Katrin Rönicke: "Beate Uhse: Ein Leben gegen Tabus"
Residenz Verlag 2019
208 Seiten, 22 Euro
Eine Influencerin ihrer Zeit
08:13 Minuten
Tabu-Brecherin und Sexshop-Gründerin: Beate Uhse gilt vielen als Pionierin der sexuellen Aufklärung. Das war sie auch, schreibt Katrin Rönicke in ihrem Buch - doch vor allem war sie Geschäftsfrau. Ihr Startvorteil war der Beruf der Mutter.
Liane von Billerbeck: Beim Namen Beate Uhse, da bildet sich bei den meisten im Kopf vermutlich gleich der Name Sexshop und, ja, Beate Uhse hatte ein Sexshop-Universum, aber die Frau war weit mehr. "Beate Uhse: Ein Leben gegen Tabus" heißt ein neues Buch, das Katrin Rönicke geschrieben hat. Sie ist Jahrgang '82, in Wittenberg geboren, lebt aber in Berlin, arbeitet auch für Deutschlandfunk Kultur und gibt einen feministischen Podcast heraus, den "Lila Podcast". 2017 hat sie ein eigenes Podcast-Label "hauseins" mitgegründet.
Frau Rönicke, über Beate Uhse ist ja schon viel erzählt worden. Wir haben uns gerade beide gesagt, dass es da auch Filme und Bücher gibt. Ich habe auch einen gesehen: "Beate Uhse: Das Recht auf Liebe." Das war im ZDF 2011. Warum nun Ihr Buch, welche neuen Aspekte gibt es darin, die man nicht schon längst kennt?
Rönicke: Als ich angefangen habe, hätte ich, ehrlich gesagt, auch gedacht, dass sowieso schon alles erzählt ist. Dann bin ich aber darauf gestoßen, dass vieles von dem, was heute über Beate Uhse bekannt ist und auch immer wieder verbreitet wird, zum Teil PR aus der Firma Beate Uhse ist. Zum Beispiel die ganze Geschichte um die "Schrift X", also die Aufklärungsschrift, die im Grunde der Start dieses Unternehmens war, wo Beate Uhse Frauen Tipps gegeben hat, wie sie nicht schwanger werden – nach dem Krieg durchaus eine wertvolle Information. Da beginnt auch so ein bisschen der Mythos um sie als Aufklärerin der Nation.
Wissensvorsprung dank der Mutter
In meinem Buch habe ich dann herausgefunden, auch im Gespräch mit Verwandten und Wegbegleitern, dass auch diese "Schrift X" letztendlich nur der Versuch war, nach dem Krieg Geld zu verdienen. Wie viele Deutsche musste auch sie nach dem Krieg irgendwie ihre Kinder ernähren. Sie hat es zuerst mit Traumdeutung versucht; dann hat sie versucht, mit ihrem zweiten Ehemann ein Haarwuchsmittel zu verkaufen. Das hat alles nicht so gut funktioniert – aber diese Aufklärungsschrift, die hat sich supergut verkauft.
Billerbeck: Die war ja in den 30er-Jahren erst mal was ganz anderes. Die hat ja erst eine Karriere als Pilotin begonnen. Das wissen vielleicht viele auch gar nicht. Wie ist sie denn in der Nachkriegszeit zur Geschäftsfrau der Aufklärungs- und Sexartikel dann geworden?
Rönicke: Ich denke, das war tatsächlich so ein bisschen aus der Not heraus. Also sie hat, wie gesagt, versucht, einfach mit verschiedensten Dingen Geld zu verdienen. Es kommt natürlich begünstigend dazu, dass ihre Mutter Ärztin war. Also sie war eine der ersten Ärztinnen überhaupt in Deutschland, die auch wirklich praktiziert hat. Frauen haben das damals eigentlich nicht getan. Und die Mutter hat ihre Tochter früh aufgeklärt, alles über Sexualität erzählt, das heißt, einen Wissensvorsprung hatte Beate Uhse durchaus und konnte das dann sehr geschickt für sich nutzen.
Motive für "Schrift X" unklar
Billerbeck: Sie gilt ja neben Oswalt Kolle, zumindest in der Bundesrepublik, als die Pionierin der sexuellen Aufklärung, und die "Schrift X", die haben Sie schon erwähnt. War da auch Idealismus dabei oder reine Geldnot?
Rönicke: Das kann man aus der heutigen Perspektive eigentlich kaum so richtig sagen. Natürlich wurde dann in dieser Firmen-PR, die es später gab – so ab den 60ern gab es professionelle Texter, die sich dann eine Geschichte ausgedacht haben, damit Beate Uhse, die immer auch mit ihrem Gesicht für die Firma stand, besonders hell leuchtet und strahlt. Da wurde das natürlich sehr idealisiert. Sie hat den Menschen geholfen und sie hat sie aufgeklärt.
Wenn man sich die Kataloge anschaut, dann ist das auch eine sehr persönliche, liebevolle Ansprache, die dort passierte in den 50er-, 60er-Jahren, und dann glaube ich ihr das ein Stück weit auch. Trotzdem werden natürlich direkt dazu Produkte angeboten, die dann den Eheleuten zum Beispiel helfen sollen, wieder besseren Sex zu haben.
Clevere und knallharte Geschäftsfrau
Billerbeck: Beate Uhse hat ihr Geschäft ja dann zu einem regelrechten Konzern ausgebaut. Wie hat sie das geschafft?
Rönicke: Sie war eine ziemlich clevere Geschäftsfrau. Sie hat relativ schnell Leute eingestellt, um Dinge zu erledigen, um überhaupt wachsen zu können, mehrere Kataloge verschicken zu können. Sie war gleichzeitig auch sehr knauserig. Wenn es darum ging, Porto zu sparen, dann ist sie auch mal mit Wagenladungen voll von Katalogen durch die ganze Republik gefahren, um einen Ortsbrief versenden zu können und, ich glaube zehn Pfennig, zu sparen. Sie war da so ein bisschen knallhart, und sie hat auch immer für ihr Geschäft gelebt.
Letztendlich an einer Stelle in ihrer eigenen Autobiografie sagt sie, dass das Geschäft für sie selber so ein bisschen wie Familienersatz war, also wie Familie, aber es macht nicht so viel Ärger, sondern wächst und blüht – und sie kann sich da mit voller Sorge hineinstürzen. Ich glaube, diese Verwobenheit und dieser Enthusiasmus, der war es letztendlich, der dazu geführt hat, dass sie immer auch genau richtig reagiert hat: Wenn sich Möglichkeitsfenster eröffnet haben, dann war sie eigentlich sofort zur Stelle und ist expandiert und ist dahingegangen, wie zum Beispiel '89, als die Wende war und sie sofort tausende Kataloge in die ostdeutschen Städte geschickt hat.
Billerbeck: Sie bezeichnen Sie in Ihrem Buch als eine Art Influencerin unter den Frauen ihrer Zeit. War sie das wirklich?
Rönicke: Ich glaube, heute würde man das so nennen. Wenn jemand so stark mit der eigenen Persönlichkeit, mit dem eigenen Gesicht und Bildern des eigenen Gesichts auftritt, um ein Produkt zu verkaufen – und letztendlich hat sie genau das getan – dann sagen wir heute, zumindest wenn es um Social Media geht, Influencer dazu.
Damals gab es natürlich kein Social Media, und trotzdem gab es den "Spiegel", gab es das Fernsehen und gab es auch ihre Kataloge – und da ist sie immer mit ihrem Gesicht aufgetreten. Sie hat die eigene Firma, die eigenen Produkte, die sie angepriesen hat – ganz, ganz stark mit der Persönlichkeit: "Ich empfehle Ihnen dieses" und "Ich empfehle Ihnen das". Das machen Influencer heute letztendlich ja auch so.
Taub für feministische Kritik an Pornos
Billerbeck: Ich habe extra von Ihrem feministischen Podcast geredet, um Ihnen die Frage stellen zu können, ob Beate Uhse eine Feministin war. Wie sehen Sie das?
Rönicke: Ich würde sagen: Nein. Sie war auf jeden Fall sehr emanzipiert, sie hat Dinge vorangetrieben, sie hat gegen Tabus gekämpft. Vor allem in den 50er-, 60er-Jahren gab es ja eine sehr enge Sexualmoral, sehr enge Regeln innerhalb derer man sich bewegen musste.
Dann aber, 1975, wurde die Pornografie in Deutschland legalisiert – und spätestens da zeigt sich für mich, dass sie keine Feministin ist: Es gab sehr viel Kritik an üblichen Pornofilmen, in denen Frauenrollen sehr eindimensional waren, und sie hat selber auch solche Pornofilme mit ihrer Firma rausgebracht. Und sie war im Grunde taub für diese feministische Kritik und hat sich darum auch nicht weiter gekümmert, bis zum Schluss nicht, sondern eher gesagt, "Na ja, mit den Feministinnen rede ich eigentlich nicht."
Billerbeck: Vieles, was wir heute mit Beate Uhse verbinden, hat genau mit diesen Pornos auch zu tun. Würden Sie sagen, dass Beate Uhse dabei immer noch einen fortschrittlichen Ansatz hatte oder hat letztlich ihre Firma auch nur die männlichen Sexbedürfnisse bedient?
Rönicke: Ich würde Letzteres sagen. Das liegt sicherlich auch daran, dass sie selbst ab Anfang, Mitte der 70er-Jahre sich aus der Firma mehr und mehr rausgezogen hat. Sie hatte eine schwere Scheidung hinter sich, sie hatte gerade eine neue Liebschaft mit John Holland, ein schwarzer Amerikaner. Sie hat eigentlich die zehn Jahre, so ab 1972 etwa, würde ich sagen, sehr wenig für die Firma gemacht. Gleichzeitig hat ihr jüngster Sohn, Ulrich Rotermund, dort ein bisschen die Fäden in die Hand genommen. Und das war auch, als das Pornogeschäft groß wurde; er hat dieses Pornogeschäft bei Beate Uhse sehr stark geprägt und hatte natürlich einen männlichen Anspruch, hatte eine männliche Sicht auch darauf, und entsprechend kann man das, was da an Pornos produziert wurde, sicherlich nicht als fortschrittlich bezeichnen.
Was bleibt von Uhse ohne das Unternehmen?
Billerbeck: Wir wollen jetzt nicht über feministische Pornos reden, das schaffen wir gar nicht mehr, das ist ein weites Feld. Trotzdem die Frage zum Schluss: Was bleibt denn, wenn das Unternehmen Beate Uhse ja schon zum x-ten Mal Insolvenz angemeldet hat, was bleibt von ihr übrig?
Rönicke: Ich glaube, es bleibt ein Stück deutscher Geschichte, weil sie doch sehr prototypisch für vieles steht: nach dem Krieg auf die Beine kommen; als Frau emanzipiert in einem bestimmten Bereich zu leben; und auch diesen ganzen Kampf für eine lockerere Sexualmoral – den hat sie ja mitgekämpft bis vor das Gericht, neben vielen anderen auch. Ich glaube, dieser Teil der Geschichte, der ist etwas, den hat sie sich auch verdient, dass man sie dafür huldigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.