"Dionysus lehrt uns, wieder eine Beziehung zur Natur aufzubauen"
Das neue Album von Dead Can Dance ist eine Hommage an den griechischen Gott des Weines, der Freude und Fruchtbarkeit. Sänger und Produzent Brendan Perry rät, "Dionysos" am Stück zu hören. Und tatsächlich entwickelt es einen geradezu meditativen Sog.
"Ungefähr vor zwei Jahren las ich Friedrich Nietzsches Buch 'Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik'. Darin schildert der Philosoph zwei Strömungen, die sich durch das gesamte altgriechische Denken ziehen: Das Apollinische, das für Ordnung, Maß und die Kraft des Intellekts stehe. Und das Dionysische, das die Welt der Träume, den Rausch und Instinkt beinhaltet."
Man kann sich Brendan Perry als eine Art Musikforscher vorstellen. Der 59-Jährige spielt unzählige traditionelle Instrumente: Berimbau, türkische Zourna, bulgarische Gadulka. Er baut orientalische, afrikanische, osteuropäische Klänge und Rhythmen in seine Musik ein. Und er hat ein Faible für die griechische Mythologie, schrieb für DCD bereits Stücke wie "Ullyses" oder "Persephone". Nun scheint er apollinisches und dionysisches tatsächlich zusammen bringen zu wollen, lässt mit den Mitteln des Pop eine antike Gottheit auferstehen.
Songs kommen gänzlich ohne Text aus
"Dionysos ist eine unglaublich komplexe Gestalt, das wollte ich mit diesem Album zeigen. Die Stücke sind als eine Art Zyklus angelegt, führen von Dionysos’ Ankunft bis zu seiner Abreise in die Unterwelt. Dies entspricht der ursprünglichen, ländlichen Erscheinungsform der Gottheit, die sich über die Jahre und Jahrzehnte aber immer wieder veränderte…"
"Impressionistisch" nennt Perry die sieben Stücke, die in zwei Akte unterteilt sind und Dionysos’ Werdegang schildern: Von seiner Ankunft per Schiff bis zum Abstieg ins Totenreich. Die Titel kommen gänzlich ohne Text aus, wollen allein mit musikalischen Mitteln Assoziationen wecken. Zum Beispiel an die rauschenden dionysischen Feste, im Stück "Liberator of Minds".
"Viele der Zeremonien, die man mit Dionysos assoziiert, gelten als hedonistisch. Sie haben aber eine sehr viel tiefere Bedeutung, dienten dazu, eine religiöse Ekstase zu erreichen. Die alten Griechen erreichten dies durch die Einnahme von Psylocibin-Pilzen. Es ging darum, sich zu verlieren, den Geist zu befreien."
Naturgeräusche als politische Botschaft
Man solle "Dionysus" am Stück hören, sagt Brendan Perry. Und tatsächlich entwickeln die repetitiven Rhythmen einen geradezu meditativen Sog, der an die Trance-Musik Afrikas oder Lateinamerikas erinnert. Unterbrochen werden die Kompositionen nur durch kurze "field recordings": Naturgeräusche. In Zeiten des Klimawandels eine geradezu politische Botschaft.
"Wir Menschen haben den Kontakt zur Natur verloren. Durch die Luftverschmutzung, globale Erwärmung und Überbevölkerung. Es gibt keinen Dialog mehr zwischen uns und unserer Umwelt. Dionysus lehrt uns, wieder eine Beziehung zur Natur aufzubauen."
Man könnte Brendan Perry als esoterischen Spinner und die Musik von DCD als "Ethno-Kitsch" abtun. Und tatsächlich wirkt ein Konzeptalbum über eine griechische Gottheit anno 2018 erstmal anachronistisch, die Mischung aus Synthesizern und traditionellen Instrumenten gewöhnungsbedürftig. Bei genauerem Hinhören entpuppt sich "Dionysus" aber als vielleicht schrulliges, aber auch ambitioniertes und romantisches Werk, das mehr Gegenwartsbezug aufweist, als man denkt.