Das Buch zum Thema:
Volker Leppin: Franziskus von Assisi
WBG Theiss, 2018, 368 Seiten, 29,95 Euro
Ein lebenslang Suchender
Der Kaufmannssohn und Ordensgründer aus Assisi rebellierte gegen sein Elternhaus, aber nicht gegen die Kirche. Diese sprach ihn kurz nach seinem Tod heilig, auch um die Armutsbewegung zu integrieren, sagt der Kirchenhistoriker Volker Leppin.
Anne Françoise Weber: Die Überraschung war groß, als Jorge Bergoglio den Namen verkündete, den er als Papst tragen wollte – Franziskus. Den hatte es noch nicht gegeben in der langen Liste der Päpste, obwohl dieser Franziskus doch einer der populärsten Heiligen in der katholischen Kirche ist. Und auch von Protestanten wird der Kaufmannssohn und Ordensgründer aus Assisi verehrt. Was macht ihn, dessen Gedenktag die katholische Welt nächste Woche, am 3. Oktober, begeht, denn so populär? Was ist überhaupt dran an den vielen Legenden, die sich um sein Leben ranken?
Auf diese Fragen kann Volker Leppin Antwort geben – denn der Professor für Kirchengeschichte an der Fakultät für Evangelische Theologie in Tübingen hat vor wenigen Wochen ein neues Buch vorgelegt. "Franziskus von Assisi" heißt es ganz schlicht. Ich habe vor der Sendung mit Volker Leppin gesprochen und ihn zunächst gefragt: Herr Leppin, können Sie sich jetzt, nach diesem ganz intensiven Quellenstudium und nachdem Sie fast 370 Seiten und sehr, sehr viele Fußnoten geschrieben haben, diesen Menschen Franziskus aus dem 12. Jahrhundert vorstellen? Was war das wohl für ein Charakter?
Volker Leppin: Ich habe zumindest ein Bild von ihm, ob es tatsächlich den historischen Menschen trifft, ist noch mal eine ganz andere Frage. Aber mein Bild von ihm ist das eines Menschen, der Zeit seines Lebens auf der Suche gewesen ist. Das ist eigentlich das, was mich am meisten an ihm fasziniert, er empfindet Schwierigkeiten, er empfindet Spannungen, und immer wieder macht er sich neu auf den Weg, im Grunde bis in die letzten Monate und Wochen seines Lebens sucht er nach einer Erfüllung, sucht er nach etwas, das er als Wahrheit empfinden kann.
Weber: Suchen mussten Sie auch, und zwar nicht, weil es zu wenig über Franziskus gibt, sondern vielleicht weil es ein bisschen zu viel gibt. Es wird viel über ihn erzählt, es ist einiges überliefert, und Sie mussten suchen, was daran wohl historische Wahrheit sein könnte. Kann man das so sagen?
Leppin: Das kann man so sagen, das ist in der Tat ein mühsames Geschäft, was glücklicherweise durch die Franziskaner einem erleichtert worden ist, die die Quellen wunderbar zusammengestellt haben. Dann kann man die parallel miteinander lesen, aber stößt auf die Schwierigkeit: Schon die erste Biographie, die über Franz geschrieben worden ist, ist im Zusammenhang seiner Heiligsprechung geschrieben von Thomas von Celano.
Immer wieder ein neues Bild von Franziskus
Dann kann man sich natürlich leicht vorstellen, jemand, der eine Biographie in diesem Zusammenhang schreibt, der wird die Aspekte der Heiligkeit besonders in den Vordergrund stellen. Dann hat Celano das noch mal überarbeitet, dann haben andere Brüder das noch mal überarbeitet, dann hat man Aussagen von anderen Brüdern gesammelt. Wir wissen dann nicht, ob zum Beispiel das, was als Bericht von drei Gefährten überliefert worden ist, wirklich von den Gefährten von Franz von Assisi stammt. Wieder eine Generation später hat Bonaventura als Ordensgeneral ein Leben von Franz so geschrieben, wie es seiner Ordenspolitik passte. Und so geht es im Grunde durch die Jahrhunderte weiter, dass immer auch nach jeweils eigenen, neuen Interessen ein neues Franzbild geschaffen wird.
Weber: Franziskus hat selbst vielleicht auch schon dazu beigetragen. Wir haben von ihm ein Testament überliefert, und so ein Testament ist ja vielleicht auch kein wirklich ganz historisch objektives Zeugnis, oder?
Leppin: Das macht auch dabei die Schwierigkeit aus. Es ist zunächst einmal etwas, über das man sich freut - da berichtet einer über sich selbst. Aber wenn wir bei uns selbst schauen, was wir so über unser eigenes Leben erzählen, vielleicht den Kindern, dann versuchen wir im Zweifelsfall doch unsere Rolle etwas besser oder etwas stärker darzustellen, als sie vielleicht in der Tat gewesen ist.
Und so wird man auch bei diesem Testament sehen müssen, dass unter Umständen die Weise, wie Franz auch seine eigene Demut herausstreicht, nicht an jeder Stelle der Realität entspricht. Im Grunde ist auch das Testament selbst etwas, was in Spannung zu der Betonung der Demut steht, weil genau dieses Testament nach den Worten von Franz von Assisi genau so gewichtig gehalten soll, wie die offizielle Regel des Ordens. Ein persönliches Testament neben einer Ordensregel, das ist schon ein hoher Anspruch, den Franz da auch entwickelt.
Weber: Wenn wir jetzt mal ein bisschen auf den Lebensweg schauen, Sie haben schon gesagt, er war ein lebenslang Suchender. Er war aber auch einer, der sich durchaus in Konflikte begeben hat. Und da steht ganz am Anfang der Konflikt mit dem Vater, war das einfach erst mal so ein rebellischer Jugendlicher?
Leppin: Im Grunde war er ein Rebell oder ein Aussteiger gegenüber dem, was sein Vater und auch seine Mutter ihm vorgelebt haben, wobei das wahrscheinlich einfach darauf zurückgeht, dass er Spannungen auch schon in diesem Elternhaus erlebt hat, eine Diskrepanz zwischen dem, was man als offizielle christliche Werte lernt, natürlich in der Gesellschaft von Assisi, und was er nun als ökonomisierte Werte in seinem Elternhaus vorgelebt bekam. Es war eben ein Kaufmann, dessen Sohn er war, und er selbst war dafür bestimmt, dessen Nachfolger zu werden, und er hatte den Eindruck, da stimmt irgendwas nicht.
Der Vater hat um ihn geworben
Und daraus ist dann der Konflikt mit dem Vater entstanden, bei allerdings die Schwierigkeit ist, da sind wir auch wieder bei dieser Quellenproblematik, fast durchweg kriegt immer der Vater den schwarzen Peter zugeschoben. Der Vater ist immer der Böse, der Vater ist derjenige, der den Sohn nicht versteht. Ich habe auch versucht, mich da hineinzudenken, was bedeutet das für einen Vater, wenn der künftige Erbe des ganzen Betriebes aussteigt. Das ist für einen Vater auch nicht gerade eine glückliche Situation und dann kann man an manchen Stellen das, was als streng und Härte erscheint, auch als ein Werben des Vaters darum, bleib doch bei uns, bleib doch auf dem Erfolgsweg, verstehen.
Weber: Auf jeden Fall hat sich ja Franziskus ganz radikal für die Armut entschieden, die ja so im Kontrast stand zu diesem reichen Elternhaus. Er hat sich aber trotzdem nicht in Kontrast gesehen zu einer reichen Kirche. Mit dieser Kirche kam er irgendwie zurecht, gegen die hat er nicht rebelliert. Er war ganz gut befreundet oder ganz nah an den Päpsten seiner Zeit. Wie kommt das?
Leppin: Das war tatsächlich eine der Grundfragen, die mich beschäftigt haben und bei der ich hoffe, ein Stück weit eine Antwort bekommen zu haben. Aus diesem Konflikt des Vaters hat ihm der Bischof von Assisi herausgeholfen. Das war im Grunde derjenige, der ihn akzeptiert hat in seinem Streit, der ihm signalisiert hat, bei uns in der Kirche wirst du beschützt. Das wird in den Legenden dadurch dargestellt, als der Sohn Franz alle seine Habe, auch seine Kleidung, dem Vater vor die Füße schmeißt, der Bischof den Mantel um ihn hält, um ihn in seiner Blöße zu beschützen.
Und das wird symbolisch dafür, dass tatsächlich die Kirche der Ort ist, an dem Franz sich zuhause fühlt. Und dann sieht Franz offenbar die Probleme, die wir heute sehr genau sehen in der Kirche im frühen 13. Jahrhundert, nicht mit der Deutlichkeit. Der Papst, mit dem er im Einvernehmen ist, ist ausgerecht Innozenz III., einer der größten Weltherrscher unter den Päpsten des Mittelalters, aber eben Vertreter der Kirche, durch die Franz sich beschützt fühlt.
Er ist Klara sehr nah, hält die Brüder auf Distanz zu Frauen
Weber: Wir haben jetzt bisher vor allem über Männer geredet, es gibt aber auch zumindest eine Frau, die ganz wichtig ist in Franziskus‘ Leben, das ist Klara. Sie war auf jeden Fall eine enge Vertraute, war da aber vielleicht auch noch ein bisschen mehr?
Leppin: Vielleicht, im Grunde muss man es so sagen, vielleicht war da ein bisschen mehr. Geschildert wird das Verhältnis zu Klara in einer Weise, in der gespielt wird mit erotischen Möglichkeiten. Franz erscheint bei ihr als Brautwerber für Christus, sie treffen sich heimlich, möglicherweise tatsächlich nur zu zweit, in den Abendstunden. Da fängt man natürlich schon an, an Liebesromane in der Zeit zu denken, wobei gleichzeitig alle Biographen Wert darauf legen, dass es nicht zu einer körperlichen Liebe gekommen ist – das wissen wir nicht, das können wir nicht beurteilen, im Grunde würde ich auch sagen, das ist für das, was aus dieser Beziehung zwischen den beiden Menschen gekommen ist, entstanden ist, eigentlich sekundär. Was daraus entstanden ist, ist nämlich eine Art geistlicher Beraterschaft, die wohl auch in beide Richtungen ging.
Weber: Was aber Sie dann doch feststellen, zumindest im späteren Leben von Franziskus, ist eine große Scheu vor Sexualität und eine Warnung an die Brüder, sich da ganz, ganz fernzuhalten, oder?
Leppin: Da legen sich natürlich dann auch psychologische Erklärungen nahe, danach zu fragen, hat das mit diesen Erfahrungen mit Klara zu tun? Auch da stoßen wir im Grunde bei den Erklärungen an eine Grenze, aber das ist dann in der Tat so, man soll mit denen nicht mal sprechen. Man soll Distanz von Frauen bewahren, das vor dem Hintergrund dessen, dass er ja nun sehr intensiv mit Klara gesprochen hat. Das wirft die Frage auf, ist das die Erfahrung, die Anziehungskraft könnte zu groß sein?
Unterwegs mit den Kreuzzüglern
Weber: Wenn wir auf die Weltgeschichte schauen, dann ist da ein Ereignis ganz gut bezeugt, nämlich Franziskus‘ Reise nach Ägypten. Und dort soll er dem Sultan al-Malik al-Kamil begegnet sein. Von manchen wird das heutzutage als eine Urstunde des muslimisch-christlichen Dialogs betrachtet, lässt sich das aufrechterhalten nach Ihrem Quellenstudium?
Leppin: Das gehört zu den Punkten, bei denen der Theologe in mir im Streit mit dem Historiker ist. Natürlich würde ich es gerne so deuten, aber tatsächlich war das, was Franz dort versucht hat, ein Stück misslungen. Es war der Versuch im Horizont des Kreuzzuges im Grunde das Ziel des Kreuzzuges durch eine erfolgreiche Mission an der Spitze der Muslime zu erreichen. Gescheitert ist es daran, dass wohl auf Seiten des Hofes in Ägypten Franz im Grunde als eine merkwürdige, vielleicht verrückte Gestalt erschien. Das kann auch der Grund dafür sein, dass er überhaupt dann wieder den Hof verlassen durfte und lebendig wieder rausgekommen ist.
Weber: Wenn wir auf die theologische Seite gucken, von der Sie gerade schon gesprochen haben, dann gibt es da zwei sehr gern zitierte Texte, die auf Franziskus zurückgeführt werden. Das eine ist der Sonnengesang und das andere ist das Gebet "Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens". Was von denen halten Sie denn für authentisch, wirklich auf Franziskus zurückführbar?
Leppin: Ganz eindeutig auf ihn zurückführbar ist der Sonnengesang, das ist so fest in den, auch in der handschriftlichen Tradition, dass man sagen kann, das geht auf ihn zurück, wohl auch in allen Stufen. Der Sonnengesang ist in sich nicht ganz einheitlich strukturiert. Er beginnt zunächst sehr einheitlich und dann sind da einige Brüche drin. Das spricht eher auch dafür, dass es tatsächlich von Franz nach und nach ergänzend entstanden ist. Das "Werkzeug des Friedens" geht jedenfalls darauf zurück, dass Franz den Gruß des Friedens als den typischen Gruß der Franziskaner eingeführt hat – übrigens nicht als Erster, es gab vor ihm schon in Assisi jemanden, der diesen Friedensgruß jeweils gepflegt hat, das hat er offenbar aus seinem Umfeld aufgenommen.
Gott spiegelt sich für ihn in der Schöpfung
Weber: Aus dem Sonnengesang spricht ja eine Nähe zur Natur. Es gibt auch die Überlieferung, dass Franziskus zu den Vögeln gepredigt haben soll, sich um Tiere gekümmert haben soll. Was ist daran, war das wirklich ein erster Ökologe?
Leppin: Wenn man tatsächlich das Wort des Ökologen ernst nimmt, muss man sagen, nein, in dem Sinne nicht. Denn er hatte natürlich keinen Blick für die Wirkungszusammenhänge der Ökologie, die uns heute so deutlich vor Augen stehen, dass wir auch wissen, dass unser Verhalten in unserer Gesellschaft Folgen für den gesamten Kosmos hat, auch an anderen Ecken der Erde. Das waren Dinge, die er nicht im Blick haben konnte. Sein Zugang zur Natur ist der über die Wertschätzung der Schöpfung, und das ist dann wieder etwas, was in der heutigen ökologischen Diskussion uns natürlich Impulse geben kann. Der Gedanke, da spiegelt sich Gott im Grunde in dieser Schöpfung, in den Gestirnen, daher eben der Sonnengesang, in den Tieren, daher die Überlieferung von der Vogelpredigt, die wahrscheinlich, jedenfalls in dieser Form, legendarisch ist, hinter der aber steht, dass er grundsätzlich auch die Tierwelt in seine Wertschätzung Gottes mit hineingenommen hat.
Weber: Franziskus wurde schon zwei Jahre nach seinem Tod heilig gesprochen. Das ist doch auch für die damalige Zeit ziemlich rekordverdächtig oder? Warum ging das denn so schnell, wer hatte da ein Interesse dran?
Leppin: Zu der Zeit herrschte ein Papst, Gregor IX., der selbst zu seinen Lebzeiten Förderer des Franziskus gewesen war, und wenn Sie dann eins und eins zusammenrechnen, dann merken Sie, das ist der Papst, der im Grunde an denjenigen, den er auch als ein ideales Instrument zur Integration der Armutsbewegung in die Kirche gesehen hat, dass dieser Papst nun diese Gestalt auch heiligsprechen lässt, das unterstützt noch weiter das Anliegen, die Armutsbewegung nicht in häretische Kreise abwandern zu lassen, sondern in der Kirche zu halten.
Franziskus waren Gesten wichtiger als Worte
Weber: Und wenn dann bis 2013 kein Papst diesen Namen ausgesucht hat, obwohl doch Franziskus bekannt und beliebt war, heißt das, man wollte doch nicht so weit gehen, diese Armutsbewegung zu integrieren?
Leppin: Das wäre vielleicht ein bisschen zu weit gegangen, die Geschichte der Namensgebung von Päpsten ist ja auch gewissen Mode unterworfen. Es gibt eine ganze Zeit lang die Wahl biblischer Namen, es gibt eine ganze Zeit lang die Wahl von sprechenden Eigenschaftsnamen – die Benennung nach Gestalten der Kirchengeschichte ist insgesamt eher ungewöhnlich. Und das war schon ein großer, beeindruckender Akt, dass Bergoglio eben gesagt hat, als Jesuit noch dazu, er nimmt diese Gestalt aus der Kirchengeschichte, das war zumindest von seiner Seite eben offenbar der Eindruck, da sind Impulse, die für die gegenwärtige Kirche von hoher Relevanz sind.
Weber: Und er hat ja dann auch gleich eine Enzyklika mit dem Titel "Laudato si" vorgelegt, also eine Anspielung auf den Sonnengesang. Er betont ja, dass er eine arme Kirche will, interessant fand ich dann auch, als ich Ihre Biographie von Franziskus von Assisi gelesen habe, diesen Akzent darauf, dass Franziskus wohl die Gesten, die Taten wichtiger waren als die Worte. Ist das vielleicht auch etwas, was Bergoglio und den von Assisi vereint?
Leppin: Das habe ich mich tatsächlich auch gefragt, wie viel Gespür für diese Person Franz von Assisi da eine Rolle gespielt hat, neben dem, was Sie nennen, die Bedeutung der Gesten, auch die ungeheure Spontaneität, die man bei Franz von Assisi hat, und die eben auch bei dem jetzigen Papst Franziskus eine Rolle spielt. Da ist offenbar ein Gespür für eine Nähe zu dieser Person Franz von Assisi, neben dem, dass tatsächlich dieser Appell da ist, Kirche muss sich ändern, Kirche muss einen Rückruf zu Buße und Armut befolgen.
Weber: Vielen Dank, Volker Leppin, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen und Verfasser des Buches "Franziskus von Assisi".
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