Auf der Suche nach etwas, das bleibt
Nicht alle treten aus, viele Menschen treten auch heute noch ganz bewusst in die Katholische Kirche ein - und ihre Zahl steigt. In Glaubenskursen nehmen Interessierte ersten Kontakt auf zu ihrer neuen Religion.
Sie haben die Stühle zusammengerückt und diskutieren angeregt – zwei Dutzend Menschen, die meisten zwischen Anfang 20 und Mitte 30, einzelne gehen auf die Rente zu. An Ostern werden sie getauft, und darauf bereiten sie sich in einem Glaubenskurs vor. Mitten im Raum liegt eine große, aufgeschlagene Bibel, daneben brennt eine schlichte weiße Kerze.
Theologin Gabriela Grunden: "Ihnen und euch allen ein herzliches Willkommen. Wir werden uns heute inhaltlich auseinandersetzen mit dem Glaubensbekenntnis. Was ist das eigentlich, was Christen jeden Sonntag im Gottesdienst bekennen?"
Die Theologin Gabriela Grunden leitet den Kurs, in dem die Neu-Katholiken etwas lernen über die Kirche, zu der sie künftig gehören: Welche Sakramente gibt es, wie läuft ein Gottesdienst ab, was bedeuten kirchliche Rituale, worum geht es in der Bibel?
Eva-Maria Bachmeier lebt seit zehn Jahren in München, geboren und aufgewachsen ist die 22-Jährige in Chemnitz. Mit Religion hatte sie dort wenig zu tun.
"Das hat alles mehr oder weniger mit meinem Mann angefangen und mit seiner Familie, die aus Niederbayern kommen und tatsächlich alle katholisch sind und gerne in die Kirche gehen. Ich wurde dann einfach mitgenommen in die Gottesdienste und musste immer flüsternd meinen Mann fragen: Was muss ich jetzt tun, wann muss ich aufstehen? So bin ich da hingekommen."
Es kommen Konfessionslose, Protestanten und Muslime
Wie Eva-Maria Bachmeier geht es mehreren hier. Im Glaubenskurs nennen sie diesen Weg zur Taufe über den Partner scherzhaft das Romeo-und-Julia-Prinzip. Die Bald-Kirchenmitglieder haben viele Fragen: Wie geht beten? Wird die Religion meinen Alltag verändern? Und: Kann ich das, was in der Bibel steht, überhaupt glauben?
"Mein Mann und ich, wir sind immer öfter jetzt am Diskutieren, wie wir uns Gott vorstellen. Und auch die Geschichte, Gott erschuf die Erde in sieben Tagen …Das wird für mich immer ein Punkt sein, der dazugehört: Dass man hinterfragt, dass man diskutiert und dass man nicht einfach alles banal hinnimmt. Man muss einfach auch mitarbeiten, wenn man Religion leben möchte."
Der erste Arbeitsschritt, das ist der Glaubenskurs über mehrere Monate in der sogenannten Glaubensorientierung, einer Einrichtung des Erzbistums München und Freising. Hier gibt es auch einen Gebetskreis für junge Erwachsene, biblische Besinnungstage und – vielleicht das Wichtigste: Mehrere Theologen bieten denen, die sich für Kirche interessieren, Einzelgespräche an. Die meisten hatten bisher kaum Berührungspunkte mit der katholischen Kirche: Es sind Konfessionslose, aber auch Protestanten oder Muslime, die konvertieren wollen, sagt die Theologin Gabriela Grunden:
"Es ist so, dass die Leute, die kommen, wenig Vorurteile haben. Sie sind eher offen, neugierig, verbinden mit katholischer Kirche eine lange Tradition, etwas Beständiges. Sie besuchen oft Kirchen und sagen dann: Da hab ich mich wohl gefühlt, da hab ich einen Gottesdienst erlebt, da konnte ich still werden. So finden oft Menschen zur Kirche."
Viele, die eintreten, haben ein persönliches Anliegen: Sie suchen nach Sinn, wollen einen Schicksalsschlag verarbeiten, wünschen sich Stabilität in unübersichtlichen Zeiten. Es hat fast den Anschein, als würde die Kirche, die häufig als überkommene, aus der Zeit gefallene Institution gilt, wieder an Attraktivität gewinnen. Natürlich sind die Austrittszahlen nach wie vor deutlich höher als die Zahl der Neumitglieder: Evangelische und katholische Kirche zusammen genommen, traten im Jahr 2015 knapp 400.000 Menschen aus. Dem stehen rund 20.000 Eintritte gegenüber, also gerade mal ein Zwanzigstel. Dennoch: Die Bedeutung der Erwachsenentaufe wächst, heißt es bei der Deutschen Bischofskonferenz. Und Gabriela Grunden erreichen Anfragen, die auch mit dem politischen Kontext zu tun haben:
"In letzter Zeit interessanterweise durchaus: Von Menschen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Die im Einsatz für Flüchtlinge gemerkt haben, welche Unterstützung es von den Kirchen gibt. Und die sagen, darüber habe ich einen Zugang gefunden, da ist für mich auch eine neue Glaubwürdigkeit erreicht. Ein großer Faktor ist auch dieser Papst. Wo viele sagen, ich war bislang gar nicht religiös, aber diesem Mann, dem glaube ich’s."
Viele kritische Fragen
Aber was ist mit den viel diskutierten Streitthemen? Sind die, die sich taufen lassen, ohne jeden Zweifel?
"Sie sind sehr offen, aber haben alle kritischen Fragen: Frau und Kirche, Ehe, Ehescheidung, Wiederverheiratung. Wie ist das mit der Kirchensteuer, natürlich auch die Frage: Umgang mit der schmerzvollen Vergangenheit der Kirche, auch mit der Missbrauchsvergangenheit, mit den Finanzskandalen – durchaus kritisch wird nachgefragt."
Steve Schumann war vor einem Jahr im Glaubenskurs und hat sich anschließend taufen lassen. Jetzt erzählt der gebürtige Berliner den angehenden Katholiken von seinen ersten Schritten in der Kirche:
"Dass man mit sich selbst ins Reine kommt und sich befreien kann von alten Lasten. Dass man nach vorne schaut – es gibt irgendwie Stabilität."
Freunde und Familie des 31-Jährigen reagierten unterschiedlich. Manche fanden das mit der Taufe gut, andere schwachsinnig. Das sei doch nicht modern, nicht innovativ. Also: Warum hat sich Schumann ausgerechnet für die katholische Kirche entschieden?
"Ich sehe selber unwahrscheinlich viele junge Leute, die zur Kirche gehen. Die Glaubensorientierungskurse werden immer voller. Die Zeit ist vorbei, dass die Kirche altmodisch ist. Ich lasse mir die Sexualität oder irgendwas anderes auch nicht vorschreiben. Man muss sich davon selber überzeugen und nicht das, was vom Hörensagen entsteht."
Eva-Maria Bachmeier war überrascht, wie offen sie Kirche erlebt hat – diese Institution, die vielen als verschlossen und weltabgewandt erscheint. Von nächster Woche an gehört sie dazu: In der Osternacht wird die 22-Jährige getauft.
"An dem Abend geh ich glaub ich nur noch ins Bett. Weil der Gottesdienst geht erst abends los und dauert vier Stunden mit 16 Täuflingen. Danach geht’s schön zum Brunchen am Ostersonntag. Mit der Familie, klein, ich wollte nie die große Feier haben. Das ist eine Entscheidung für mich und nicht eine Riesensache für den Rest."