Vorsichtiges Lob für Tim Renner
Mit dem Musikmanager Tim Renner wird ein Vertreter der Popkultur Kulturstaatssekretär in Berlin. Der Sprecher der Freien Szene, Christoph Knoch, freut sich über die Wahl: "Renner weiß, wie projektbezogen gearbeitet wird."
Frank Meyer: Der Musikmanager Tim Renner, der hat die Brachial-Rockband "Rammstein" entdeckt und die Diskursrocker von "Tocotronic". Zuletzt hat er ein Buch über den Zustand der Musikindustrie veröffentlicht mit dem Titel "Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten: Die Wahrheit über die Popindustrie". Dieser Mann aus der Popkultur wird der neue Kulturstaatssekretär in Berlin, was eine echte Überraschung ist, vielleicht auch ein Zeichen, dass sich etwas verschiebt in der deutschen Kulturpolitik.
Und wir wollen darüber reden mit dem Sprecher der Freien Szene in Berlin, Christoph Knoch, der ist hier bei uns im Studio. Herzlich Willkommen!
Christoph Knoch: Ich grüße Sie!
Meyer: Und außerdem haben wir dabei den Rechtsanwalt Peter Raue, der war lange Jahre Vorsitzender des einflussreichen Vereins der Freunde der Nationalgalerie in Berlin, und er ist ein passionierter Freund der Hochkultur. Das kann man doch so sagen, Herr Raue, oder?
Peter Raue: Das nehme ich so an, ja.
Meyer: Herr Raue, Sie sieht man auch sehr oft im Theater, in der Oper. Lassen Sie uns mal hören, was Tim Renner heute bei der Pressekonferenz zu seiner Opernbesuchsfrequenz gesagt hat.
Tim Renner: Ich war vor einem halben Jahr zum letzten Mal in der Oper, ich muss allerdings zugeben, da war eine Party gerade am Laufen.
Meyer: Ja, also zur Party geht er mal in die Oper vor einem halben Jahr. Das macht ihn wahrscheinlich für Sie jetzt nicht gerade sympathischer, Herr Raue, oder?
Raue: Das kann ich so nicht sagen. Das ist ein sehr sympathischer Mann und ich finde nicht nur Leute sympathisch, die ins Theater, in die Oper, ins Konzert gehen. Dort habe ich Tim Renner allerdings in den letzten zehn Jahren ganz bestimmt nicht getroffen.
Meyer: Aber ist das in Ihren Augen – also wie gesagt, Freund der Hochkultur – nicht Voraussetzung für einen Berliner Kulturstaatssekretär mit den drei Opernhäusern in Berlin, mit den großen Theatern, dass sich so ein Mann dann auch mal ums Theater und um die Oper kümmert und sich das auch ansieht, was da passiert?
Raue: Also die Tatsache, dass er kein unbedingter Fan dieses Bereiches ist, heißt ja nicht, dass er nicht seinen Job ernst nimmt und sich darum kümmert. Ich meine, der Vorgänger André Schmitz war sicherlich eher ein Mann der Hochkultur und musste sich trotzdem um die Freie Szene kümmern. Und dass man heute da ein anderes Gewicht hat, das ist in Ordnung. Der frühere Staatsminister war ein Filmmann, und musste dann trotzdem über bildende Kunst und Theater und Museen entscheiden. Also ich sehe das nicht so eng.
Meyer: Also ganz grundsätzlich: Die Entscheidung für diesen Mann aus der Popkultur als Berliner Kulturstaatssekretär geht für Sie ganz grundsätzlich in Ordnung?
Raue: Das geht in Ordnung. Es ist überraschend, wie immer, wenn Wowereit so was entscheidet, allein wie ein alter Regent entscheidet er das, spricht mit niemandem drüber. Der hat jetzt zwei Jahre Zeit – denn dann wird neu gewählt –, sich zu profilieren, er hat eine großartige Kulturverwaltung hinter sich, die mit den Themen auch der sogenannten Hochkultur – ich mag das Wort nicht so gern, der ernsten Kultur, mag ich auch nicht so gern – vertraut ist, und nun muss er sich einbringen. Und er sitzt in manchen Aufsichtsräten bei HAU und anderen Institutionen, da muss er sich eben mit der Verwaltung auseinandersetzen. Ich bin gespannt, wie man das macht, wenn man 50 Jahre lang nicht in der Verwaltung gearbeitet hat.
Meyer: Christoph Knoch, Sie als Vertreter der Freien Szene, was sagen Sie zu dieser Entscheidung für so einen Mann an der Spitze der Berliner Kultur?
Renner hat Verständnis für Bedürfnisse der Freien Szene
Knoch: Na ja, wir freuen uns schon, das ist jemand, der weiß, wie projektbezogen gearbeitet wird, ob das nun Bands sind oder ob das eine Theaterproduktion oder eine zeitgenössische Tanzproduktion ist, es ist immer die Frage, wie man im Projekt arbeitet. Da muss man sich seine Partner suchen, man muss sich seine Finanzierung suchen. Das ist eben der große Unterschied zu den Institutionen, die für sich bestehen und die nicht projektbezogen gefördert werden. Das kennt Tim Renner. Und ich denke, das grundsätzliche Verständnis dafür, für diese künstlerische Praxis, wird schon viel bringen.
Meyer: Und dass er ein Manager ist, der dann auch gewohnt ist, in Kategorien wie Profitabilität und Ähnlichem zu denken, gibt Ihnen das zu denken dann in Bezug auf Kunstprojekte?
Knoch: Ach, ich meine, mit Peter Raue sind wir uns ja wahrscheinlich relativ einig, dass zum Beispiel die Idee, Stadtentwicklung und Kunst zusammenzubringen, eine sinnvolle in Berlin wäre, und Tim Renner hat das heute früh auch so erwähnt und hat auch sehr klar gesagt: Einerseits bringt natürlich die Kultur die Stadt zum Blühen, zum Glänzen, zum Leuchten, deswegen kommen viele Menschen hierher - das ist diese altbekannte Formel, dass man sagt, deswegen kommen die ganzen Touristen hierher. Aber er hat auch ganz deutlich gesagt – und das ist ein sehr, sehr wichtiger, nicht nur einen Zungenschlag, sondern eine Haltung –, er hat gesagt: Kunst darf nicht in den Verwertungszusammenhang gezogen werden, die muss für sich erst mal bestehen und muss auch geschützt werden vor dem zum Teil ja dann auch durchaus positiven Entwicklungen der Stadt, die sich eben aber auch in Teuerungsraten niederschlagen. Und das ist gut.
Meyer: Ich habe schon von dem Vorgänger von Tim Renner, von Herrn Schmitz, immer mal wieder gehört, dass er sagte: Wir haben halt zwar einen relativ hohen Kulturetat in Berlin, das geht auf die 400 Millionen zu, aber der kann nicht unbegrenzt weiterwachsen und ich kann nur das verteilen, was ich habe. Also immer, wenn ich einer Seite mehr geben will, muss ich jemand anderem was wegnehmen.
Knoch: Ach ja …
Meyer: Und nun sagt der Tim Renner, das hat er schon in Interviews vorher gesagt, die Kreativwirtschaft müsse gefördert werden in Berlin, also zum Beispiel der große Bereich der Musikwirtschaft müsse stärker gefördert werden. Das Geld muss irgendwo herkommen. Herr Raue, an Sie die Frage: Wenn Tim Renner jetzt kommt und sagt, ich gebe jetzt mehr Geld für die Musikwirtschaft aus und nehme das von den bewährten Berliner Institutionen oder woanders her, was sagen Sie dann dazu?
Raue: Na, erstens wird er das nicht sagen können, denn er ist nicht die Spitze der Kulturverwaltung, sondern das ist Wowereit. Und man darf nicht vergessen, dass …
Meyer: Das müssen wir kurz erklären. Der Berliner Regierende Bürgermeister ist in Personalunion der Kultursenator der Stadt. Aber Tim Renner wird ja wohl ein Wort mitzureden haben.
Raue: Na ja, man muss … Ich weiß das aus der Vergangenheit: Alle wesentlichen kulturellen Entscheidungen trifft Herr Wowereit und nicht der Staatssekretär und auch nicht Schmitz, ob das die Besetzung einer Intendanz ist, ob das eine Förderung einer Theateraufführung ist, ob das die Unterstützung von Lottobeiträgen ist – das macht schon der Kultursenator Wowereit. Man mag das gut oder schlecht finden, das ist so. Und wenn er, jetzt Tim Renner, kommt und sagt, das ist doch wunderbar, dann nehme ich den Opernhäusern mal was weg, dann wird er auf Schwierigkeiten stoßen. Ich unterstütze ihn vollkommen, wenn er sagt, er muss den Musikbereich unterstützen, aber vielleicht … Das ist eine Frage der Wirtschaft und nicht so sehr der Kultur. Hier geht es, glaube ich, um ein anderes Gebiet, das da bearbeitet werden muss, und den Kultureinrichtungen, den Theatern, die wahrlich nicht in Geld schwimmen, Geld wegzunehmen, das wird nicht ganz einfach sein und seinen Beliebtheitsgrad am Anfang vielleicht nicht gerade erhöhen.
Meyer: Jetzt klingt das aber so, was Sie sagen, Herr Raue, als ob Tim Renner an dieser Stelle eigentlich auch gar nicht groß was verändern kann.
Raue: Ich habe da auch Zweifel. Er ist es jetzt für zwei Jahre, er hat einen Kultursenator, der immer Stopp sagt, wenn es ihm nicht gefällt, und ob er da wirklich groß was verändern kann, das weiß ich nicht. Er kann Akzente setzen, er kann … Vielleicht sage ich, ich gehe lieber statt zur Eröffnung der Theaterfestspiele zur Eröffnung irgendeiner Musik-Jazzveranstaltung. Das mag er alles tun. Aber dass er die Struktur der Kulturszene in Berlin in diesen zwei Jahren, die vor ihm liegen, verändern kann, das glaube ich nicht.
"Alle wesentlichen kulturellen Entscheidungen trifft Wowereit"
Meyer: Herr Knoch, ist das dann vielleicht auch nur so eine Marketingstrategie, so jemanden zu berufen, dass man sagt, hier haben wir ein Aushängeschild, der Mann steht für Musik, der steht für eine junge, kreative Clubkultur und so weiter, mit dem können wir gut Werbung machen für die Partyhauptstadt Berlin? Ist das seine Rolle?
Knoch: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Tim Renner stark genug ist, um sich nicht benutzen zu lassen als Marketingmaskottchen, und es ist richtig, wie Herr Raue das gesagt hat: Zunächst wird er nicht viel verändern können, weil die Budgets feststehen. Die Haushaltsverhandlungen sind jetzt vorbei und die Haushaltszusammenstellung wird Herr Renner nicht verändern können.
Aber es gibt ja natürlich Sachen: Es kann ja nie darum gehen, den einen was fortzunehmen, um den anderen mehr zu geben. Es kann nicht der Ansatz sein. Die Stadt hier wächst, die Stadt blüht. Es passieren im Kunstbereich unglaublich viele Sachen. Wir sind da wirklich auf einem hervorragenden Niveau, ob das darstellende, bildende Kunst ist, ob das der Tanz ist. Es geht darum, wie man Mittel und Wege findet, dass man das insgesamt stärker macht. Die City Tax, die hier eingeführt werden sollte – das wäre eine Möglichkeit gewesen, aber die ist leider in letzter Minute … Es ist wie ein Betrug gewesen, man hat das so laufen lassen, gesagt, das ist für mehr Kultur, und dann in letzter Minute hat man gesagt, ist doch für den Haushalt. Und da hoffe ich, dass er stark genug sein wird, sich die Butter da nicht vom Brot nehmen zu lassen.
Meyer: Und Herr Raue, Sie …
Raue: Die City-Tax-Geschichte ist natürlich eine Entscheidung von Wowereit gewesen.
Knoch: Absolut, absolut, das ist wirklich … Ja, das ist richtig. Und das ist auch das Problem.
Meyer: Herr Raue, Sie als auch ja jahrzehntelanger Beobachter der deutschen Kulturpolitik, ja auch weit über Berlin hinaus – jetzt so einen Typus auch, einen Popmusik-Manager an die Spitze einer Kulturverwaltung zu holen oder fast an die Spitze, wie sehen Sie das auch als Signal? Ist das für Sie auch ein Signal, dass sich da was dreht in der deutschen Kulturpolitik?
Raue: Das kann ich noch nicht genau sagen. Man könnte es so sehen, dann ist es ja auch nicht falsch. Wir müssen ja immer wieder, Chef der Medienfestspiele, Thomas Oberender, hat das ja kürzlich auch formuliert, …
Knoch: Genau, ja.
Raue: … darüber nachdenken, ob die Strukturen, so, wie wir sie haben, richtig sind, was man verändern kann, und dass da mal einer kommt, der aus einem ganz anderen Bereich, aus einer ganz anderen Himmelsrichtung kommt und so eine Art Hefeteig in der Diskussion ist, finde ich völlig in Ordnung.
Knoch: Ja. Und man sieht das ja auch an den Möglichkeiten, die da sind. Er wird wahrscheinlich einen neuen Diskurs dort mit reinbringen können und neue Fragen stellen können, und natürlich auch – es ist ja der Kulturstaatssekretär, der auch sehr stark in die Partei hineinwirken wird, auch in die Koalition mit reinwirken wird. Tim Renner hat ja ganz hervorragend zusammen mit Oliver Scheytt an dem neuen Kulturprogramm der SPD zum Bundestagswahlkampf mitgearbeitet, und die Positionen, die dort formuliert worden sind, sind erheblich weiter als das, was in Berlin gemacht wird.
Raue: Ja...
Knoch: Insofern kann man, glaube ich, nicht nur in der Anerkennung, sondern auch in dem, wie die Sachen dann gemacht werden – und das wird dann auch budgetäre Auswirkungen haben –, würde ich sagen, erst mal optimistisch sein.
Meyer: Also einigen wir uns: Wir beobachten zu Dritt weiterhin gespannt, was Tim Renner dann tatsächlich bewegen kann als Berliner Kulturstaatssekretär. Ich danke sehr dem Rechtsanwalt Peter Raue, der für uns am Telefon war, vielen Dank Herr Raue, …
Raue: Ich danke Ihnen!
Meyer: … und vielen Dank an Christoph Knoch hier bei uns im Studio, Sprecher der Freien Szene in Berlin. Vielen Dank!
Knoche: Sehr gerne, und Gruß an beide!
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