Thomas Brussig: Das gibt's in keinem Russenfilm
Roman
S. Fischer, Frankfurt/Main 2015
382 Seiten, 19,99 Euro
Wenn die DDR nie untergegangen wäre
In "Das gibt’s in keinem Russenfilm" lässt Thomas Brussig die DDR einfach weiterleben. In den Mittelpunkt dieser kontrafaktischen Geschichte stellt er sein eigenes Alter Ego. Und dadurch wird die Sache ziemlich peinlich.
Sogenannte Erinnerungen oder Memoiren sind immer nachgetragene, schöne Erzählungen. Sie dienen dazu, dem eigenen Leben eine Dramaturgie zu verleihen und die eigene Person ins rechte Licht zu rücken. So gesehen sind sie immer auch Fiktionen, Entwürfe, Fantasien - und der Unterschied zu einem Roman ist gar nicht so groß. Thomas Brussigs Lebenserfindung allerdings liegt gleich vollständig neben der Spur.
Seinen Romanhelden nennt er "Thomas Brussig". Das ist ein Autor wie er selbst, der einmal den Erfolgsroman "Helden wie wir" geschrieben hat, doch er lebt in einer anderen Welt. Denn die DDR hat das Jahr 1989 überstanden, sie existiert einfach weiter und entwickelt sich, ähnlich wie China, zu einer kapitalistischen Ökonomie unter Führung der Partei.
Gregor Gysi wird der Nachfolger von Egon Krenz
Egon Krenz übernimmt nach dem friedlichen Tod von Erich Honecker die Macht; später folgt ihm Gregor Gysi nach. Wolfgang Thierse ist ein gewitzter Verleger in Altentreptow, und Thomas Brussig ist ein DDR-Schriftsteller, der unfreiwillig zum Dissidenten geworden ist, weil er bei einer Signierstunde auf dem Alexanderplatz den Politbüro-Mann Günter Schabowski nicht erkannt hat.
Vor allem aber ist er ein eitler Selbstdarsteller, der sich schon dadurch, dass er sich der Mühe unterzieht, sein DDR-Schriftstellerleben mit allen Erfolgen, allen Liebschaften und unehelichen Kindern und den üblichen Stasibegebenheiten aufzuschreiben, als unverbesserlicher Narzisst zu erkennen gibt. Das immerhin dürfte dann doch der Wirklichkeit entsprechen. Und so lautet der permanente, nervtötende Subtext: Ganz egal in welcher Welt - "Thomas Brussig" wäre auf jeden Fall ein toller Hecht geworden.
Man liest diesen Roman mit gedämpftem Vergnügen, freut sich vielleicht noch an der Grundidee und an einzelnen Einfällen - auch wenn sich der Literaturnobelpreis für Ingo Schulze nicht recht nachvollziehen lässt. Alles bleibt auf der Ebene der Ereignishaftigkeit und eines möglichst originellen Geschehens. Dass Sprache mehr sein kann als bloßes Transportmittel für milde Scherze, lässt sich kaum erahnen. Der Gesellschaftsentwurf bleibt oberflächlich und krankt vor allem daran, dass es immer nur um ihn, den tollen "Thomas Brussig" geht. Die Autorenperspektive mit Blick auf Ruhm und Ehre ist auch in einer kontrafaktisch eingerichteten Welt nicht übermäßig interessant.
Udo Lindenberg behält den Durchblick
Man kann das zur Not als mittelwitzige Literaturbetriebssatire durchgehen lassen, aber spätestens dann, wenn all die Mitarbeiter des S. Fischer-Verlages, in dem der fiktive Brussig ebenso zu Hause ist wie der reale, über den grünen Klee gelobt werden, wird die Sache ein wenig peinlich. Nur Udo Lindenberg und Heiner Müller bleiben in beiden Welten ganz sie selbst, mit Whisky, Räuspern und dem Durchblick. Das ist immerhin ein kleiner Trost.
Wozu kontrafaktisches Erzählen? Das fragt sich der Romanheld auch selbst, anlässlich einer Hitlerfiktion, an der er arbeitet: Was wäre gewesen, wenn Hitler die Aufnahmeprüfung zur Kunstakademie bestanden hätte und schließlich ein großer Theaterregisseur geworden wäre? Die Antwort bleibt er schuldig.
Das Ungenügen des fiktiven Lebensentwurfs scheint Brussig auch selbst empfunden zu haben, wenn er sein Alter Ego schließlich noch mit Kindesmissbrauchsgerüchten konfrontiert und aus der DDR eine Windenergie exportierende "Elektrokratie" macht. Da ist es für eine Science Fiction, die in der Vergangenheit spielt und ein anderes Licht auf unsere Gegenwart werfen könnte, aber schon längst zu spät. Schade drum.