"Was wollen die Leute vom Theater erfahren?"
Ulrich Khuon ist der neue Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Der Intendant des Deutschen Theaters in Berlin wurde bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in Erfurt zum Nachfolger der im Oktober verstorbenen Präsidentin Barbara Kisseler gewählt.
Ulrich Khuon ist seit Langem im Bühnenverein aktiv, zuletzt fünf Jahre als Vorsitzender der Intendantengruppe. Nun wollte er etwas ruhiger treten, sich auf seine Aufgabe als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin konzentrieren.
Durch den Tod der bisherigen Bühnenvereins-Präsidentin Barbara Kisseler im Oktober letzten Jahres fühlte sich Khuon in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen:
"Ich glaube, dass wir mehr sind als ein Verband oder ein Verein. Wir sind auch eine Gemeinschaft, die eine Antwort auf Gesellschaft gibt. Gerade jetzt in diesen politisch unruhigen Zeiten müssen wir genau rauskriegen: Was wollen die Leute vom Theater, von den Künsten erfahren? Die Künste haben da einfach eine Aufgabe, jenseits des alltäglichen Diskurses eine formal geprägte, künstlerisch kraftvolle Form des Forums zu bieten. Und darüber wiederum muss man sich aber austauschen untereinander."
Einziger Kandidat für die Nachfolge
Und dafür sei der Bühnenverein da. Khuon war der einzige Kandidat zur Wahl heute in Erfurt. Er begann in den 70er-Jahren als Theater- und Literaturkritiker, ging bald zum Theater und war Intendant in Konstanz, in Hannover, am Thalia Theater in Hamburg und seit 2009 am Deutschen Theater in Berlin. Er ist Mitglied der Akademie der Künste und Träger des Max-Reinhardt-Rings. Das Thalia Theater Hamburg wurde während seiner Intendanz zweimal zum Theater des Jahres gewählt.
Der richtige Mann als Präsident des Deutschen Bühnenvereins, findet Guy Montavon, Intendant des Theaters Erfurt und Gastgeber der außerordentlichen Hauptversammlung des Bühnenvereins:
"Uli Khuon und der Bühnenverein, das ist ein Herz und eine Seele. Und Uli Khuon hat einen sehr guten Überblick über die gesamte deutsche Theaterlandschaft. Das ist jemand, der sehr gut vermitteln kann, jemand, der sehr gut vernetzt ist, das ist jemand, der charmant ist und Inhalte und vor allem auch eine geistige Linie dem Bühnenverein vorgeben kann und im Sinne der Theater und im Sinne der Landschaft und der Vertreter der Träger und Intendanten den Bühnenverein gut bündeln kann und gut führen kann."
Plädoyer für die erzählerischen Elemente
Für die Kunst als "Selbstüberschreitung des Menschen" will Khuon werben, weniger als für immer mehr Geld von der Politik:
"Wir müssen schon für Positionen der Aufklärung einer globalen oder europäischen Welt, einer emanzipierten Welt, einer nicht rassistisch geprägten Welt, wir müssen dafür Position beziehen. Und die erzählerischen Elemente, die das Theater und die Oper ja haben, die ermöglichen im Grunde Umwege und Nebenwege. Das ist das Entscheidende, dass wir die Menschen auf andere Weise erreichen als über den erhobenen Zeigefinger oder über die Ermahnung oder über die reine Kritik. Und wenn wir das kräftig besetzen, sodass die Menschen in den Städten einfach spüren, dass man ohne diese öffentlichen Orte eigentlich verloren geht, dann sind die ökonomischen Fragen gar nicht das Brisanteste."
Über die gesellschaftliche Rolle des Theaters, über Politik und Kunst, hatte die Intendantengruppe des Bühnenvereins schon gestern Nachmittag diskutiert. Guy Montavon sieht sich mit seinen Kollegen in der Pflicht:
"Ich bin der Meinung, dass das Theater für eine geistige Weltordnung sorgen soll. Und da, wo sie droht, aus dem Ruder zu gehen, müssen wir in unseren Theatern verstärkt die Werte, die wir vertreten und vermitteln müssen, noch stärker zum Ausdruck bringen. Das ist unsere vorrangige Aufgabe."
Gesteigerte Relevanz des Politischen
Hasko Weber, Intendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar und Vorsitzender der Gruppe, sieht zwar eine gesteigerte Relevanz des Politischen im aktuellen Theater, erkennt darin aber nichts wirklich Neues: Als er im Theater begonnen hat, Anfang der 90er-Jahre, sei es auch um eine politische Neuorientierung gegangen:
"Das heißt aber nicht, dass jetzt Kunst ideologisch wird! Also, das wäre ganz falsch. Und schon gar nicht auch die Aufmerksamkeit, die AfD-Politiker in Sachsen-Anhalt der Kultur zuwenden, überbewerten. Man sollte eher fragen: Wieso kümmern die sich darum und nicht die SPD und nicht die CDU? Wann haben die das letzte Mal ein Stück gelesen und sagen, 'Heh, was macht ihr da?'"
Gerade dort, wo die Kultur sich gegen Angriffe von Rechtspopulisten erwehren muss, sieht Weber Defizite: Etwa in Altenburg, wo Schauspieler ihr Engagement vorzeitig beenden, weil sie aus Ausländer auf der Straße angegriffen werden und wo Rechtspopulisten zum Theaterboykott aufriefen, weil sich die Mitarbeiter des Theaters für eine humane Flüchtlingspolitik starkmachten.
Die Reaktionen des dortigen SPD-Bürgermeisters waren eher dünn, wie Kay Kuntze, Intendant des Theaters Gera-Altenburg seinen Kollegen berichtete:
"Wenn es aber möglich ist, dass sich einer auf einen öffentlichen Platz stellt und zum Boykott des Theaters aufruft, immerhin eine Institution, die von den politisch Verantwortlichen mit viel öffentlichen Geldern gewollt ist, um ein farbiges kulturelles Leben in einer Region zu ermöglichen. Wenn das möglich ist, da zum Boykott aufzurufen, dann ist das eine neue Qualität, die da erreicht ist. Da sind rote Linien des gesellschaftlichen Miteinanders, die da überschritten werden."
Sich das Lachen nicht nehmen lassen
Kathrin Röggla, Stellvertretende Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, referierte beim Intendantentreffen über den Humor in der Kunst. Man dürfe sich das Lachen nicht nehmen lassen: Fundamentalisten würden nicht lachen: weder islamistische noch Rechtspopulisten.
Hasko Weber rief dazu auf, sich das Grundgesetz als Maßstab des Zusammenlebens stärker ins Bewusstsein zu rufen: Wenn in seiner Bochumer Inszenierung von Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" das Grundgesetz Artikel für Artikel in Flammen aufgeht, würde es ganz still werden im Publikum.