Siri Hustvedt: "Die gleißende Welt"
Aus dem Englischen von Uli Aumüller
Rowohlt Verlag, Hamburg 2015
492 Seiten, 22,95 Euro
Im Korsett Frau fast erstickt
Der neue Roman von Siri Hustvedt "Die gleißende Welt" spielt in der New Yorker Kunstwelt. Im Fokus steht eine begabte Künstlerin, Ehefrau eines Kunsthändlers, die lange ihr Licht unter den Scheffel stellt, versucht sich daraus zu befreien, scheitert und zerbricht.
Harriet Burden, Harry für ihre Freunde, fühlt sich verkannt.
In der der New Yorker Kunstwelt spielt sie nur als Frau des berühmten Kunsthändlers Felix Lord eine Rolle. Zu ihren glamourösen Dinner Parties kommen sie alle, für ihre Skulpturen interessiert sich keiner. Hin und wieder sickert durch, dass sie ein brillanter Kopf sei, doch wehe sie zeigt, was sie weiß. Dann wenden sich die Menschen indigniert ab.
Nach dem Tod ihres Mannes will sie endlich als Künstlerin erkannt und anerkannt werden. Doch als alternde Frau und Großmutter, da ist sie sicher, wird ihr das nicht gelingen. Und so heckt sie ein Trick-Szenario aus. Sie wird ihre Kunst unter der Maske männlicher Kollegen zeigen. Die Herren Strohmänner machen mit. Es lockt das öffentlichkeitswirksame Abenteuer des großen Schwindels. Und so kommt es zwischen 1998 und 2003 zu drei viel beachteten Ausstellungen – und jeder Menge Komplikationen.
Die erste Maske, ein hübscher Junge mit wenig Verstand, wird überwältigt von dem Erfolg. Die zweite, ein schwuler Schwarzer, entwindet sich der Überfrau und verschwindet aus ihrem Leben. Die dritte Maske ist schon berühmt, bevor er sich einlässt auf den ausgekochten Plan. Doch dann weigert er sich, Burdens Urheberschaft anzuerkennen. Er lässt sich nicht von Harriet benutzen, sondern benutzt sie. Diskreditiert ihre Glaubwürdigkeit und erklärt öffentlich, die Witwe Lords sei wohl inzwischen verwirrt, sie sei ja auch schon nach dem Tod ihres Mannes in psychiatrischer Behandlung gewesen.
Harriet verzweifelt, wütet, tobt, zerbricht.
Über weibliche Auslöschung im Kunstbetrieb
So einfach wie hier erzählt, ist die Geschichte natürlich nicht. Schließlich heißt die Autorin Siri Hustvedt, die berühmt ist für ihre kluge Phantasie und ihre psychoanalytische wie philosophische Belesenheit.
Und so erzählt sie auch hier ihre komplizierten Figuren – ausgestattet mit so mancher Persönlichkeitsstörung – voller gelehrter Anspielungen und subkutaner Verästelungen.
Es ist ein Buch über weibliche Auslöschung nicht nur im Kunstbetrieb, über Wut, Befreiungsversuche und Identitätsfragen, und es ist eine Reflektion darüber, dass Kunst nur durch ihre Wahrnehmung lebt, die keine objektive Art des Sehens kennt.
Jahre nach Harriet Burdens Tod möchte eine Wissenschaftlerin die Masken aufdecken, die Wahrheit finden. Sie zitiert aus Burdens Tagebüchern, befragt ihre Kinder, Freunde, Harrys letzte große Liebe, zitiert Kritiker und peripher Beteiligte des Dramas.
Es entsteht ein vielschichtiges Bild – das hin und wieder aufgrund seiner Komplexität und der vielen Fußnoten an Konturen verliert, aber dann wieder liest sich der Roman wie ein packender Psychothriller.
Hustvedts feministische Verve ist ungebrochen, ihre Seelenneugier stupend, ihre Bilder suggestiv. Man sieht Burdens wilde Installationen, – mal sind es riesige Frauen, denen die mathematischen Formeln im Kopf wuseln und aus der Vagina springen, mal sind es Irrgärten mit halluzinatorischen Filmeinspielungen. Man spürt die so verzweifelt aufbegehrende Kraft dieser Künstlerin, die fast erstickt in dem Korsett Frau und Witwe. Und sich selbst dem Tod nicht ergeben will. Den Hustvedt in einem furios schrägen Finale –aus dem Blick einer abgefahrenen Heilerin – erzählt.