Neues aus Bargfeld
Arno Schmidt (1914-1979) gilt als der große Einsame der modernen deutschen Literatur. Seit 1958 lebte er zurückgezogen in Bargfeld bei Celle, in einem austauschbaren, aber undurchdringlichen niedersächsischen Flachland, und arbeitete an seinen großen, monolithischen Prosawerken, die nur Eingeweihten weniger Mühe beim Lesen bereiten und mittlerweile einen ganzen Zweig an spezieller Arno-Schmidt-Philologie hervorgebracht hat.
Was heute bei einem Autor wie Thomas Pynchon sagenumwoben und geheimnisumwittert erscheint, war bereits bei Arno Schmidt Programm: Er verweigerte sich recht früh dem Literaturbetrieb, gab keine Interviews oder Statements mehr ab, entzog sich radikal. Deshalb ist es jetzt eine Rarität, was der Suhrkamp Verlag in seiner groß angelegten Arno Schmidt Edition jetzt als "Supplemente Band 2" der "Bargfelder Ausgabe" veröffentlicht: ein Band mit "Lesungen, Interviews, Umfragen", allen Äußerungen des Autors also, die es überhaupt von ihm abseits seiner Primärwerke gibt.
Für Arno Schmidt-Fans - und es gibt etliche eingefleischte darunter, die den Kultstatus dieses Autors immer mehr steigern - ist dies eine Fundgrube, hat es fast den Hauch des Sensationellen. Aber auch für die bundesdeutsche Literaturgeschichte, für die Atmosphäre der fünfziger und sechziger Jahre ist der Band äußerst aufschlussreich.
Gleich der Beginn des Buches ist eine Kostbarkeit des Literaturbetriebs: das früheste erhaltene Interview von Arno Schmidt aus dem Jahr 1952, ein Radiogespräch für den Süddeutschen Rundfunk. Der Journalist, der ihn da so beflissen und agil befragt, ist der junge und unbekannte Martin Walser. Er stellt fest, dass Arno Schmidt für viele "unverständlich" schreibe, und dass es doch "einer literarischen Vorbildung fast bedarf, um das richtig lesen zu können." Darauf versetzt Schmidt, und diese Worte wirken wie in Stein gemeißelt:
"Wenn eine solche Annäherung stattzufinden hat, dann hat sie nicht von der Seite des Künstlers herzukommen, Kunst dem Volke, sondern das Volk, jedermann, hat sich gefälligst zur Kunst hinzubemühen."
Großartig! Man muss das natürlich auch vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit lesen, der frühen Bundesrepublik unter Adenauer. Schmidts Selbstzeugnisse sind immer auch politische Einwürfe, selbst seine raren Einlassungen zu seinem hermetischen Spätwerk "Zettels Traum".
Das Wunderbare ist, dass dem edel aufgemachten Buch auch 12 CDs und eine DVD beigegeben sind, so dass man Schmidt im O-Ton reden hören und in drei kurzen Fernsehbeiträgen auch sehen kann. Der Eindruck ist ganz eigenartig: Da scheint jemand von einer früheren Epoche herzukommen, ein Mensch in der Bildungstradition der Aufklärung, des 18. Jahrhunderts - erklärtermaßen seinem Lieblingsjahrhundert. Es ist der Ton einer medialen Frühzeit.
Aber gleichzeitig: welche Modernität! Welche Aktualität! Welche Beweglichkeit und Lebendigkeit! Wer es nicht schon getan hat: Durch diese Edition wird man auf jeden Fall verleitet, eines der legendären Schmidtschen Prosastücke tatsächlich einmal zur Hand zu nehmen.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Arno Schmidt: Lesungen, Interviews, Umfragen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
231 Seiten mit 12 CDs und 1 DVD.
128 Euro
Für Arno Schmidt-Fans - und es gibt etliche eingefleischte darunter, die den Kultstatus dieses Autors immer mehr steigern - ist dies eine Fundgrube, hat es fast den Hauch des Sensationellen. Aber auch für die bundesdeutsche Literaturgeschichte, für die Atmosphäre der fünfziger und sechziger Jahre ist der Band äußerst aufschlussreich.
Gleich der Beginn des Buches ist eine Kostbarkeit des Literaturbetriebs: das früheste erhaltene Interview von Arno Schmidt aus dem Jahr 1952, ein Radiogespräch für den Süddeutschen Rundfunk. Der Journalist, der ihn da so beflissen und agil befragt, ist der junge und unbekannte Martin Walser. Er stellt fest, dass Arno Schmidt für viele "unverständlich" schreibe, und dass es doch "einer literarischen Vorbildung fast bedarf, um das richtig lesen zu können." Darauf versetzt Schmidt, und diese Worte wirken wie in Stein gemeißelt:
"Wenn eine solche Annäherung stattzufinden hat, dann hat sie nicht von der Seite des Künstlers herzukommen, Kunst dem Volke, sondern das Volk, jedermann, hat sich gefälligst zur Kunst hinzubemühen."
Großartig! Man muss das natürlich auch vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit lesen, der frühen Bundesrepublik unter Adenauer. Schmidts Selbstzeugnisse sind immer auch politische Einwürfe, selbst seine raren Einlassungen zu seinem hermetischen Spätwerk "Zettels Traum".
Das Wunderbare ist, dass dem edel aufgemachten Buch auch 12 CDs und eine DVD beigegeben sind, so dass man Schmidt im O-Ton reden hören und in drei kurzen Fernsehbeiträgen auch sehen kann. Der Eindruck ist ganz eigenartig: Da scheint jemand von einer früheren Epoche herzukommen, ein Mensch in der Bildungstradition der Aufklärung, des 18. Jahrhunderts - erklärtermaßen seinem Lieblingsjahrhundert. Es ist der Ton einer medialen Frühzeit.
Aber gleichzeitig: welche Modernität! Welche Aktualität! Welche Beweglichkeit und Lebendigkeit! Wer es nicht schon getan hat: Durch diese Edition wird man auf jeden Fall verleitet, eines der legendären Schmidtschen Prosastücke tatsächlich einmal zur Hand zu nehmen.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Arno Schmidt: Lesungen, Interviews, Umfragen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
231 Seiten mit 12 CDs und 1 DVD.
128 Euro