Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin bei der Berliner Tageszeitung "taz", für die sie seit 2000 arbeitet, zunächst als Leiterin der Meinungsredaktion und Parlamentskorrespondentin. Zu ihren Buchveröffentlichungen zählen: "Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam. Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen" (2013) und "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (2016).
"Man kann nicht zulassen, dass die Infektionszahlen weiter steigen"
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Die Probleme der Wirtschaft seien dem Virus anzulasten und nicht der Politik, sagt die taz-Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann. Für sie ist der erneute Lockdown in Deutschland angesichts der steigenden Infektionszahlen alternativlos.
Nach dem historischen Einbruch im Frühjahr durch die Coronakrise ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal wieder kräftig gewachsen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 8,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach deshalb anlässlich der Vorstellung der Herbstprognose davon, dass die Wirtschaftzahlen "weit oberhalb der Erwartungen" lägen. Die Entwicklung zeige, dass die deutsche Wirtschaft in der Lage sei, auch unter den Bedingungen der Pandemie "Wachstumskräfte freizusetzen".
Mit dem neuen Lockdown ab Montag werde diese Erholung nicht weitergehen, sondern es komme erneut zu einer Art Stagnation, sagt unser Studiogast, die Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann. Dieser Lockdown sei aber aus ihrer Sicht alternativlos. "Man kann nicht zulassen, dass die Infektionszahlen weiter steigen." Dann würden sich die Intensivbetten füllen und immer mehr Menschen sterben.
Kritik an "Vollkasko-Mentalität"
In der Wirtschaft und bei vielen Betroffenen der neuen Einschränkungen gebe es ein großes Missverständnis, so Herrmann. Sie dächten, dass ihre Existenz gefährdet sei, weil die Politik die falschen Entscheidungen treffe. "Aber in Wahrheit ist das Problem nicht die Politik, sondern das Virus." Sie störe diese "Vollkasko-Mentalität", dass immer die Politik schuld sei, wenn etwas in der Welt schiefgehe.
Natürlich müsse man für die Leute, die von dem Lockdown wirtschaftlich betroffen seien, staatliche Hilfen anbieten. Aber es wäre nichts besser, wenn die Wirtschaft offenbleibe, so Herrmann. Das Beispiel der USA zeige, dass Präsident Donald Trump alles dafür getan habe, dass die Wirtschaft weiter laufe. Er habe damit riskiert, dass rund 230.000 US-Bürger gestorben seien. Dennoch sei die Lage die gleiche wie in Deutschland. "Auch in den USA ist die Wirtschaft zwischenzeitlich um zehn Prozent eingebrochen."
Mehr Vorsicht bei steigenden Infektionszahlen
Es zeige sich gerade, dass die Leute bei steigenden Infektionszahlen vorsichtiger würden und zuhause blieben. Herrmann nannte die Auswertung von Bewegungsdaten der Mobiltelefone, die belegten, dass in den letzten vier Wochen in Deutschland schon zehn Prozent weniger Leute in die Geschäfte gegangen seien als vorher. Wenn es jetzt keinen Lockdown gäbe und die Zahlen weiter so in die Höhe gingen, würden die Leute trotzdem mehr zuhause bleiben, glaubt die Wirtschaftsjournalistin.
(gem)