Neues Gedicht für Alice-Salomon-Hochschule

"Als würde der Ort überhaupt keine Rolle spielen"

Fotomontage: Das Gedicht von Barbara Köhler nach der Fassadensanierung an der ASH Berlin, es lautet "SIE BEWUNDERN SIE / BEZWEIFELN SIE ENTSCHEIDEN: / SIE WIRD ODER WERDEN GROSS / ODER KLEIN GESCHRIEBEN SO / STEHEN SIE VOR IHNEN / IN IHRER SPRACHE / WÜNSCHEN SIE IHNEN / BON DIA GOOD LUCK
Fotomontage: Das Gedicht von Barbara Köhler nach der Fassadensanierung an der ASH Berlin © ASH Berlin
Barbara Köhler im Gespräch mit Sigrid Brinkmann |
Über Jahre prägte "Avenidas" von Eugen Gomringer die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Nun wird es mit einem Gedicht von Barbara Köhler übermalt. Es gehe dabei weniger um Zensur als vielmehr um Wirkung im öffentlichen Raum, erklärt sie.
Fünf Jahre lang konnten Passanten auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf das Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer lesen. Dann stießen sich Studentinnen an vermeintlich sexistischen Zeilen und es begann eine breit geführte Debatte über Sexismus und die Freiheit der Kunst.
Erwirkt wurde schlussendlich ein Kompromiss: Gomringers Gedicht wird nicht völlig zum Verschwinden gebracht. Es wird auf eine kleine Messingtafel gedruckt und am Haussockel angebracht. Auf die große Wand kommt nun ein Gedicht der Lyrikerin Barbara Köhler, die 2017 den Preis der Hochschule gewonnen hat.

Es handelt sich um ein Palimpsest

Für den Zeitraum von fünf Jahren werden ihre poetischen Zeilen das Gesicht der Hochschulfassade prägen. Das Gedicht grüßt die Vorübergehenden ausdrücklich, es wünscht "bon dia" - einen guten Tag - und "good luck" - viel Glück.
Barbara Köhler erklärt, dass es ihr nicht schwergefallen sei, mit ihrem Gedicht das bestehende zu übermalen, da es zum Konzept passe. Denn in gewisser Weise handle es sich hier um "ein Palimpsest, also eine Überschreibung, eine gängige literarische Technik, die auch in der Lyrik gelegentlich angewandt wird. Also dass es einen Subtext gibt, über den dann variiert oder kommentiert wird." Und hier sei der Subtext tatsächlich wörtlich genommen noch da, denn "in den Buchstaben sieht man die Fragmente des vorhergehenden Textes", so Köhler weiter.
Die Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin mit dem Gedicht von Eugen Gomringer. In der Zeile heißt es: "Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer".
Noch prangt das Gedicht "Avenidas" an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule© dpa-Zentralbild
Leider sei die Debatte um das Gedicht so geführt worden, "als würde der Ort überhaupt keine Rolle spielen". Als sei es egal, "ob es in einem Buch steht oder an einer Hauswand. Es ging gar nicht primär um den Text", sondern darum, wie "dieser Text an diesem Ort, in diesem Umfeld wirkt".
Insofern war Köhler wichtig, wie sie selbst mit dem Umfeld umgeht, und weniger, wie "verhalte ich mich zu dem Text, als stünde der genauso in einem Buch". Die ganze Diskussion sei dann aber unter dem Vorzeichen Zensur geführt worden. Man könne aber nicht von Zensur reden, erklärt Köhler, wenn lediglich ein Exemplar eines gut verbreiteten und anerkannten Textes an diesem speziellen Ort übermalt werde.
Barbara Köhler in Staufen.
Die Lyrikerin Barbara Köhler© Patrick Seeger/dpa
Zudem erklärt sie, dass sie sich bewusst dafür entschieden habe, das Gedicht in Versalien zu entwerfen, da es in dem Moment, in dem man Großbuchstaben nehme, unentschieden bleibe, ob das Wort eigentlich groß oder klein geschrieben werde, ob es sich also um eine Anrede oder um einen Verweis auf eine Person oder eine Gruppe von Personen handle.

Wie wirkt ein Text im öffentlichen Raum?

Zum Schluss des Gesprächs sagt Köhler, dass sie sich keineswegs mehr Fassadengedichte im öffentlichen Raum wünsche. Denn Texte unterschieden sich, je nachdem ob sie vor zwei Augen oder vor aller Augen geschrieben stünden. Der Gomringer-Text funktioniere anders als öffentlicher Text.
"Ich denke, es ist eigentlich ein Gedicht, das geschrieben wurde für zwei Augen." Und dieses lasse sich nicht einfach eins zu eins vergrößern und in den öffentlichen Raum übertragen. Barbara Köhler hätte sich "gewünscht, dass es mehr darum geht, was der Text mit dem öffentlichen Raum macht".
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