Der Godfather of Punk macht nur noch, was ihm gefällt
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Auf seinem neuen Album "Free" klingt Iggy Pop, wie man ihn noch nie gehört hat: Zusammen mit dem Jazz-Trompeter Leron Thomas mischt er Free-Jazz, Noise-Rock und Industrial. Ein nachdenkliches Spätwerk mit morbider Grundstimmung.
"Ich genieße mein Leben. Zumindest ein Drittel meiner Zeit bin ich richtig glücklich. Die andern zwei Drittel geht es mir wie allen; nach dem Motto: 'Mist, ich muss ins Flugzeug.' Oder: 'Ich muss arbeiten – habe aber keine Lust.' Nur: Mir ging es nie so gut wie heute."
Iggy Pop lebt mit seiner Frau Nina und einem monströsen Kakadu namens Biggie in einer Villa in Miami, fährt einen grauen Rolls Royce und hat einen persönlichen Assistenten, der sich um alles kümmert.
Auch beruflich macht das ewige Stehaufmännchen der Rockmusik nur noch, was ihm gefällt: Iggy gibt weniger Konzerte, moderiert eine Sendung auf BBC6 und legt nun mit "Free" ein Album vor, das ein echtes Novum in seiner über 50-jährigen Karriere darstellt: Eine Kooperation mit dem New Yorker Jazz-Trompeter Leron Thomas. Eine Koryphäe, die von einer Solo-Karriere träumt. Dabei wollte Iggy helfen. Doch es kam anders:
"Einiges von seinem Material gefiel mir so gut, dass ich es unbedingt selbst singen wollte. Ich meinte zu Leron: 'Komm nach Miami und ich nehme drei oder vier von deinen Nummern auf.' Dann sind es doch mehr geworden – worüber ich sehr froh bin. Genau wie über die Tatsache, dass er auf meinen Vorschlag eingegangen ist. Nämlich: 'Ich helfe dir später bei deinem Album – produzier' du erst mal meins.'"
Free-Jazz trifft Noise-Rock und Industrial
Das Ergebnis ist Iggy Pop, wie man ihn noch nie zuvor gehört hat: Ein ambitionierter Grenzgang zwischen Free-Jazz, Noise-Rock und Industrial-Anleihen, sphärischen Beats und einer morbiden Grundstimmung.
Ein nachdenkliches Spätwerk, das so gar nichts vom Proto-Punk der Vergangenheit hat. Außer bei einigen Texten, in denen er – so sagt er lächelnd – in sein altes Ich zurückverfällt. Sie handeln von Internet-Pornographie, ausgefallenen Sex-Praktiken und Agentinnen mit eindeutig zweideutigen Fähigkeiten: Bei ihnen schmelzen Schokoladennüsse im Mund, nicht in der Hand.
"Das kennt ihr aus der Werbung. Leron kokettiert damit auf sexuelle Weise – nur, um dann zu sagen: 'Sie mag halt M&Ms.' Und das ist lustig. Denn ich weiß genau, dass mir meine Frau nach dem Abendessen wieder M&Ms serviert. Einfach, weil das der heiße Scheiß ist - wobei ich nicht weiß, warum. Für mich sind das billige Süßigkeiten. Aber sie erleben eine kulturelle Renaissance."
Da blitzt ganz kurz der schelmische, provokante Iggy auf. Der Bürgerschreck, der sich mit Erdnussbutter eincremt, in Glasscherben wälzt und der Welt den Mittelfinger zeigt. Doch für den ist auf "Free" ansonsten wenig Platz. Es dominiert der nachdenkliche Künstler, der unmissverständlich klarmacht, was er von einer modernen Welt voller altem Hass und noch älteren Vorurteilen hält:
"Es ist die Reaktion des dummen, weißen Proletariats. Eine Minderheit, die die Mehrheit gerne manipuliert. Die so wenig wie möglich denken möchte, sich an drei oder vier Dingen festklammert, von denen sie sich Sicherheit verspricht, und wütend auf Gott und die Welt ist. Aber: Ich habe Hoffnung, dass das nachlässt. Vielleicht nicht schnell, aber nach und nach."
Jim Jarmusch wollte Iggy als Zombie
Dieser Gruppe stellt Iggy schwermütige Gedanken und entwaffnenden Humor entgegen. Nicht nur in der Musik und im Radio, sondern auch auf der Leinwand. Erst vor Kurzem glänzte er als kaffeesüchtiger Zombie in Jim Jarmuschs "The Dead Don't Die".
"Das war echt hart: Tonnen von Make-up, jede Menge Kunstblut, das mir zwischen jeder Szene in den Mund gespritzt wurde und dann musste ich noch Eingeweide essen. Wobei ich zwei Optionen hatte: Organische Schweinswurst oder einen Silikon-Wrap voller übelschmeckender Chemikalien. Ich habe mich fast übergeben. Aber Jim Jarmusch ist mein Guru in Sachen Film. Diesmal wollte er, dass ich ein Zombie bin - also wollte ich das auch."