Literaturhinweis:
Karen Fromm, Sophia Greiff, Anna Stemmler (Hg.): "Images in Conflict"
Jonas Verlag, Kromsdorf 2018
560 Seiten, 262 Abbildungen, 28 Euro
Leseprobe mit Karen Fromms Editorial hier als PDF
Auf der Suche nach neuen Formen fotografischen Erzählens
10:05 Minuten
Was wir von Krieg, Flucht und Terror wissen, wissen wir häufig durch Fotografien. Doch Fotografien zeigen nur einen bestimmten Ausschnitt des Geschehens und lassen sich instrumentalisieren. Ein neues Buch sucht nach Möglichkeiten, dies zu ändern.
Ikonische Bilder wie das Foto des von Napalm verbrannten Mädchens Kim Phúc aus Vietnam, den einstürzenden Twin-Towers in New York oder des an den Strand gespülten ertrunkenen dreijährigen Syrers Alan Kurdi prägen unsere Vorstellung von Krieg, Flucht und Terror. Einerseits erschüttern sie uns. Doch die Kulturtheoretikerin und Essayistin Susan Sontag hat darauf hingewiesen, dass sie andererseits immer auch mit dem Makel belegt sind, Teil eines (neo-)kolonialen Ausbeutungssystems zu sein und die "Lust am Schauen" zu befriedigen. Und fast immer gewöhnen wir uns irgendwann an solche Fotos.
Der gerade erschienene Band "Images in Conflicts - Bilder im Konflikt" versucht zu verstehen, wie man unter den heutigen Bedingungen des Online-Journalismus und der wachsenden Anzahl von Amateuraufnahmen im Netz noch vom Krieg erzählen kann. Was für Möglichkeiten haben Fotografen, Bilder zu schaffen, die uns noch berühren können, bei denen wir aufgerüttelt werden und so was wie Empathie entwickeln? Über diese Fragen haben wir mit einer der Herausgeberinnen des Bandes, Professorin Karen Fromm, gesprochen.
Bildmuster erzeugen eine scheinbare Tatsächlichkeit
Deutschlandfunk Kultur: Frau Fromm, was ist ein Bild vom Krieg, das Sie überhaupt nicht mehr sehen können?
Karen Fromm: Da gibt es leider eine Vielzahl von Bildern. Wenn wir an aktuelle Themen aus der Kriegs- und Krisenberichterstattung denken, dann ist es zum Beispiel das Bild das leidenden Kindes, das ich viel zu oft gesehen habe. Aber zum Beispiel auch das Bild des überfüllten Bootes auf dem Mittelmeer.
Darin stecken bestimmte Bildmuster, die immer wieder auftauchen. Vor allem bei Fotos gilt, dass uns jedes Bild die Idee vermittelt, es gibt etwas zu sehen und dadurch wird ein bestimmtes Ereignis bezeugt. Es scheint eine Tatsächlichkeit zu erzeugen. Was dabei aber oft nicht mitgedacht wird, oder dabei getilgt wird, ist, dass diese Bilder nie einfach nur das zeigen, was vorhanden ist. Sondern mit ihnen wird immer auch Politik gemacht. Und deswegen meine ich, müssen wir wachsam sein, wenn es zu bestimmten Zeiten bestimmte Bildmuster gibt, die gleichsam stereotyp wiederholt werden. Wir können da immer gucken, welche Bedeutung uns darüber eigentlich vermittelt werden soll.
Welche Bildmuster welche Bedeutungen transportieren
Deutschlandfunk Kultur: Es ist also einerseits die Quantität – die Bilder wiederholen sich – , was bei Ihnen Verdruss erzeugt. Aber was ist es denn weitergehend? Es verhält sich ja nun so, dass Menschen, darunter auch Kinder, tatsächlich auf der Flucht sterben und Menschen in Booten abgelichtet sind.
Fromm: Genau das ist es, was es so schwierig macht. Das findet natürlich tatsächlich statt. Da gibt es niemanden, der das inszeniert und suggeriert, es hätte stattgefunden. Und trotzdem ist es interessant, welche Bildmuster zu welchen Zeiten auftauchen, weil sie ja bestimmte Bedeutungen transportieren. Es sagt mir: Da sind viele Menschen auf einem Boot. Die befinden sich in einer Notlage. Aber gleichzeitig vermittelt es mir natürlich auch: Es ist eine Fülle von Menschen, das Boot ist schon übervoll und die sind alle zu uns unterwegs.
Insofern kann man gerade bei dieser Fluchtthematik beobachten, dass zu bestimmten Zeiten verstärkt bestimmte Bilder auftauchen. In dem Moment, in dem dieses bekannte Bild von Alan Kurdi auftauchte, dem toten Jungen am Strand der Türkei, war das die Phase, als es für Geflüchtete massiv Empathie gab, als es diese Willkommenskultur gab. Dann wiederum, als sich politisch etwas veränderte, gab es diese Bilder, die eher ein Bedrohungsszenario entwickeln: Es sind viele Menschen, was für viele dann vielleicht den Zusammenhang eröffnet hat, was wir mit all diesen Menschen machen sollen.
Eine Überwachungskamera wird zweckentfremdet
Deutschlandfunk Kultur: Wie könnten Alternativen aussehen? In ihrem Buch spielt der Fotograf Richard Mosse eine große Rolle. Was macht der anders?
Fromm: Mosse entwickelt ein komplexes Gewebe. Er macht Bilder, die von vornherein massiv ästhetisch wirken. Die wirken deshalb so, weil er eine Wärmekamera benutzt, die eigentlich überhaupt nicht für den Kunst- oder journalistischen Kontext gedacht wurde, sondern eigentlich für militärische und Überwachungszwecke eingesetzt wird. Die also genau an diesen Orten, wo er jetzt Geschichten über Flucht erzählt, eingesetzt wird, um Menschen aufzuspüren, um Fluchtbewegungen zu entdecken, um entsprechend politisch eingreifen zu können.
Diese Kamera erzeugt eine Ästhetik mit einem ganz scharfen Schwarzweiß-Kontrast: Die warmen Flächen von gefilmten Körpern und Objekten werden in einer bestimmten Farbigkeit gezeigt, also entweder ganz dunkel oder ganz hell – das kann auch wechseln. Dadurch entsteht von vornherein eine Bildwelt, die überhaupt nicht dem entspricht, wie wir die Welt wahrnehmen würden. Da merken wir ganz stark: Hier ist etwas ästhetisiert, hier ist etwas gemacht.
Mosse nutzt also diese Technik und wendet sie gleichsam gegen sich selbst. Weil er uns damit zeigt, was da vor Ort passiert, und uns aber gleichzeitig erzählt: Ich erzeuge eine Sichtbarkeit, aber gleichzeitig ist es nur ein bestimmter Ausschnitt von Sichtbarkeit. Das ist das Interessante, weil er seine Rahmung, seine Machart gleichzeitig miterzählt und sagt: Das ist nicht genau das, was passiert, sondern ich zeige einen spezifischen Ausschnitt.
Deutschlandfunk Kultur: Bei so einem Wärmebild hat jeder bestimmte Vorstellungen vor Augen: Grünstichige Bilder, Silhouetten undsoweiter. Aber das ist doch die totale Anti-Individualisierung.
Fromm: Das ist sie tatsächlich, weil die Individualisierung für den eigentlichen Zweck der Kamera auch gar keine Rolle spielt. So wie Mosse sie aber anwendet und wie er auf bestimmten Situationen verweilt und zum Teil auch ganz intime Momente festhält, erzeugt es aber plötzlich eine ganz erstaunliche Nähe zu diesen Menschen und diesen Situationen. Obwohl die Bilder zum Teil aus 30 Kilometer Entfernung aufgenommen wurden. Das ist das, was diese Kamera technisch bewältigen kann.
Bündelung verschiedener Perspektiven
Deutschlandfunk Kultur: Wer ist denn für Sie noch ein ganz besonders herausragendes Beispiel für eine neue Form fotografischen Erzählens von Krieg?
Fromm: Viele Fotografen, auch journalistisch arbeitende Fotografen, begeben sich auf die Suche nach solchen Erzählformen. Ich finde, das ist auch absolut notwendig. Geert van Kesteren wäre ein weiteres Beispiel, ein Fotograf, der aus dem klassisch-journalistischen Kontext kommt und sich mit dem Irakkrieg beschäftigt hat, dort aber begriffen hat: Nur vor Ort sein hilft eigentlich nicht, ich kann zwar meine eigenen Fotos machen, aber trotzdem ist es immer nur ein Ausschnitt. Dann hat er überlegt, was er noch machen könnte, und hat Bilder gesammelt und bewusst eingefordert von Menschen, die vor Ort waren, die beteiligt sind, die selber betroffen sind. Dadurch hat er eine Arbeit in Buchform geschaffen, die versucht, seine und viele andere Perspektiven zu verbinden. Das koppelt er dann auch mit Interviews, sodass wir mit dem Buch letztendlich ein sehr vielschichtiges und umfassendes Bild vom oder einen Zugang zum Irakkrieg und auch seinen Folgen vermittelt bekommen.
Deutschlandfunk Kultur: Van Kesterens Bilder wirken auf mich sehr alltäglich, sehr unspektakulär. Man sieht zum Beispiel mehrere Männer an einem Tisch sitzen, die sind schlichtweg erschöpft, die hätten auch irgendwo anders sein können. Da frage ich mich allerdings: Was ist die Verbindung zu Richard Mosse, der etwas ganz anderes tut?
Fromm: Beide machen auf ganz unetrschiedliche Art, wie sie mit Bilddarstellungsmustern umgehen, etwas, das zeigt: Ich präsentiere einen Ausschnitt, ich zeige eine spezifische Sicht, aber gleichzeitig gibt es andere Sichten. Das macht Mosse durch seine spezifische Wärmebild-Ästhetik, das macht van Kesteren, indem er sagt: Es gibt meine Bilder – aber auch andere. Es gibt vielleicht das dramatische Bild vom Krieg, das wir alle kennen, aber es gibt auch den Alltag des Krieges und es gibt das, was die Menschen dort vor Ort machen, was man sonst in diesen einzelnen dramatisierenden Bildern oft gar nicht sieht. Beide bemühen sich, eine Rahmung zu erzeugen und zu sagen, das ist meine Form der Annäherung. Die reflektieren sie und machen sie gleichzeitig sichtbar.
Eine Frage des Kontexts
Deutschlandfunk Kultur: Die Haltung ist also nicht: "Ich will dieses eine Symbolbild finden, das eine Bild, das für alles steht." Aber vor Vereinnahmung kann der Fotograf sich natürlich nie schützen. Jeder, der es mag, kann Bilder aus einem Kontext herausreißen und sie instrumentalisieren. Dagegen lässt sich nichts machen.
Fromm: Das natürlich nicht. Bilder tauchen in ganz unterschiedlichen Kontexten auf, mit jedem Kontext transportieren sie auch veränderte, leicht verschobene Bedeutungsformen. Davor kann sich der Fotograf letztendlich nicht schützen. Aber das sind ja auch Arbeiten, die ein Stück weit versuchen, den Kontext mitzubestimmen, in dem sie vermittelt werden.
Deutschlandfunk Kultur: Sehen Sie denn bei vielen Fotografen diese ganz andere Haltung, die etwas ganz anderes sagt? Nach dem Motto: "Ich will dieses eine Symbolbild finden."
Fromm: Das gibt es ganz oft. Das ist auch ein Muster, das uns ganz massiv beigebracht wurde. Durch große Preise, wie etwa das World Press Photo zum Beispiel, wo man sagt: Das ist jetzt das eine Bild, das aus der Berichterstattung des letzten Jahres übrig bleibt, das sinnbildlilch für das steht, was politisch passiert ist. Da steht die Anforderung im Raum, das eine Bild könnte dies einlösen. Ich will damit nicht sagen, dass das immer schlechte Bilder sind, aber sie sind auf gewisse Art sehr begrenzt und das Muster, dass sie eigentlich begrenzt sind, wird ganz oft ein Stück weit getilgt.
Deutschlandfunk Kultur: Abschließend: Was unterscheidet solche neueren Formen von ihrer Ansicht nach überholten Formen der Kriegsfotografie?
Fromm: Es geht stark um Rahmung und um Kontext, der sichtbar gemacht wird. Man könnte auch sagen: Es geht um eine Anwesenheit und gleichzeitige Abwesenheit, die miterzählt wird.