Neuer Haftbefehl für türkischen Mäzen

Die kurze Freiheit des Osman Kavala

03:58 Minuten
Porträt von Osman Kavala 2015.
Die Hoffnung auf Freiheit erfüllt sich nicht. © laif/ Nar Photos/ Kerem Uzel
Von Christian Buttkereit |
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Der Jubel über den Freispruch des türkischen Kulturförderers Osman Kavala im Gezi-Park-Prozess währte nur kurz. Stunden später folgte ein neuer Haftbefehl. Die Vorwürfe gegen Kavala drehen sich diesmal um den gescheiterten Militärputsch von 2016.
Die neun anwesenden der 16 Angeklagten hatten am Morgen mit dem Schlimmsten gerechnet. Der Staatsanwalt hatte für viele von ihnen lebenslange Haftstrafen gefordert. Der Grund: ein angeblicher Umsturzversuch im Zuge der Gezi-Park-Proteste 2013 in Istanbul.
Eigentlich waren die Menschen damals auf die Straße gegangen, um zu verhindern, dass der Gezi-Park einem Einkaufszentrum weichen muss. Bald richteten sich die Proteste jedoch gegen die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyiop Erdogan und griffen auf andere Städte über.

Skepsis über Urteil

Tatsächlich forderten damals viele den Rücktritt Erdogans. Umso größer die Erleichterung, als am Mittag das überraschende Urteil fiel: Freispruch für alle anwesenden Angeklagten. Für die auf der Flucht befindlichen wurden die Haftbefehle aufgehoben.
Es wirkte wie die Auferstehung des türkischen Rechtsstaats. Bei erfahrenen Prozessbeobachtern wie dem journalistischen Urgestein Aydin Engin, mischte sich in die Freude aber schnell Skepsis:
"Ich kann nicht schreiben über die unabhängige Justiz. Umgekehrt: AKP-Justiz herrscht in der Türkei. Deshalb manchmal Tragödie, manchmal Farce."

Von der Farce zur Tragödie

Was zunächst wie eine Farce mit gutem Ausgang schien, wandelte sich am Abend zur Tragödie. Auf einem Autobahnparkplatz in der Nähe des Gerichts bei Silivri vor den Toren Istanbuls warteten Journalisten, Freunde und Angehörige auf die Freilassung von Osman Kavala. Der Geschäftsmann und Kulturförderer war der einzige der Angeklagten, der noch in Untersuchungshaft saß – und das bereits seit 27 Monaten.
Die Stimmung auf dem Autobahnrastplatz war ausgelassen, es wurde gelacht und getanzt. Je später und kälter es wurde, desto unruhiger wurden die Wartenden. Dann der Schock: Ein Journalist überbrachte der Ehefrau von Osman Kavala die Nachricht, dass ihr Mann erneut festgenommen wurde.
Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, hatte den Prozess im Gerichtssaal mit verfolgt. Er rang nach Worten:
"Wir sind natürlich geschockt. Man ist in der Türkei keine guten Nachrichten mehr gewohnt, es ist nicht der erste Fall, wo so etwas passiert - also nach Freilassung. Wir haben das bei Ahmed Altan im letzten Jahr gesehen - sofortiger Wiederarrest, Untersuchungshaft, neue Anschuldigungen, die offensichtlich total bizarr sind. Es wird glaube ich ziemlich deutlich, dass hier politischer Einfluss auf die Justiz genommen wird."
Erneut wird Kavala ein Umsturzversuch zur Last gelegt. Er soll am gescheiterten Militärputsch von 2016 beteiligt gewesen ein. Eigentlich gilt der islamistische Prediger Fetullah Gülen als dessen Drahtzieher. Dass ausgerechnet der weltoffene Kavala daran beteiligt gewesen sein soll, hält Mithat Sancar, Abgeordneter der oppositionellen HDP, für einen schlechten Witz:
"Es scheint so zu sein, dass es innerhalb des Staates und innerhalb der AKP ein gnadenloser Streit losgeht. Das heißt, es gibt bestimmte Flügel, die um Macht kämpfen und bei diesem Kampf vor nichts scheuen."

Neuer Vorwurf aus dem Hut gezaubert oder inszeniert?

Mit anderen Worten, meint Sancar, Präsident Erdogan habe die Justiz nicht mehr vollständig im Griff. War die Regierung von den Freisprüchen im Gezi-Prozess tatsächlich überrascht worden und hatte sie deshalb schnell einen neuen Vorwurf gegen Kavala aus dem Hut gezaubert oder war alles abgesprochen und inszeniert?
Dass es ausgerechnet den international hoch geachteten Kavala trifft, scheint eher Zufall zu sein, meint HDP-Abgeordneter Sancar:
"Ein Flügel von diesem Machtkampf denkt, wenn Osman Kavala jetzt freigelassen wird, dann kann das für diesen Flügel eine Schwächung ihrer Machtposition bedeuten."
Ob Osman Kavala im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bleiben oder zunächst noch auf eine Polizeistation gebracht werden sollte, stand am späten Abend noch nicht fest. Etwas anderes nach Worten von Brakel schon:
"Zumindest wenn wir sehen, dass sich diese Untersuchungshaft nicht innerhalb kurzer Zeit wieder auflöst, dann ist es wirklich wieder das Signal, dass niemand in der Türkei sicher sein kann, nicht irgendwie in die Fänge einer politisch instumentalisierten Justiz zu geraten."
Insgesamt erließ die Staatsanwaltschaft allein gestern fast 700 Haftbefehle wegen angeblicher Unterstützung des Putschversuchs 2016, darunter Angehörige des Militärs und der Justiz. Es scheint, als dauere der Machtkampf an und als sei er längst noch nicht entschieden.
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