"Wir sehen überall auf der Welt, dass die Muslime mehr Kinder haben als andere. Das liegt an der minderen Stellung der Frau. Und wir sehen überall, dass dort, wo in Gesellschaften unterschiedliche Gruppen zusammenleben, die der Muslime immer die relativ geburtenreichsten sind."
Thesen und Gegenthesen
Thilo Sarrazins Thesen polarisieren. Wir haben Experten daher um Einschätzungen unseres Gesprächs mit dem ehemaligen Berliner Finanzsenator gebeten.
Thilo Sarrazin vemeidet in seinem neuen Buch weitgehend Pauschalurteile und argumentiert noch stärker als bisher entlang von Statistiken, die jeder nachlesen kann. Aber natürlich sind auch diese vermeintlichen Fakten immer eine Frage der Interpretation.
Wir haben deshalb Experten um eine Einschätzung unseres Gesprächs mit Sarrazin gebeten, das Sie hier im Volltext lesen und hier nachhören können:
These 1:
Stellung dazu nimmt Ulrike Freitag, Direktorin vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient und Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin:
"Die Aussage, dass Muslime aufgrund ihrer religiösen Verfasstheit mehr Kinder kriegen als andere, ist blanker Unsinn. Es gibt – und zwar überall auf der Welt – eine klare Korrelation zwischen den Lebensumständen und der Anzahl der Kinder. Und man kann, wenn man sich jetzt muslimische Länder unterschiedlichster Art und in unterschiedlichsten Regionen anschaut, feststellen, dass in den vergangenen 60 bis 70 Jahren überall die Geburtenquote dramatisch gesunken ist.
Das heißt, es gibt hier eine klare Korrelation zu den Lebensbedingungen, zu Fragen sozialer Absicherung im Alter, zu der Art, wie Menschen leben in ländlichen oder in städtischen Gebieten etc. Das hat mit der Religion gar nichts zu tun.
Was nun die sexuellen Beziehungen anbelangt, so herrscht im muslimisch geprägten Raum überwiegend ein System, wo die Kontrolle sexueller Beziehungen externalisiert ist. Das heißt, die Gesellschaft ist dafür verantwortlich, dass Mann und Frau keine unzulässigen Beziehungen miteinander haben. Und das führt natürlich dann, wenn Menschen von der einen in die andere Region wechseln, zu Konflikten und zu Schwierigkeiten."
These 2:
"Wir beobachten, dass es in keinem Land der Welt, wo Muslime die Mehrheit haben, eine funktionierende Demokratie gibt. Und das ist, wie ich zeige, in der Lehre des Islam selbst angelegt. Das heißt nicht, dass der einzelne Muslim böse wäre oder etwas gegen uns hätte. Aber die islamische Gesellschaft insgesamt strebt nach der Dominanz und Herrschaft."
Das kommentiert Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster:
"Dazu gibt es zwei Punkte, die man sagen muss. Erster Punkt: Das größte islamische Land ist Indonesien und es ist wohl seit den 70er-Jahren ein demokratisches Land - auch wenn es nicht so 100-prozentig demokratisch ist, wie wir es uns hier im Westen vorstellen, so ist es auf einem guten Weg. Das ist das eine.
Der andere Punkt: Wir vergleichen immer die Situation in den islamischen Ländern mit der Situation heute in Europa oder im Westen und wir vergessen, dass der Islam eine 500 Jahre jüngere Religion ist und dass es sich um Prozesse handelt, die auch ihre Zeit benötigen.
Herr Sarrazin hat recht in einem Punkt, wenn er sagt, es gibt eine Variante des Islams, die herrschen will, die auf Macht aus ist. Aber das ist ja der politische Islam oder der fundamentalistische Islam, der sogenannte Islamismus. Aber Sie müssen immer unterscheiden zwischen dem Islam und dem Islamismus.
Es gibt Gruppierungen, gegen die ich auch und viele Muslime vorgehen, die meinen, im Namen des Islams herrschen zu wollen, Macht haben zu wollen, wie die Muslimbrüder in Ägypten oder andere Gruppierungen. Und da hat er recht, wenn er hier Kritik äußert.
Allerdings muss man eine differenzierte Kritik äußern und nicht jetzt pauschal meinen, der Islam an sich will nur Macht und herrschen, sondern eine bestimmte Variante des Islams, eben der politische Islam, und diese Unterscheidung ist notwendig, damit wir keine Pauschalurteile abgeben, die wiederum eine ganze Religion und ihre Anhänger in eine negative Ecke schiebt."
These 3
"Das sehen wir international und auch bei den Muslimen bei uns, dass sie in ganz Deutschland und Europa überdurchschnittlich beteiligt sind an der Kriminalität."
Dazu haben wir Christian Walburg befragt, Kriminologe an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster:
"Das lässt sich so ohne weiteres gar nicht beantworten, denn in offiziellen Kriminalstatistiken ist die Religionszugehörigkeit als solche bei Tatverdächtigen zum Beispiel nicht enthalten. Worüber man aber ungefähre Aussagen treffen kann, ist zum Beispiel die Zusammensetzung der Strafgefangenen in den Gefängnissen. Insgesamt hat man ungefähr das Bild, dass dieser Anteil gegenwärtig in Gesamtdeutschland bei circa 15 bis 20 Prozent liegt. Dieser Wert ist höher als der Anteil der Muslime in der Bevölkerung. Man kann also schon sagen, Muslime sind zum Beispiel im Strafvollzug überrepräsentiert. Daraus kann man jetzt aber natürlich nicht ohne weiteres den Schluss ziehen, dass die Religion selbst die Ursache für die Straffälligkeit wäre.
Junge Männer zum Beispiel haben in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten die höchste Kriminalitätsbeteiligung. Also ein Stück weit wird das schon dadurch erklärt, dass die muslimische Bevölkerung im Schnitt einfach erheblich jünger ist als andere Teile der Bevölkerung.
Darüber hinaus geht es bei Kriminalität viel um Lebenslagen und Lebenserfahrungen und da macht sich bemerkbar, dass Muslime im Schnitt in westeuropäischen Aufnahmegesellschaften häufiger in sozial schwierigen Verhältnissen leben, einen geringeren Bildungshintergrund, größere Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben und Ausgrenzungserfahrungen machen.
Manche sind stärker von traditionellen Männlichkeitsvorstellungen geprägt oder haben besondere Schwierigkeiten, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen. Und junge Geflüchtete zum Beispiel, unter denen zuletzt auch viele Muslime waren, leben häufig ohne Familie und kontrollierendes soziales Umfeld in einer unvertrauten Umgebung, in ungesicherten Perspektiven und haben zum Teil Frustrationserlebnisse, also da kommen Umstände zusammen.
Wir müssen uns die Lebenslagen dieser Gruppe anschauen und ihre Zusammensetzung und können diese Unterschiede in der Kriminalitätsbeteiligung, die man zum Teil feststellen kann, im Wesentlichen mit Lebenslagen und Lebenserfahrungen erklären und nicht durch die Religion."
These 4
"Und dann müssen wir natürlich darüber nachdenken, wie es künftig weitergeht mit der Einwanderung aus islamischen Ländern. Da bin ich der Meinung, dass wir diese grundsätzlich weitgehend unterbinden sollten."
Christoph Möllers, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht in dieser Haltung ein grundsätzliches Problem:
"Ich sehe in dieser Feststellung eigentlich zwei Probleme. Zum einen haben wir eine völkerrechtliche Verpflichtung dazu, Flüchtlinge aufzunehmen, die in Not sind, die politisch verfolgt sind. Und aus dieser Verpflichtung kommen wir nicht einfach raus. Und diese Verpflichtung ist religionsblind. Man kann nicht sagen, wir geben Verfolgten, die einer bestimmten Religion angehören politisches Asyl, aber anderen nicht. Das ist das Völkerrecht.
Und dann haben wir noch ein verfassungsrechtliches Problem, das einfach darin besteht, dass wir grundsätzlich den Staat dazu verpflichtet haben, Religion nicht zu diskriminieren. Also Leute wegen ihres religiösen Bekenntnisses nicht anders zu behandeln. Und das schließt es eigentlich von vornherein aus zu sagen, bestimmte staatliche Begünstigungen oder bestimmte staatliche Möglichkeiten werden etwa Muslimen vorenthalten und anderen nicht."