Putins Strategie im Ukraine-Konflikt
Der Friedensplan im Ukraine-Konflikt soll erneuert werden. Das haben Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Hollande in Moskau erreicht. Eine mutige Mission, meint der Journalist Florian Kellermann. Doch Putin hat keinen Grund einzulenken - noch nicht.
Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg. Russland hat im vergangenen September in Minsk den Friedensvertrag für die Ostukraine unterschrieben. Aber seitdem hat Moskau keinen Finger gerührt, um diesen Vertrag auch umzusetzen. Ganz im Gegenteil, Moskau klatscht jedes Mal Beifall, wenn die Separatisten einen weiteren Punkt des Abkommens verletzen. Zuerst die sogenannte Parlamentswahl in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk, dann die Eroberung immer neuer Gebiete. Dabei bräuchte Russland bloß keine Waffen mehr zu liefern und keine Soldaten mehr zu schicken - und der Konflikt würde augenblicklich abkühlen. Eine internationale Überwachung der ukrainisch-russischen Grenze, wie es das Abkommen vorsieht? Darüber wird heute nicht einmal mehr diskutiert.
Das lässt nur einen Schluss zu: Putin ist ganz zufrieden mit dem Verlauf der Dinge - mit der immer schwierigeren Lage der ukrainischen Regierung, mit der Angst, die sich im Rest Europas breitmacht, mit der Hilflosigkeit des Westens. Putin handelt nach dem oft wiederholten Motto der Sowjetunion: "Die Welt fürchtet uns, also achtet sie uns."
Moskau fordert mehr Territorium für die Separatisten
Das alles weiß auch Angela Merkel. Dass die Bundeskanzlerin gestern dennoch den Weg nach Moskau angetreten hat, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande, ist mutig. Denn so gut wie nichts wies darauf hin, dass ihre Mission Erfolg haben könnte. Putin ließ lediglich über einen seiner Berater mitteilen, er sei bereit zu konstruktiven Gesprächen. Nicht viel anders lautete die Formel, die beide Seiten nach den Verhandlungen zu Protokoll gaben: Konstruktiv und inhaltsreich seien sie gewesen. Einziges bisher greifbares Ergebnis: Morgen werden Merkel, Hollande und Putin eine Telefonkonferenz abhalten und dazu auch den ukrainischen Präsidenten Poroschenko einladen. Es werde möglicherweise ein gemeinsames Dokument entstehen, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow.
Klar ist: Russland wird von Kiew weitere Zugeständnisse verlangen, die über das Minsker Abkommen hinausgehen. Zum einen geht es Moskau um mehr Territorium für die Separatisten - die Ukraine soll deren Eroberungen seit dem vergangenen September anerkennen. Zum anderen sollen die Separatistengebiete mehr Autonomie bekommen als in Minsk vorgesehen. Und - das für Moskau wohl wichtigste Element: Kiew soll wieder Renten und Gehälter an die Menschen im Donezkbecken ausbezahlen. Denn Russland ist, anders als auf der Krim, nicht bereit, die sozialen Kosten für die Separatistenbewegung der Ostukraine zu übernehmen.
Hat ein neues Friedensabkommen eine Chance?
Merkel und Hollande hätten viel geleistet, wenn es unter diesen Prämissen zu einer neuen Friedensvereinbarung käme. Die Frage bleibt nur: Warum sollte sie halten, im Gegensatz zum Minsker Abkommen? Warum sollten die Separatisten nicht wieder erst unterschreiben - und dann mit Hilfe Russlands weiter vorrücken?
Der Westen hofft darauf, dass hier die Drohung aus den USA wirkt: moderne Waffen an die Ukraine zu liefern. Auf den ersten Blick scheint das kriegerisch gesinnte Washington mit der diplomatischen Initiative aus der EU zu konkurrieren. Das Vorgehen des Westens lässt sich aber auch anders interpretieren - als das bekannte Spiel "Good guy - bad guy". Merkel und Hollande haben nur deshalb eine Chance mit ihrem diplomatischen Vorstoß, weil die USA eine massive militärische Eskalation des Konflikts nicht mehr ausschließen.
Nur einer weiß, ob diese Strategie verfangen kann: nämlich Wladimir Putin. Mit jeder Eskalation des Konflikts steigt auch für ihn das Risiko. Die Talfahrt der russischen Wirtschaft wird weitergehen, immer mehr seiner Soldaten werden sterben. Aber erst, wenn er seine Macht im Land dadurch in Gefahr sieht, wird der russische Präsident tatsächlich einlenken.