie tun. Das ist Deutschland."
Zu bürokratisch, zu stark auf Sicherheit fixiert, zu kontrollwütig – das ist Deutschland? Dabei liest sich das im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung ganz anders.
"Wir möchten einen neuen Gründergeist in Deutschland wecken. Unser Ziel ist dabei, die Zahl der Gründungen von derzeit 10.000 in den nächsten Jahren kontinuierlich auf 15.000 pro Jahr zu steigern. Dafür sollen Antragsverfahren entbürokratisiert werden. Um Gründungen aus der Beschäftigung auch für Arbeitnehmer zu ermöglichen, werden wir analog dem Modell der Familienpflegezeit die Möglich ein Gründungszeit einführen. Mit Investitionszuschüssen wollen wir den Einsatz von Wagniskapital weiter fördern."
Heere Ziele, von denen viele nicht realisiert wurden.
"Nein ich bin nicht zufrieden. Ich würde mal sagen, die Ziele sind immer noch richtig und klasse, also sehr gut Ziele wenn Sie so wollen, ne eins. In der Umsetzung würde ich uns eine 3 minus geben."
Hubertus Heil, SPD-Politiker, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag und dort für die Themen Wirtschaft, Energie, Bildung und Forschung zuständig. Dass immer weniger Deutsche eine Firma gründen möchten, liegt seiner Meinung nach an drei Faktoren: An der guten wirtschaftlichen Entwicklung, keiner möchte da das Risiko einer Selbstständigkeit eingehen. Am gestrichenen Rechtsanspruch für den Gründungszuschuss aus der Arbeitslosigkeit. Und an den Rahmenbedingungen für das Wachstum junger Unternehmer, die seiner Meinung nach nicht ausreichend sind.
"Ich glaube, dass es notwendig ist, erfolgreiche Beispiele von Existenzgründern auch publiker zu machen und Menschen auch ermutigen, diese Weg auch gehen zu können. Ich habe gestern ein Unternehmen besucht, das war vor fünf Jahren ein Start-up, hat inzwischen 1800 Beschäftigte, Hello Fresh. Das ist ein Unternehmen, die im Rahmen von Digitalisierung ein Geschäftsmodell entwickelt haben, Menschen, die zu wenig Zeit haben einzukaufen, ne Kochkiste zusammenzustellen. Das boomt, und das ist ein Beispiel von jungen Leuten, die den Mut hatten, aber auch das Glück hatten, Wagniskapitalfinanzierung zu finden. Solche Beispiele müssen wir publiker machen."
Indirekt hat Hubertus Heil es schon angesprochen: das fehlende Wagniskapitalgesetz. Die Sozialdemokraten wollten darin einige Steuererleichterungen für Startups auf den Weg bringen. Doch mit Hilfe des Koalitionspartners ist es versickert.
"Ich wünsche mir, dass wir nicht nur Schlimmeres abwenden, das ist gelungen, dass die Verlustvorträge beispielsweise bei Unternehmensveräußerungen steuerfrei bleiben. Wir müssen weitergehen. Zum Beispiel bei Start-ups dafür sorgen, dass diejenigen, die ins Wachstum dieser Unternehmen als Investoren investieren, die Verlustvorträge, die in der Regel ja dann eintreten, weil am Anfang noch kein Wachstum, kein Ertrag ist, im Zweifelsfall bei der Veräußerung auch übertragen können. Wenn es uns gelingt, ein Modell zu finden, das auf Start-ups zu konzentrieren und kein allgemeines Steuerschlupfloch daraus machen, dann könnten wir in Deutschland, glaube ich, einen richtigen Schub für Gründungen und Wachstum von jungen Unternehmen auslösen."
Ordentlichen Anschub gebe auch der neue, milliardenschwere Fonds. Elf Milliarden Euro will der Bund zusätzlich für Startups ausgeben. Mit dem Geld sollen erfolgreiche Fonds aufgestockt und die Kreditanstalt für Wiederaufbau in die Lage versetzt werden, Beteiligungskapital zu gewähren. Für jeden Euro Wagniskapital erhalten die Gründer vom Staat einen Euro Kredit. Der Vorteil dabei: Sie müssen insgesamt weniger Firmenanteile an den Privatinvestor abtreten.
"Also Leute ich unterbreche noch einmal kurz, wie sieht es aus, was machen die Firmengründungen?"
Berufsorientierung in der achten Klasse – für Berlin ein Novum. Erst seit diesem Schuljahr ist es Pflicht. Drei Tage lang beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Stärken und Schwächen, sie sollen ihre Kompetenzen, ihre Potentiale für die später richtige Berufswahl erkennen. Bis hin zur Frage: Lieber später eine Festanstellung oder in die Selbstständigkeit.

"Wenn eine Mission eine Milliarde einbringt und die Investoren dazu noch vielleicht 500 Millionen spenden …"
Vor fünfzehn Jahren hat Karl Schwarz seinen Beruf an den Nagel gehängt und arbeitet seitdem als Lehrer am Werner-von-Siemens-Gymnasium. Mit dem Quereinsteiger tauchte damals auch zum ersten Mal das Fach Wirtschaft an der Schule auf – allerdings freiwillig. Inzwischen ist es Wahlpflichtfach in der zehnten Klasse. Schwarz findet es wichtig, dass die Schüler schon frühzeitig Themen aus dem Arbeits- und Wirtschaftsbereich kennenlernen.

"Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung" an Schulen in Baden-Württemberg

"Ich denke Wirtschaft ist ein wichtiges Thema, die Frage ist muss es dauerhaft unterrichtet werden oder genügt es, das, so wie wir es machen, in einem Schuljahr punktuell anbietet, aber nicht als Dauerfach. Dass man sagt Wirtschaft ab einem gewissen Alter, wo es dann ach relevant wird für die Zeit danach, da wäre es wichtig."
In keinem Bundesland ist das Fach Wirtschaft bisher Pflichtfach gewesen. Zu groß anscheinend die Angst bei der Lehrer- und Elternschaft, dass künftig einseitig über ökonomische Systeme unterrichtet werden könnte - ohne den Blick dabei auf politische Systeme zu richten. Ihre Ängste: Wirtschaftslobbyisten öffne man somit die Tür in Deutschlands Klassenzimmer, was teilweise ja auch passiert.
Für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag ist die Ökonomische Bildung dagegen unverzichtbar, sie sollte darum an jeder Schule Pflichtfach sein. Kein Bundesland hat sich dies bislang getraut, Baden-Württemberg macht es nun vor. Im Herbst wird dort landesweit das Fach "Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung" an allen weiterführenden Schulen eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler sollen wissen, was eine Staatsanleihe ist oder wie ein Hedgefonds funktioniert, sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann.
"Also die pauschale, reflexartige Unterstellung, da geht es nur drum, ökonomische Höchstleistungen für die Zukunft zu generieren, das ist nicht Inhalt und auch nicht Zielsetzung. Sondern die ganze Bandbreite und Vielfalt von wirtschaftlichem Zusammenhängen und wirtschaftlichen Kräften, die in einem Wirtschaftsraum mitwirken. Man hat tatsächlich festgestellt, dass ökonomische Abläufe bei Jugendlichen wenn sie die Schule verlassen, relativ wenig bekannt sind. Wo einem oft auch von Eltern gesagt wurde oder von Jugendlichen selbst, wenn sie aus der Schule kommen, wissen tue ich ja gar nichts."
Das Fach soll den Schülern die Berufswahl erleichtern, das Wissen erweitern, die Perspektiven der dualen Ausbildung vermitteln. Nicht nur das Abi oder ein Hochschulabschluss führten zu vermeintlichem Reichtum, unterstreicht die CDU-Politikerin.
"Darüber Fachwissen zu haben, in aller Neutralität und Objektivität, das kann also so falsch nicht sein. Das ist weder rückwärtsgewandt, noch neoliberal, das verfolgt gar keinen Ansatz. Sondern soll Fachwissen vermitteln. Ich glaube, dass wir da tatsächlich einen Nachholbedarf haben. Es geht darum, Wissen von Abläufen im wirtschaftlichen Bereich zu vermitteln und das kann man uns zutrauen, das kriegen wir hin."
An den Beratungen für das Fach waren gleichermaßen Verbandskammern, Gewerkschaften, Unternehmen beteiligt. Dass Vertreter von ihnen auch in den Unterricht kommen, findet Susanne Eisenmann nicht abwegig. Zum Thema Tarifrecht hätten ein Unternehmer und ein Gewerkschafter den Schülern sicherlich gleichermaßen viel zu sagen. Susanne Eisenmann kann sich sogar vorstellen, dass das neue Pflichtfach den Schülern die Angst vor der Selbstständigkeit nimmt und mehr Unternehmertum generiert.
"Wird aber nicht das Allheilmittel sein. Wir haben in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern glaube ich auch das grundsätzliche Problem, dass bei uns gesellschaftlich die Kultur des Scheiterns keine Akzeptanz hat. In anderen Ländern ist es durchaus nicht die Schande, mal was zu probieren und auch zu scheitern. Die Schande ist, dann nicht wieder aufzustehen."
Wie oft seine Familie nach einer gescheiterten Firmenidee wieder aufgestanden ist und neu angefangen hat, Evren Demircan weiß es nicht genau. Mitte der 90er gründete seine Familie in Stuttgart einen Supermarkt mit türkischen Produkten. Weil nicht genug Kunden kamen, eröffneten sie eine Metzgerei, danach eine Boutique, dann einen Dönerladen, schließlich wieder einen Supermarkt. Der Erfolg kam endlich mit einem Schnellimbiss im Nachbarort Waiblingen. Heute hat die Familie zwei florierende Schnellrestaurants mitten in der Stuttgarter Innenstadt: "The Word of Kebab" und "The world of Manti". Das Rezept für die köstlichen Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen stamme noch von seiner Oma, erzählt der 32-Jährige stolz. An der Wand seines modern eingerichteten Imbisses hängen Foto-Reproduktionen aus der Heimat seiner Eltern, der Hafenstadt Sinop im Norden der Türkei.

"Also in dem Haus ist meine Mama geboren, hier hat mein Großopa das erste Geschäft von uns eröffnet. Da haben hier früher Großfamilien gelebt. Keiner lebt mehr in den Dörfern."
Die meisten sind in die Stadt gezogen, manche haben sich eine neue Heimat in Deutschland gesucht. So wie seine Eltern. Der Vater fand einen Job bei Bosch, seine Mutter bei der Post. Parallel zum Acht-Stunden-Tag betrieb der Vater die Geschäfte: die Boutique, den Dönerimbiss, die Metzgerei.
"Das habe ich eigentlich später nach 20 Jahren begriffen, dass ich alles von ihm hab. Wie ich verkaufe, wie ich mit den Leuten rede, wie ich mit den Leuten umzugehen habe, respektvoll. Das habe ich alles von meinem Papa und ich glaube, das war meine Stärke und diese Stärke wollte ich immer ausnutzen. Und das konnte ich halt nicht irgendwo, wo ich angestellt war, machen. Also ich konnte mich nicht austoben, es ist auch nicht das Geld, es ist einfach, was kann ich erreichen?"
Trotzdem machte er nach dem Realschulabschluss erst einmal eine Lehre als Mechatroniker. Natürlich bei Bosch. Wie der Papa. Nach erfolgreichem Abschluss sah ihn die Personalabteilung aber nur in der Drei-Schicht-Produktion. Für zehn Jahre sollte er sich dort verpflichten. Dabei hatte er Angebote aus anderen, viel spannenderen Abteilungen. Doch die Personalabteilung setzte sich durch. Obwohl er sich ungerecht behandelt fühlte, unterschrieb er. Nach nur einem Jahr kündigte er. Ihm fehlte dort einfach die Perspektive.
"Die Ausbildung war ein Schritt nach vorne für mich, das musste ich haben, bei Bosch habe ich auch sehr, sehr viel gelernt, Disziplin habe ich gelernt. Es ist jetzt nicht so, dass ich sage, ach wir sind alle benachteiligt, manchmal ist es auch was Gutes. Also bei mir hat es ganz gut gewirkt, ich habe einfach härter gearbeitet, ich wollte immer besser sein und es hat sich am Ende auch ausgezahlt."
Migranten haben mehr Mut zum Gründen als Deutsche, so steht es im DIHK-Gründerreport. Fast jeder fünfte Gründer hat mittlerweile einen ausländischen Hintergrund. Auch eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab: Migrantenunternehmen sind inzwischen ein Jobmotor für Deutschland. Sie beleben nicht nur die Wirtschaft, sie schaffen als Arbeitgeber auch Arbeitsplätze. Und wer den Schritt in die Selbstständigkeit wagt, verdient in der Regel mehr als ein abhängig Beschäftigter mit einer Zuwanderungsgeschichte. Gründe für diese Entwicklung nennen die Studien leider nicht.
Gueven Oektem, ein guter Freund von Evren, hat vor zwei Jahren das Startup Fleetize gegründet. Das Unternehmen entwickelt ein Gerät, das kleinen, mittelständischen Unternehmen hilft, ihren Fuhrpark zu digitalisieren.
"Der Vorteil für den Unternehmer ist, dass er so Missbrauchsprävention betreiben kann und unentdeckte Potentiale nutzen kann. Gibt es Fahrzeuge, die untergenutzt werden. Er kann seine Servicequalität erhöhen, indem er seine Kunden mitteilt, wann die Lieferung beispielsweise eintrifft. Er kann zum Beispiel auch seine Fahrtenbücher elektronisch erstellen lassen."
Inzwischen vertreibt er sein Produkt in ganz Deutschland, aber auch in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz. Dass immer mehr Migranten gründen, ist auch ihm aufgefallen.
"Um sich selbstständig zu machen, braucht man Mut, man muss risikobereit sein. Wenn ich mir überlege, dass ich von einem Mann erzogen bin, der ein Land verlassen hat, in ein komplett neues Land gegangen ist, dann muss er schon ziemlich Mut gehabt haben."
Vielleicht lautet die Antwort auch: Wer die Traute hat, der gründet. Ganz einfach.
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