Neuer Blick auf die Entstehung des Punk

28.11.2008
New Yorker Juden haben den Punk erfunden - diese überraschende These versucht der amerikanische Musik-Wissenschaftler Steven Lee Beeber in "Die Heebie – Jeebies im CBGB’s" zu belegen. So waren zum Beispiel die Hälfte der "Ramones" jüdischen Glaubens. Beeber zeichnet eine neue Geschichte des Genres von seinen Vorläufern über die Patti Smith Group bis zur aktuellen Avantgarde.
Die Ramones waren mit Sicherheit eine der stilprägendsten, aber auch umstrittensten Bands der amerikanischen Musikgeschichte: Vier Jungs aus dem New Yorker Stadtteil Queens mit langen Haaren, zerrissenen Jeans und schwarzen Lederjacken. Ihre Songs wie "Blitzkrieg Bop" oder "Today your Love, tomorrow the world" – auf Deutsch eingezählt und im 3-Akkord-Hauruckstil vorgetragen – waren mit ihren Gewaltfantasien und ihrem Nazi-Jargon eine offene Provokation im Post-Woodstock-Zeitalter Anfang der 70er Jahre.

Was allerdings bis heute kaum jemand weiß: Die Hälfte der Ramones waren jüdischen Glaubens. Sänger Jeff Hyman alias "Joey" Ramone und auch Schlagzeuger Tamás Erdély alias "Tommy" Ramone entstammten osteuropäischen Einwanderer-Familien, die vor bzw. während des Zweiten Weltkriegs in die USA geflohen waren.

Amerikanische und vor allem New Yorker Juden haben den Punk erfunden – so lautet die überraschende These des amerikanischen Musik-Wissenschaftlers Steven Lee Beeber. Beeber hat für sein Buch über hundert Protagonisten der frühen Punk-Jahre interviewt. Er zeichnet eine völlig neue Geschichte des Genres von seinen Vorläufern wie Blue Öyster Cult und Velvet Underground über Gruppen wie Blondie, die Patti Smith Group und die Dictators bis hinein in die aktuelle Avantgardeszene um den Saxophonisten John Zorn.

Folgt man Beebers Argumentation, dann ist die große Zahl jüdischer Musiker in den Anfangsjahren des Punk kein Zufall, sondern die logische Konsequenz ihrer Geschichte. Vor allem die zweite Generation jüdischer Einwanderer war besonders anfällig für die Radikalität und die Tabubrüche des Genres. Humor und Angst – die beiden "Zwillingspole der jüdisch- amerikanischen" Erfahrung - seien im Punk exemplarisch verkörpert. So erklärt Beeber die immer wiederkehrende Verwendung von Nazi- Terminologie und Nazi-Symbolen bei jüdischen Bands wie den Ramones, Blue Öyster Cult oder Blondie als eine Art übersteigerte, selbstironisch-sarkastische Versicherung der eigenen Identität.

"Die Heebie – Jeebies im CBGB’S" ist gleichermaßen ein geisteswissenschaftlicher Essay und eine gut recherchierte und interessant geschriebene Reportage über die New Yorker Musikszene der 70er Jahre. Man muss die Thesen von Steven Lee Beeber nicht unbedingt teilen, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen.

Rezensiert von Carsten Beyer

Stephen Lee Beeber: Die Heebie-Jeebies im CBGB’s – Die jüdischen Wurzeln des Punk
Aus dem Englischen von Doris Akrap
Ventil-Verlag, Mainz 2008, 299 Seiten, 17,90 Euro