"Das Staatsballett muss ein traditionsbewusstes Haus bleiben"
Martin Schläpfer, bisher künstlerischer Direktor des Balletts an der Deutschen Oper am Rhein, wird ab 2020 Direktor des Wiener Staatsballetts. Das Haus steht für traditionelles Ballett, Schläpfer gilt als Modernisierer. Passt das zusammen?
Tanzkritikerin Wiebke Hüster sagt im Gespräch, sie sei gespalten ob der Entscheidung für Schläpfer. Die Wahl sei einerseits berechtigt, weil er seit 1994 bewiesen habe, "dass er ein guter Ballettdirektor ist, dass er sich um seine Tänzer kümmert, dass er deren Training teilweise sogar selbst leitet oder aber ausgezeichnet überwacht, dass er Talente fördert, dass er selber immer wieder zu choreografischen Wunderwerken in der Lage ist." Er habe es auch geschafft, sie bei einer Gelegenheit restlos zu begeistern.
Der Neue muss zeigen, dass ihn Klassiker interessieren
Das alles finde sie fantastisch. Er habe ein tolles Ensemble und einen tollen Spielplan, was das 20. Jahrhundert angehe, aber: "Das Wiener Staatsballett ist ein traditionsstarkes, traditionsbewusstes Haus und soll es auch sein und muss es auch bleiben."
Es gebe dort wundervolle Klassiker-Versionen, die man bestimmt auch ergänzen und überarbeiten könne, aber Martin Schläpfer habe in seiner ganzen Karriere nicht eine einzige solche in seinem Repertore vorzuweisen. Er habe in 25 Jahren kein einziges Mal gezeigt, dass ihn so etwas überhaupt interessiere, sagt Hüster.
Auch sei seine Wahl unter zeitgenössischen Choreografen nicht unumstritten. "Ich habe mir auch schon ganz schön was abgelangweilt." Schläpfer habe in seinen Versuchen, junge Choreografen zu fördern oder Choreografen mit Auftragsarbeiten einzuladen, auch ganz schön oft danebengehauen. Auch laufe seine Ästhetik bei seinen eigenen Inszenierungen manchmal aus dem Ruder, so Hüster.
Schläpfer bewegt sich in einem ästhetisch schwierigen Feld
Tanzhistorisch betrachtet sei Schläpfer die nach-nachgeborene Generation. "Er kommt nach der Moderne, nach der Postmoderne, und das ist ästhetisch ein wahnsinnig schwieriges Feld." Schläpfer stelle sich die Frage, wie man "Post-Forsythe" aus dem akademischen Tanz, der schon in die Post-Akademik weitergetrieben wurde, eine individuelle Handschrift entwickeln könne. Da könne es passieren, dass man herumschlingere, dass man mal gut sei und mal weniger gut.
Hüster spricht sich zum Schluss für die Bewahrung des Traditionellen aus und wünscht sich, dass "mal vielleicht eins der großen Häuser dieses große, wertvolle Erbe pflegt, denn das ist unsere Geschichte".