Mannheim sucht den Kirchen-Hit
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Von Sakro-Pop bis Weltmusik: mit einem neuen Gesangbuch lädt die evangelische Kirche zum Mitmachen ein. Mannheim widmet dieser Idee jetzt einen Liederpfad: mit Chorproben und Gottesdiensten für singfreudige Christen.
Montagabend im Gemeindehaus der Markuskirche in Mannheim. Rund 30 Sängerinnen und Sänger sind zu einer Offenen Chorprobe gekommen, bei der nur Lieder aus dem Neuen Gesangbuch auf der Liste stehen. Chorleiterin Marion Fürst macht nicht viel Aufhebens darum, dass nicht alle jedes Stück kennen, und lässt einfach mal lossingen. Die druckfrischen Exemplare in der Hand und begleitet von Klavier und Cajon machen alle begeistert mit, auch wenn es bei dem ein oder anderen Lied Unsicherheiten gibt.
Töne, Mannheim - zier dich nicht!
"Also, ich find, die gehen sehr leicht ins Ohr und einmal gehört kann man sie mitsingen", sagt eine Teilnehmerin, und ein anderer Sänger pflichtet ihr bei: "Ich bin zwar ein älteres Datum als die meisten, aber es reißt mich schon ein bisschen mit." "Es sind Ohrwürmer durchaus", bestätigt ein Mitsänger. Und eine weitere Teilnehmerin freut sich, "dass wir das jetzt auch in ganz normalen Sonntagsgottesdiensten singen und dann eben auch mitsingen können, weil wir das geübt haben."
Lockere und freudige Stimmung also bei diesem Treffen auf dem sogenannten "Mannheimer Liederpfad", der singfreudigen Christen das neue Liederbuch näherbringen will. Seit Anfang Januar und noch bis Ende März gibt es quer durch die Stadt Veranstaltungen: von der zwanglosen Chorprobe bis zum festlichen Gottesdienst. Wie etwa in der großen ehrwürdigen Christuskirche. Dort natürlich mit Orgelbegleitung.
Die Gemeinde fremdelt noch? Dann: Da capo!
Pfarrer Stefan Scholpp ist allerdings noch nicht ganz zufrieden mit seiner Gemeinde - und hält damit auch gar nicht hinterm Berg. "Ja, Johannes Michel geht ganz schön ab dort oben an der Orgel, die Schola auch", fasst er nach einem der Lieder zusammen, "der Rest der Gemeinde noch nicht so richtig, hab ich das Gefühl. Ich glaub, ich würde dieses Lied gerne noch mal singen." Die Gemeinde ist amüsiert und macht mit, manche durchaus mit Schwung, aber ein paar Mitglieder fremdeln offenbar mit dieser neuen Musik, wie sich nach dem Gottesdienst herausstellt.
"Ich bin noch nicht so vertraut damit", bekennt ein Gottesdienstbesucher, "und ich finde, die Melodien haben nicht die Dimensionen wie die traditionellen. Die Melodien haben so ein bisschen den Charakter: Jetzt sind wir mal zusammen recht fröhlich, nicht?"
Gewagter Spagat zwischen Lobpreis und Pop
Den badischen Landeskantor Johannes Michel überrascht eine solche eine Meinung nicht. Ein neues Kirchenliederbuch herauszugeben, das sei heutzutage einfach ein sehr großer Spagat, meint Michel, "weil auch die kulturellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche immer weiter auseinandergehen, insofern gehen auch die Geschmäcker und die musikalischen Stilistiken in den Gemeinden und ihren Aktivitäten immer weiter auseinander."
Die Bandbreite sei immens, sagt Michel: "Von der traditionellen Gemeinde mit vielen traditionellen Liedern bis zu den Lobpreis-Teams, die Popularmusik natürlich machen. Und das zusammenzufassen und daraus überhaupt noch einen gemeinsamen Vorrat an Liedern zu bilden, ist eminent schwierig und wird auch immer schwieriger."
Mindeststandards für Melodie und Botschaft
Die Auswahl der Lieder, die jetzt in dem neuen Buch gelandet sind, hat eine Kommission aus Vertretern der badischen, württembergischen, pfälzischen und elsaß-lothringischen Landeskirchen getroffen, deshalb ist es ein deutsch-französisches Liederbuch. Ein paar Stücke sind auch über eine Online-Abstimmung unter Gemeindemitgliedern reingekommen.
"Die Kommission hat Wert darauf gelegt, dass das sprachliche Niveau einen Mindeststandard hat", erläutert Michel. "Wenn viele Menschen dichten und aus dem Glauben und Herzen heraus Lieder produzieren, dann kann es sowohl sprachlich als auch theologisch und musikalisch so sein, dass man es nicht in einer großen Öffentlichkeit verbreitet wissen möchte. Deshalb sind die wesentlichen Kriterien, dass es theologisch in Ordnung ist und dass auch die musikalische Gestaltung ein gewisses Niveau und eine gewisse Form hat."
Die Alten sungen - jetzt kommen die Jungen
Vom Sakralpop über Lobpreislieder bis hin zu Weltmusik findet sich vieles in der Sammlung. Und viele Pfarrerinnen und Pfarrer finden die nicht zuletzt aus theologischen Gründen sehr sinnvoll. "Die Anliegen der Menschen heutzutage werden vielleicht direkter aufgegriffen und mit der gleichen Sprache", sagt Martina Egenlauf-Linner, die Pfarrerin der Markusgemeinde. "Ich glaube, das macht sie dann verständlicher und zugänglicher und setzt sich schneller auch fest bei den Leuten." Ihr Kollege Stefan Scholpp ergänzt: "Ich glaube, die Unmittelbarkeit des Erlebens von Glaube, die wird sicher gefördert durch diese neuen Lieder. Und das ist sicher etwas, was uns gut tun wird."
Und dann gibt es da noch eine große Hoffnung, die sich an die modernere Musik- und Textsprache knüpft. "Ich glaube, man kann mit dieser Art Musik auch viele jüngere Menschen wieder an die Kirche binden oder sie mehr in der Kirche zu Hause sein lassen, und das ist ja auch wichtig, dass die Jugend mitkommt", sagt eine Gottesdienstbesucherin. Auch eine andere Teilnehmerin begrüßt es, "dass jetzt auch mal ein bisschen mehr für jüngere Leute getan wird, dass sie sich vielleicht nicht so fremd in der Kirche fühlen mit dem verzagten Gesang. Also, ich finde Musik sehr wichtig, und mir hat es sehr gut gefallen. "
Eine Million Lieder in 500 Jahren
Gesangbuchreformationen gibt es übrigens schon immer, das betont der badische Landeskantor Johannes Michel ganz ausdrücklich. Die letzte große war Anfang der 90er Jahre und davor gab es eine in den 50er Jahren. "Die christliche Kirche ist eine singende Kirche", sagt Michel. "Seit der Reformation entstehen ständig neue Lieder und der Titel unseres Gesangbuchs sagt ja auch nichts anderes: 'Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder' - in den 500 Jahren der evangelischen Kirche hat es bestimmt schon eine Million neue Lieder gegeben."
Manche alten Stücke wird er vermissen, wenn sie denn einmal rausfallen sollten, das gibt der Kirchenmusiker ganz offen zu. Aber das neue Gesangbuch ist ja erst mal eine Ergänzung und ersetzt das alte noch nicht ganz. Die über 200 neuen Lieder, von denen manche auch schon wieder 20 Jahre alt sind, werden jetzt gewissermaßen erprobt. Und nicht alle werden überleben, das sei jetzt schon klar, sagt Michel: "Aus jedem Jahrhundert bleibt letztendlich nur der eine oder andere Hit. Und da gibt es ja wirklich auch welche, die sich lange gehalten haben und auch heute noch gesungen werden."
Welches der neuen Lieder das Zeug zu einem solchen Kirchen-Hit hat, das können sich die evangelischen Gemeinden im Südwesten jetzt nach und nach ersingen.