Auch auf „Zeit“, dem mittlerweile achten Studioalbum, erfinden sich Rammstein nicht neu. Man bekommt hier genau das, was man von einem Rammstein-Album erwartet: Ein in schwerem Gitarrensound erklingendes Gesamtkunstwerk aus Sex, Gewaltschilderungen und tiefschwarzem Humor – vorgetragen mit teutonisch rollendem R von Sänger Till Lindemann.
Rammstein bedienen wieder sehr gut, wofür sie bekannt sind und auch gemocht werden. Das ist eine Kunst für sich.
Arm an Provokationen
Rammstein sind bekannt für ihre vielen Provokationen. Jedoch gibt es auf „Zeit“ keine nennenswerten Passagen, die besonders skandalträchtig wären. Umstrittener ist hingegen Rammsteins Verhältnis zu Russland, wo die Band auch sehr populär ist.
Sänger Till Lindemann sang letztes Jahr am 4. September das Lied „Ljubimyj Gorod“ auf dem roten Platz. Darin geht es um einen Piloten, der seine russische Heimat verteidigt.
Das Heroische und Martialische in Rammsteins Musik war auch ein Teil des Kommunismus und sozialistischen Realismus. Viele russische Fans erinnert das womöglich an vergangene sowjetische Zeiten. Das passt vor dem Hintergrund von Lindemanns Auftritt, der übrigens auch vom russischen Verteidigungsministerium organisiert wurde, perfekt in den russischen Nationalismus der Marke Putin.
Klares Statement gegen Russlands Angriffskrieg
Rammstein sprechen sich allerdings mit einem Statement auf ihrer Homepage dezidiert gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aus.
Allerdings war Rammsteins Verhältnis zu Russland in der Vergangenheit ambivalenter. Beim Kreml haben sie sich mit einem Auftritt im Jahr 2019 unbeliebt gemacht. Musiker der Band küssten sich bei einem Konzert in Russland auf der Bühne, um auf die Rechte homosexueller Menschen im Land aufmerksam zu machen. Jedoch schwieg die Band, als Andrej Borowikow, ein enger Vertrauter des Oppositionellen Alexei Nawalny, ins Gefängnis musste, weil er das pornografische Video zu dem Song „Pussy“ in den russischen sozialen Medien postete.
Diese Ambivalenzen verdeutlichen, dass Rammstein sich jeglicher Instrumentalisierung entziehen. Einerseits kokettieren sie mit der Nähe zu totalitären Systemen und andererseits parodiert man diese Systeme, indem man ihre Eigenschaften überzeichnet und ins Lächerliche zieht, etwa mit feurigen Bühnenshows voller Herrschaftsgesten.
Das Erfolgsrezept von Rammstein sei „die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihr Projekt betreiben“, so überdreht und satirisch die Bühnenshows auch seien,
sagt der Musikwissenschaftler Peter Wicke
. Er beschäftigt sich sich seit vielen Jahren intensiv mit der Band und veröffentlichte 2019 das Buch „Rammstein. 100 Seiten“. Dieser „tieflotende Ernst“ lasse einen berührt zurück, was besonders bei Rock- und Popmusik sehr selten sei.
Hinzu komme: Rammstein „halten uns einen Spiegel vor und wir fühlen uns ertappt – und lehnen das ganz vehement ab, weil das, was nicht sein darf, auch nicht sein kann“, so Wicke. „Aber irgendwie erkennen wir uns doch irgendwie alle mit unserer Kultur in diesem Projekt wieder.“