Neues aus Kaminers Welt
In seinem neuen Band widmet sich Wladimir Kaminer dem Familienalltag. In "Salve Papa!" erzählt er skurrile und absurde Geschichten, zum Beispiel wie seine beiden Kinder den DVD-Player mit Hilfe einer Scheibe Wurst ruinieren und was das mit Kapitalismus zu tun hat. - Wunderbare Kolumnen aus Kaminers Welt.
Über Wladimir Kaminer muss man fast schon keine Worte mehr verlieren. Er hat ein eigenes Genre erfunden: deutschsprachige Literatur von Russen aus Berlin. Es ist der Blick eines Autors, der die Deutschen spät kennenlernte, sie aber dafür auch etwas klarer sieht als die hier Aufgewachsenen. Es ist der Blick eines russisch-jüdischen Einwanderers, der von außen in die Mitte schaut. Kaminer beschreibt dabei sein eigenes Leben: der alltägliche Kampf mit den Besonderheiten und Skurrilitäten der russischen Community in der Hauptstadt, aber auch mit dem Berliner Alltag. Diesmal hat er sich das Leben seiner Kinder vorgenommen. Es wird vor allem von zwei Konstanten bestimmt: dem Versagen des Schulsystems und dem Versagen der Eltern.
Das Versagen der Eltern ist beispielweise dann spürbar, wenn die beiden Kinder Nicole (12) und Sebastian (9) die Berliner Wohnung der Kaminers mit dem Hinweis unter Wasser setzen, sie wollten jetzt mal ordentlich sauber machen. Da kann man ja eigentlich nichts dagegen haben, denn sie sorgen sich schon offenbar schon früh um die nötige Sauberkeit. Oder wenn sich Vater Kaminer von Karl Friedrich, dem Klassenkameraden seines Sohnes, fragen lassen muss, wann er zum letzten Mal beim Friseur war. Oder wenn er zusehen darf wie seine Frau von Karl Friedrich beim Rauchen mit dem Hinweis "Rauchen tötet!" erwischt wird.
Auch da kann man ja eigentlich nichts dagegen sagen. So ein "Mikroorganismus" (Kaminer über Kinder) weiß eben manchmal mehr als ihm gut tut.
Woher eigentlich? Aus der Schule? Von der erwartet der Autor jedenfalls, dass Kinder nicht nur töpfern sollten und vor alten Leuten vorsingen, sondern sich auch Wissen aneignen, da kann Kaminer vermutlich doch nicht aus seiner Haut als Schüler des strengen sowjetischen Schulsystems. Zum Beispiel Latein. Seine Tochter kann zwar "Guten Tag!" auf Latein sagen, aber der Vater wartet bis heute verzweifelt auf den Moment, wann sie endlich auch "Tschüß!" sagen kann. Es reichte bisher nur zu "Salve, Papa!"
Als seine Kinder statt einer DVD eine Jagdwurst in den Videorekorder schieben, und ihm damit den Gar ausmachen, ist sich der Autor sicher: "Der Kapitalismus ist schuld." Denn es ist laut Kaminer ganz einfach: Waren müssen zirkulieren, daher werden sie so produziert, dass sie auch mal kaputtgehen. Das ist zumindest eine der Theorien, die er auf die Schippe nimmt. Denn es wird klar: es war nicht der Kapitalismus, der das Leben des Videorekorders verkürzt hat, sondern das Zusammenspiel aus Jagdwurst und einer gründlichen Untersuchung des Geräteinnenlebens mit Strohhalmen. Es sind die Kinder und ihre Experimentierlust- nicht das Wirtschaftssystem und seine omnipräsenten Billigprodukte.
Das ist typisch für den Aufbau der vorliegenden Geschichten: Verbreitete Ideologien (und damit Klischees) über die Schule, über das Wirtschaftssystem, über Politik – all die unbeholfenen Versuche, Phänomenen einen höheren Sinn zu geben – führt Kaminer ad absurdum, in dem er sie erst vor dem Leser aufbaut um sie dann mit Pointen aus seinem Familienalltag genüsslich zu zerschießen. Es ist eine Freude. Nur sollte man tunlichst vermeiden, sich dem ganzen Buch am Stück zu widmen. So viel Dramaturgie steckt da nicht drin. Es sind einzelne Kolumnen und sie sollten wie Pralinen genossen werden: Stück für Stück und mit größeren Pausen dazwischen.
Und: sicher, es gibt Dutzende von Büchern, geschrieben von Vätern zwischen 30 und 40, die ihr modernes Vaterdasein ironisch unterfüttern und damit für die Außenwelt gut konsumierbar machen. Kaminer hat auch Einiges davon, aber glücklicherweise geht er darüber hinaus. Seine Geschichten sind nicht nur herrlich skurril; sie entwickeln eine fast natürliche Absurdität, die Kaminer vermutlich aus der russischen Literaturtradition mitbringt. Das hat er den meisten Vätern auf dem Buchmarkt voraus.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Wladimir Kaminer: Salve Papa!
Manhattan-Verlag 2008
192 Seiten, 17,95 Euro
Das Versagen der Eltern ist beispielweise dann spürbar, wenn die beiden Kinder Nicole (12) und Sebastian (9) die Berliner Wohnung der Kaminers mit dem Hinweis unter Wasser setzen, sie wollten jetzt mal ordentlich sauber machen. Da kann man ja eigentlich nichts dagegen haben, denn sie sorgen sich schon offenbar schon früh um die nötige Sauberkeit. Oder wenn sich Vater Kaminer von Karl Friedrich, dem Klassenkameraden seines Sohnes, fragen lassen muss, wann er zum letzten Mal beim Friseur war. Oder wenn er zusehen darf wie seine Frau von Karl Friedrich beim Rauchen mit dem Hinweis "Rauchen tötet!" erwischt wird.
Auch da kann man ja eigentlich nichts dagegen sagen. So ein "Mikroorganismus" (Kaminer über Kinder) weiß eben manchmal mehr als ihm gut tut.
Woher eigentlich? Aus der Schule? Von der erwartet der Autor jedenfalls, dass Kinder nicht nur töpfern sollten und vor alten Leuten vorsingen, sondern sich auch Wissen aneignen, da kann Kaminer vermutlich doch nicht aus seiner Haut als Schüler des strengen sowjetischen Schulsystems. Zum Beispiel Latein. Seine Tochter kann zwar "Guten Tag!" auf Latein sagen, aber der Vater wartet bis heute verzweifelt auf den Moment, wann sie endlich auch "Tschüß!" sagen kann. Es reichte bisher nur zu "Salve, Papa!"
Als seine Kinder statt einer DVD eine Jagdwurst in den Videorekorder schieben, und ihm damit den Gar ausmachen, ist sich der Autor sicher: "Der Kapitalismus ist schuld." Denn es ist laut Kaminer ganz einfach: Waren müssen zirkulieren, daher werden sie so produziert, dass sie auch mal kaputtgehen. Das ist zumindest eine der Theorien, die er auf die Schippe nimmt. Denn es wird klar: es war nicht der Kapitalismus, der das Leben des Videorekorders verkürzt hat, sondern das Zusammenspiel aus Jagdwurst und einer gründlichen Untersuchung des Geräteinnenlebens mit Strohhalmen. Es sind die Kinder und ihre Experimentierlust- nicht das Wirtschaftssystem und seine omnipräsenten Billigprodukte.
Das ist typisch für den Aufbau der vorliegenden Geschichten: Verbreitete Ideologien (und damit Klischees) über die Schule, über das Wirtschaftssystem, über Politik – all die unbeholfenen Versuche, Phänomenen einen höheren Sinn zu geben – führt Kaminer ad absurdum, in dem er sie erst vor dem Leser aufbaut um sie dann mit Pointen aus seinem Familienalltag genüsslich zu zerschießen. Es ist eine Freude. Nur sollte man tunlichst vermeiden, sich dem ganzen Buch am Stück zu widmen. So viel Dramaturgie steckt da nicht drin. Es sind einzelne Kolumnen und sie sollten wie Pralinen genossen werden: Stück für Stück und mit größeren Pausen dazwischen.
Und: sicher, es gibt Dutzende von Büchern, geschrieben von Vätern zwischen 30 und 40, die ihr modernes Vaterdasein ironisch unterfüttern und damit für die Außenwelt gut konsumierbar machen. Kaminer hat auch Einiges davon, aber glücklicherweise geht er darüber hinaus. Seine Geschichten sind nicht nur herrlich skurril; sie entwickeln eine fast natürliche Absurdität, die Kaminer vermutlich aus der russischen Literaturtradition mitbringt. Das hat er den meisten Vätern auf dem Buchmarkt voraus.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Wladimir Kaminer: Salve Papa!
Manhattan-Verlag 2008
192 Seiten, 17,95 Euro