"Wie viel von der Musik bin ich?"
05:43 Minuten
Mit den Sounds stotternder CDs schuf das Musikprojekt Oval in den 1990er-Jahren ein eigenes Genre: Glitch. Inzwischen wird Oval nur noch von Markus Popp betrieben. Auf seinem jüngsten Album "Scis" erforscht er sich selbst - und die Klang-Ästhetik der Clubkultur.
Markus Popp macht elektronische Musik und das seit mittlerweile 30 Jahren. Bis heute beschäftigt ihn die Frage, in welcher Beziehung er zu seiner Musik steht: "Bin ich Musiker? Komponist? Techniker? Filemanager?" Die Antwort auf diese Fragen ist für Popp immer wieder eine andere – und führt zu neuen Fragen: "Wo ist die Musik, was macht die Musik, wo bin ich in der Musik? Wie viel von der Musik bin ich? Wie viel ist die Software? Wieviel ist gespielt, wieviel ist programmiert, was ist imaginiert? An diesem Interface stellen sich natürlich extrem interessante, neue Fragen."
Denn die technischen Bedingungen sind fortwährend andere. Eine der ersten Platten entstand im Jahr 1995 – einem Zeitpunkt, als viele deutsche Haushalte noch keinen Computer hatten und die CD noch quicklebendig war. "Am Anfang ging es viel um das Umorganisieren von Musik", sagt Popp. "Musik nur noch als Reste vorzufinden und die dann umzustrukturieren und zu organisieren."
Damals bestand das Musikprojekt Oval noch aus drei Personen: Sebastian Oschatz, Frank Metzger und eben Markus Popp. Musikalische Reste, wie Popp es nennt, fanden sie auf CDs. Mit Hilfe von Stiften und Tape brachten sie diese zum Stottern, Stolpern, Springen. Die Sounds sampelten sie und setzen sie am Computer neu zusammen.
Das Album "94 Diskont" gilt bis heute als stilprägend
So entstand das Album "94 Diskont", das irgendwo zwischen Ambient-Feelgood und Störgeräusch lag. Für Popp ein Weg, hinter die Musik zurückzutreten: "Ich hab das nicht komponiert, nicht geschrieben. Ich bin der, der hier navigiert und umorganisiert und zerlegt und neu zusammensetzt." Damit reflektiert das Album Fragen um Urheberschaft im frühen digitalen Zeitalter. Bis heute gilt "94 Diskont" als stilprägend.
Seitdem ist viel passiert. Computertechnologien, soziale Praktiken, gesellschaftspolitische Fragestellungen sind andere geworden. Das hat auch Auswirkungen auf die musikalische Praxis von Markus Popp. Oval führt er mittlerweile als Soloprojekt. "Und heute hat das schon viel mehr mit mir zu tun, auch als Person", sagt er. "Nicht weil ich das als Karriere akzeptiert habe oder es meine Identität ist, sondern aus der Notwendigkeit, Dinge zu verkörpern und so zu vertreten. Leute folgen Leuten und weniger Ideen."
In den sozialen Netzwerken steht das Selbst im Mittelpunkt. Jeder soll ein "Ich" sein, eine Persona, egal ob authentisch oder artifiziell. Den "Auftrag" sich selbst als Musiker zu inszenieren, akzeptiert Markus Popp einerseits schulterzuckend und weist ihn doch zurück.
Popp verwischt gerne die Spuren, wer hier eigentlich spielt
Gerne verwischt er die Spuren, wer hier eigentlich spielt. Er sagt: "Es sollte nie so ganz klar sein: Hat das jemand selber gespielt, spielen lassen, programmiert, aufgenommen, gesampelt, irgendwo runtergeladen? Klingt gespielt organisch und wie 'ne Band, aber eigentlich bin immer noch ich das. An einem 500-Euro-PC."
Im Januar erschien das neueste Album von Markus Popp, es heißt "Scis". Es ist eine Hommage an sich selbst, an die 1990er-Jahre und erforscht zugleich Klang-Ästhetiken aus der Clubkultur.
In Zeiten, in denen es in Pressemittellungen von "Genies" und Adjektiven wie "spektakulär", "brillant" und "einzigartig" nur so wimmelt, liegen Fragen zu Selbstinszenierung, Identität und Künstlermythos auf der Hand. Musikalisch-konzeptionell stellt das neue Album von Markus Popp diese Fragen nicht mehr. Das ist zwar schade, klingt aber trotzdem schön.
Vielleicht ist Markus Popp mit dem Fragenstellen auch einfach nur vorsichtiger geworden? "Hinter jeder dieser Fragen steht eine Antwort, die dich als Künstler Jahre kosten kann. Deshalb muss man diese Fragen sehr vorsichtig stellen."