Neues Gewand für die Cash-Cow

Von Christoph Leibold |
Die großteils glänzend gelungenen Veränderungen des "Jedermann" in Salzburg rücken das alte Moralitäten-Spiel in Richtung Moritat. Brigitte Hobmeiers frivole Buhlschaft agiert als laszives Luder, Cornelius Obonya in der Titelrolle ist ein selbstsicherer Machtmensch.
Er trägt Smoking und keine Schnallenschuhe. Der neue Jedermann – gemeint ist die Figur ebenso wie das nach ihr benannte Stück – der neue Jedermann sieht deutlich anders aus als all die Salzburger Jahre zuvor, auch wenn er nicht so viel anders klingt. Es tönt wie eh und je am Salzburger Domplatz. Das liegt in der Natur des Stücks mit seiner altertümelnden Sprache wie des Aufführungsortes, dessen schiere Dimension nach einer vergrößernden, vergröbernden Spielweise förmlich schreit.

Mit geschlossenen Augen wäre dieser neue Jedermann jedenfalls kaum zu unterscheiden von seinen Vorgängern. Aber wer möchte schon die Augen verschließen vor soviel sichtbarer Veränderung. Das Regie-Duo Julian Crouch und Brian Mertes hat dem Jedermann sein barockes Gewand ausgezogen und ihn in der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert neu einkleiden lassen – irgendwo zwischen Charles Dickens und Roaring Twenties. Schirm, Charme und Melone statt Mantel und Degen, Wams und Mieder. Eine ausstattungsästhetische Revolution.

Geblieben ist das Spektakelhafte, wobei der sinnliche Eindruck in der Regel wichtiger ist als der Sinn jedes einzelnen Regieeinfalls: Musik, ein paar Pyroeffekte, üppige Kostüme; dazu gibt es diesmal riesige Teufelsmasken, die die Schauspieler beim Einzug auf die Bühne tragen, sowie Anleihen beim Puppenspiel.

Der Mammon etwa, die Verkörperung von Jedermanns Reichtum, ist ein Magier mit Zylinder, der sich aus einer mächtigen Goldpuppe hervorzaubert, um dann in deren überlange Arme zu schlüpfen und ausladend zu gestikulieren und dabei sprichwörtlich Geld zu scheißen. Die allegorische Figur der Guten Werke dagegen – schwach, weil von Jedermann sträflich vernachlässigt – hat den Körper eines mickrigen Püppchens mit dünnen Beinchen, den sich eine Schauspielerin vor die Brust geschnallt hat.

Gott ist einfach vergessen
Jedermann selbst, gespielt von Cornelius Obonya, Enkel des 30er- und 40er Jahre-Jedermanns Attila Hörbiger, ist ein selbstsicherer Machtmensch, keiner, der Gott einfach vergessen hat, sondern schlichtweg nicht an ihn glaubt. Schon das Wort "Gott" spricht er mit einem Fragezeichen versehen aus, als ihm der kreideweiße, kahlköpfige Tod von Peter Lohmeyer im Namen des Herrn gegenübertritt.

Hochmut liegt Obonya darstellerisch deutlich besser als tiefe Verzweiflung, die ihm ins Theatralische verrutscht. Was sich aber mit etwas Domplatzroutine ändern dürfte. Bleibt noch Brigitte Hobmeiers frivole Buhlschaft im silberblitzenden, brustbetonenden Oberteil. Ein laszives Luder, so springlebendig wie lange keine Salzburger Buhlschaft mehr. Mit einem modernen Frauenbild hat das natürlich nichts zu tun, aber das ist von diesem Stück ja kaum zu erwarten. Auch nicht in rundumerneuerter Inszenierung: Eine radikale Neudeutung wollten und sollten auch Julian Crouch und Brian Mertes nicht liefern. Immerhin aber loten die beiden den geringen Interpretationsspielraum aus, den ihre Mission bietet.

Wo Vorgänger-Regisseur Christian Stückl zuletzt ein dickes Fragezeichen hinter Jedermanns Auferstehung setzte, betten sie dessen Streben ein in den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen: sein Leichnam liegt am Ende, bedeckt von einem Leintuch und Erde, inmitten der Bühne, daneben aber sprießt ein Bäumchen in frischem Grün.

Das versöhnliche Ende einer Inszenierung, die auch sonst nicht verstört, trotz aller, größtenteils glänzend gelungenen, Veränderung, die das alte Moralitäten-Spiel eher in Richtung Moritat rücken, und ihm so einen erfreulich neuen Anstrich verleihen. Ein Jedermann in neuem Gewand und doch im Gehalt weitestgehend der Alte geblieben – Besseres können sich die Salzburger Festspiele von ihrer Cash-Kuh am Domplatz kaum wünschen. Mission erfüllt.

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