Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand
Hanser Verlag, München 2015
256 Seiten, 19,90 Euro
Die Liebe in den Zeiten der Pornografie
Chloe und Rasmus könnten das glücklichste Paar der Welt sein. Wäre da nicht – nach 20 Ehejahren - der verfluchte Sex. "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" ist ein typischer Sibylle-Berg-Roman: drastisch, rasant und grotesk.
"Sex wird überbewertet" – dieser von Sibylle Berg schon häufiger geäußerte Satz ist auch die Kernaussage ihres neuen Romans. Denn ohne Sex und seine alberne Überschätzung wären Chloe und Rasmus das glücklichste Paar der Welt. Es ist nicht alles perfekt in ihrem Leben, für den Theaterregisseur Rasmus läuft es beruflich seit geraumer Zeit sogar ausgesprochen schlecht. Die Theater, an denen er inszeniert, werden immer kleiner und provinzieller, sein Selbstbewusstsein immer kränklicher. Aber er hat Chloe, wie einen siamesischen Zwilling an seiner Seite. Seit 20 Jahren.
Noch einmal jung sein
Sie verstehen sich blind, sie schützen und vertrauen sich, sie können wunderbar zusammen lachen. So könnte es weitergehen bis dass der Tod sie scheidet, wäre da nicht der verfluchte Sex. Denn abgesehen davon, dass Rasmus und Chloe von Beginn an eher geistig-seelisch füreinander geschaffen waren als erotisch, ist ihre Leidenschaft nach 20 Jahren Ehe natürlich abgeflaut. So geht es allen Paaren. Und wie viele Menschen verrennt sich Chloe nun in die Idee, auf halber Lebensstrecke noch einmal den ganz großen Rausch erleben, noch einmal jung sein zu wollen.
In einem Land der Dritten Welt, das der Roman nicht benennt, lernt sie, während Rasmus mit einheimischen Jugendlichen ein Theaterstück probt, den jungen, liebeserfahrenen Benny kennen und gerät vor Sinnenlust außer sich. Zurück in Deutschland ist Chloe nichts als ein Häuflein Elend, das sich nach Benny verzehrt. Schließlich folgt Benny ihrer Einladung, fliegt nach Deutschland und zieht zu dem deutschen Mittelklasseehepaar in die bürgerlich designte 4-Zimmer-Wohnung. Zu allem Überfluss taucht auch noch die finnische Mutter von Rasmus, eine Feministin alten Schlages, in der Wohnung auf, sowie ein paar Trinkkumpane, die Benny im Supermarkt kennengelernt hat.
Exzentrik statt Realistik
Die katastrophalen Ereignisse überschlagen sich, die Exzentrik überwuchert die Realistik und Sibylle Berg treibt ihren neuen Roman mit dem Titel "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" konsequent ins Groteske; gespickt mit böse-sarkastischen Bonmots, rasanten Formulierungen und schwarzsichtiger Kultur- und Kapitalismuskritik im unverwechselbar drastischen Sibylle-Berg-Stil. Ihr Romanpersonal ist als Ensemble exemplarischer Kunstfiguren angelegt, ihre Romankonstruktion von aparter Raffinesse.
Denn Chloe und Rasmus wechseln sich in kurzen Prosakapiteln wie einem antiphonischen Gesang jeweils ab und schildern die Ereignisse aus ihrer Sicht. So bleibt die äußere Balance ihrer Liebe erhalten, nur im Inneren dieser Liebe kracht es durch den Einbruch sexueller Raserei gewaltig. Künstlichkeit und Schnoddrigkeit gehen in diesem Text, wie in allen Texten Sibylle Bergs, eine eigenwillige Verbindung ein.
In der Tradition des philosophischen Romans
Unverkennbar steht "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" zugleich in der Tradition des philosophischen Romans, in dem sich ein Traktat zu einer Generalfrage des spätmodernen Lebens verbirgt: Wie lässt sich die Liebe erhalten in einer Zeit, in der Gefühle unter der Tyrannei pornografischer Bilder und fremdbestimmter sexueller Normen stehen? Wie lässt sich die Liebe retten vor dem überschätzten Sex?