Helmut Schmidt: "Was ich noch sagen wollte"
C.H. Beck, München
240 Seiten, 18,95 Euro
Der Altkanzler und seine Vorbilder
Helmut Schmidt legt mit "Was ich noch sagen wollte" ein neues Buch vor, in dem er vieles wiederholt, was er auch früher schon gesagt hat. Seine Ausgangsfrage lautet: Brauchen wir heute noch Vorbilder? Er selbst lehnt Vorbilder eigentlich ab, hat aber natürlich welche.
Eigentlich müsste "Was ich noch sagen wollte" besser heißen: "Was ich noch einmal sagen wollte". Denn es steht nicht viel darin, was Helmut Schmidt nicht schon gesagt hätte und was er bei jeder Gelegenheit wiederholt. Das muss aber nicht unbedingt gegen das Buch sprechen, denn was die Marke Schmidt ausmacht, sind ja nicht umstürzende Erkenntnisse, Originalität und Überraschungen, sondern ganz im Gegenteil: Verlässlichkeit, Klarheit, Übersichtlichkeit des Denkens und die Wiederkehr altbewährter Tugenden. Es wäre ja auch Unsinn, von einem 96-Jährigen etwas anderes zu erwarten. Doch welche Bedürfnisse sind es, die er darüber hinaus so zuverlässig bedient, dass seine Bücher regelmäßig zu Bestsellern werden?
Im Schlusswort macht er sich darüber selbst ein paar Gedanken, denn es ist ihm nicht wohl dabei, dass er für so viele zu einem Vorbild geworden ist. Das müsse wohl an seinem hohen Alter und an den weißen Haaren liegen, versucht er, die Sache herunterzuspielen. Dabei ist dieses Buch nichts anderes als eine Suche nach Vorbildern, die ihm im Leben wichtig gewesen sind. Damit möchte er sich Klarheit darüber verschaffen, "wie ich wurde, der ich bin."
Bei aller Vorsicht, mit der er sich dem Thema nähert - denn eigentlich lehnt er Vorbilder ab oder akzeptiert sie allenfalls selektiv für bestimmte Lebenssituationen - ist ihm doch klar, dass er damit vor allem Auskunft über sich selbst gibt. So sind es eher Freunde und Menschen, die er bewunderte, die hier in langer Reihe ihre Auftritte bekommen: vom Vater und Lehrern an der Hamburger Lichtwarkschule und der Lebensgefährtin Loki Schmidt, dem Sozialdemokraten Fritz Erler, dem bewunderten Johann Sebastian Bach, der Schauspielerin Ida Ehre bis zu Staatsmännern wie Valery Giscard d'Estaing, Anwar as-Sadat und Deng Xiaoping.
Vernunftgesteuerter Pragmatismus
Berühmtheiten der großen Politik stehen neben den weniger Berühmten aus der Hamburger Nachbarschaft, Aber immer erlaubt Schmidt den dezenten Schlüssellochblick aufs Weltgeschehen. Er selbst ist dabei der Mann, der auf die Tugenden der Gelassenheit und der Pflichterfüllung setzt und sich als Verantwortungsethiker profiliert. Es sind dann eben doch nicht nur die weißen Haare, die sein Ansehen ausmachen. Das beruht vielmehr auf der Tatsache, dass er einen Politikertypus repräsentiert, den es im heutigen Politikbetrieb nicht mehr gibt: Denjenigen, der entschieden seine Position vertritt und notfalls mit ihr untergeht, sich jedenfalls nicht opportunistisch dem Mehrheitswillen unterwirft. In der demoskopischen Gesellschaft kommt man damit nicht mehr zum Zuge. Das Ansehen des alten Helmut Schmidt beruht so gesehen auf einer Mangelerscheinung.
Was ihn darüber hinaus auszeichnet, ist sein vernunftgesteuerter Pragmatismus, der ihn allen Glaubensbekenntnissen misstrauen und Menschen mit Visionen den Arztbesuch empfehlen lässt. In der Nüchternheit liegt seine Grenze. Oft fehlt es ihm an Fantasie, über das rational Vorstellbare hinauszudenken. Darin liegt aber auch seine Stärke, gerade in Zeiten, in denen religiöser Fanatismus zunehmend an Einfluss gewinnt.
Schmidt, der auf Marc Aurels Gelassenheit, Kants Kategorischen Imperativ, Max Webers Verantwortungsethik und Karl Poppers Offene Gesellschaft setzt, ist ein gutes Gegengift gegen jegliche Weltanschauungserregung. Auch sein politisches Vermächtnis - europäische Integration, Westbindung, aktive Friedenspolitik - ist so richtig wie naheliegend. Wie gesagt: Das alles ist nicht neu, schon gar nicht von Schmidt. Aber die Welt ist so beschaffen, dass man es immer mal wieder sagen sollte und dankbar dafür sein muss, dass es die schmidtsche Verlässlichkeit immer noch, immer wieder gibt.