Neues Kulturgesetz in Israel

Künstlerische Freiheit in Gefahr

Von Elisabeth Nehring |
Seit einem Jahr ist Miri Regev Kulturministerin in Israel. Ein geplantes Gesetz der Ex-Generalin macht vielen nun Angst. Künstler, die sich kritisch mit der israelischen Gesellschaft auseinandersetzen und "illoyal" verhalten, sollen keine Förderung mehr bekommen.
Das Jerusalemer Damaskustor an einem sonnigen Tag im April. Arabische Händler ordnen geschäftig ihre Waren, Taxifahrer warten gelangweilt auf Kundschaft. Schwarz gekleidete Orthodoxe huschen vorbei, ohne den Rest der Welt eines Blickes zu würdigen, während ein paar energische Touristen den Weg zu Grabeskirche oder Klagemauer einschlagen. Genau hier, am Damaskustor, gab es in den letzten Monaten die meisten Messerattacken von Palästinensern auf israelische Soldaten, und auch heute ist deren schwerbewaffnete Präsenz unübersehbar. Nur eineinhalb Minuten von diesem spannungsreichen Ort entfernt befindet sich das kleine Machol Shalem Dance House, Jerusalems wichtigste Institution für Tanz und Performance.
"Wir erleben hier jeden Tag auf’s Neue eine Menge politischer und sozialer Gereiztheiten, mit denen wir umgehen müssen. Die Nachbarschaft ist mehr als durchmischt, was das Arbeiten nicht immer ganz einfach macht. Die ultraorthodoxe Gemeinde befindet sich gleich gegenüber; auf der anderen Seite gibt es die arabische Community; dann wohnen die nicht-religiösen Künstler alle hier und die Black Panther-Bewegung ist in dieser Gegend auch noch sehr präsent."

Politische und provokante Tanzproduktionen

Katerina Vasiliadis arbeitet seit mehr als zehn Jahren am Machol Shalem Dance House, zusammen mit Direktor und Gründer Ruby Edelmann. Der Choreograph präsentiert hier seine politisch mitunter sehr provokanten Tanzproduktionen und lädt Kollegen aus der zeitgenössischen Tanzszene ein. Darüber hinaus bieten sie zusammen mit dem Jerusalemer Ableger des Christlichen Vereins Junger Menschen – kurz YMCA – gemeinsame Tanzklassen für jüdische und arabische Kinder an. Und ultra-orthodoxe Frauen bekommen die Möglichkeit, in den Studios des Tanzhauses an eigenen Choreographien zu arbeiten und diese sogar auf einem kleinen Festival zu präsentieren – auf eigenen Wunsch allerdings vor ausschließlich weiblichem Publikum.

Im Machol Shalem Dance House finden die unterschiedlichsten Communities der Nachbarschaft ihren Platz – ein wichtiger Ort für die "Heilige Stadt". Das sieht auch die Jerusalemer Stadtverwaltung so, die das Tanzhaus nach Kräften fördert. Doch auch diese lokale Unterstützung bewahrt ein Theater wie das Machol Shalem nicht davor, in Zeiten, in denen sich das kulturpolitische Klima zunehmend verschärft, in Bedrängnis zu geraten.
Ruby Edelmanns Tanzproduktion "Shoa-Lite" verbindet auf trashige und provokante Weise Holocaust und Nationalsozialismus mit dem gegenwärtigen politischen Leben in Israel. Es wurde bereits 2010 für das Theaterfestival in Acco produziert, mit dem Jury-Preis für künstlerische Courage ausgezeichnet und auf vielen internationalen Bühnen gezeigt. In Jerusalem hat es im letzten Jahr allerdings mehr als gespaltene Reaktionen ausgelöst.
"Als wir das Stück ´Shoa-Lite` hier in Jerusalem gezeigt haben, gab es massive Beschwerden beim Bürgermeister. Leute fragten, wie es möglich sein könne, dass die Stadt eine Organisation wie das Machol Shalem Dance House unterstützt, wenn dort ein Stück läuft, in dem israelische Soldaten als Nazis gezeigt werden. Die Stadtregierung ist uns eigentlich sehr gewogen und hat uns daraufhin aufgefordert, uns zu entschuldigen, damit diese Beschwerde nicht politisch ausgenutzt werden könne. Sie riefen an und sagten, es gibt ein Problem, Ruby, ihr müsst das richtig stellen. In diesem Moment verwandelte ich mich von einem Künstler, der unbeirrt seine Meinung sagt, zu einem Strategen, dem es vor allem um die Existenz seiner Organisation geht. Wenn du weißt, dass unter Umständen genau das Stück, in dem du die Regierung kritisierst, die ganze Unterstützung für das Machol Shalem Dance House beschädigen oder sogar vernichten könnte, denkt man schon darüber nach, ob es nicht sinnvoll wäre, in der künstlerischen Arbeit lieber ein bisschen moderater zu sein. Wir haben daraufhin ein Manifest geschrieben, in dem wir uns rechtfertigten und erklärten, das Machol Shalem sei ein offenes und kritisches Haus, dass es uns aber keinesfalls darum gehen würde, Gefühle zu verletzen."

Als die Ex-Generalin kam

Dass man in der Doppelposition als kritischer Künstler und verantwortungsbewusster Direktor einer staatlich geförderten Kulturinstitution zwischen allen Stühlen sitzt, erlebt nicht nur Ruby Edelman. Ein großer Teil der Künstler und Intellektuellen des Landes ist von der aktuellen Kulturpolitik aufgeschreckt. Der Amtsantritt von Kulturministerin Miri Regev, einer ehemaligen Generalin, die bei der Armee für die PR zuständig war, hat große Aufregung verursacht. Vor allem ihre zwar vage, aber dennoch bedrohliche Ankündigung, "Zensur auszuüben", falls es "nötig" wäre, hat über Monate heftige Proteststürme ausgelöst. Und auch der jüngste Vorstoß der Likud-Politikerin für ein sogenanntes "Loyalitätsgesetz für Kultur" wirft viele Fragen auf, ob in Israel auch in Zukunft die "Freiheit der Kunst" gewährleistet sein wird.
Antworten geben will Miri Regev dazu nicht. Nach Anfragen in ihrem Ministerium für Kultur und Sport werde ich so lange von einem Mitarbeiter an den nächsten verwiesen, bis schließlich gar keiner mehr antwortet. Der einzige Regierungsvertreter, der sich bereit erklärt, ist Rafael Gamzou, stellvertretender Generaldirektor des israelischen Außenministeriums und zuständig für internationale Beziehungen. Er erläutert Regevs angekündigte Gesetzesänderungen.
"Ich kann Ihnen sagen – und ich betone, dass sich das Ganze im Status der Verhandlung befindet und noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde – dass Miri Regev die Position vertritt, dass es zwar eine absolute Freiheit der Kunst gibt, dass das aber nicht dasselbe ist wie die Freiheit der staatlich geförderten Kunst. Das heißt, Miri Regev hat nicht vor, Kunst zu zensieren, aber sie hat angekündigt, Kunst nicht mehr in jedem Fall zu finanzieren – wenn es sich z.B. um Institutionen handelt, die das Ansehen oder die Werte des Staates Israel beschädigen oder negieren.

Kein Geld für "illoyale" Künstler

Miri Regevs Entwurf für das "Loyalitätsgesetz für Kultur" sieht vor, Künstler und Institutionen, die sich illoyal dem Staat gegenüber verhalten, die Förderung zu verweigern. Unter den Begriff "illoyal" fallen unter anderem künstlerische Produktionen, die zu Rassismus, Terror oder Waffengewalt gegenüber dem Staat Israel aufhetzen. Aber auch solche, die Israel seinen jüdischen, bzw. demokratischen Charakter absprechen. Das heißt, jeder, der in einer Theater- oder Tanzproduktion behauptet, Beduinen oder Araber hätten in Israel nicht die gleichen Rechte wie jüdische Bürger, könnte sich um Kopf und Kragen reden. Träte ihr "Loyalitätsgesetz für Kultur" in Kraft, könnte Miri Regev direkt entscheiden, wann Kunst sich "illoyal" verhält und damit ihre Förderung verliert.
Der Schriftsteller Sefi Rachlevsky ist durch seine kritischen Kolumnen in der linken Tageszeitung Ha’aretz bekannt geworden und beobachtet die kulturpolitischen Vorgänge in der israelischen Regierung intensiv. Er ist alarmiert.
"Natürlich weiß jeder, dass die Ankündigung, man könne zwar mit der Freiheit der Kunst leben, müsse diese aber nicht in jedem Fall finanzieren, eine direkte Bedrohung für Kulturschaffende bedeutet, denn Kunst kann nicht ohne finanzielle Unterstützung entstehen. Was wir als Reaktion darauf jetzt schon beobachten können, ist so etwas wie Selbstzensur. Besonders die Theater versuchen, möglichst unpolitische oder politisch moderate Stücke in ihre Spielpläne aufzunehmen, um nicht unter verschärfte Beobachtung zu kommen."
Die Bereitschaft, sich öffentlich eher moderat zu äußern, fällt auch in Gesprächen mit israelischen Kulturschaffenden auf. Viele von ihnen sprechen ihre durchaus kritische Haltung zwar laut aus, wollen sich aber nicht namentlich zitiert sehen. Der Schriftsteller Sefi Rachlevsky und sein Choreographenkollege Sahar Azimi sind Ausnahmen von dieser Regel – und bringen konkrete Beispiele für den neuen Umgangston auf kulturpolitischer Ebene.

"Fühle mich nicht mehr sicher"

Sahar Azimi: "Bis vor zwei Jahren gab es eine künstlerische Renaissance in Israel, vor allem im Tanz. Die Gründung unserer Choreographen-Organisation vor 14 Jahren führte zu einer regelrechten Welle an Kreativität und unabhängigen Produktionen. In dieser Zeit ist die Zahl der unabhängigen, professionellen Choreographen von fünf auf 80 gestiegen – das ist ein riesiger Zuwachs. Heute aber fühle ich mich nicht mehr sicher. Der ganze Grund und Boden, auf dem diese Kreativität aufbauen konnte, verändert sich derzeit. Miri Regev hat mit ihren abwertenden und negativen Äußerungen unsere Versuche, noch mehr Publikum aufzubauen, zunichte gemacht. Natürlich hören ihr die Leute zu, wenn sie über Künstler herzieht – jene Gruppe, die sie eigentlich vertreten sollte! Als Ministerin für Kultur sollte sie doch für die Künstler einsetzen."
Sefi Rachlevsky: "Stattdessen versucht Miri Regev ständig, gegen die Künstler als Gruppe Stimmung zu machen. Künstler werden als generell elitär, links-extrem, pro-arabisch, anti-patriotisch dargestellt und es wird ihnen unterstellt, sie seien weit entfernt von dem, was die normale Bevölkerung braucht und interessiert. Das ist eine Art Delegitimierung einer ganzen Gruppe von Bürgern – und die hat Methode. Nicht nur die Kulturministerin, sondern die Regierung selbst wendet sich gegen alles, was nicht ultra-nationalistisch oder religiös ist."
Aber es gibt auch Künstler und Kultur, die Miri Regev durchaus schätzt. Laut der Website des Kulturministeriums werden staatliche Gelder unter anderem für "Programme und Projekte zur Entwicklung verschiedener kultureller Sphären in Israel" ausgegeben – mit dem Schwerpunkt auf der "sozialen und geographischen Peripherie". Das bedeutet ganz konkret, dass auch die Kulturzentren jener jüdischen Siedlungen im Westjordanland gefördert werden, die weite Teilen der Weltgemeinschaft als illegal ansehen und die einer Lösung des Nahostkonflikts im Weg stehen. Darauf macht auch Katerina Vasiliadis vom Machol Shalem Dance House aufmerksam. Die Deutsch-Griechin arbeitet als Kulturmanagerin mitunter für kleinere Tanzcompanien, die mit Gastspielen quer durch’s Land ihr Geld verdienen und weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kulturinstitutionen der jüdischen Siedlungen zu beliebten Gastgebern geworden sind.
"Im Endeffekt werden die besser subventioniert in den letzten Jahren, immer besser und besser und man merkt, dass es immer mehr kulturelle Zentren dort gibt und die sich leisten können, sehr, sehr viele Produktionen einzukaufen und die viel besser zu bezahlen als es in anderen Theatern der Fall ist Ma’ale Adumim z.B. da wurde letztes Jahr ein großes Kulturzentrum eröffnet, wo sie auch da gewesen ist. Da habe ich die Eröffnung produziert, von daher weiß ich es ganz genau und habe sie gesehen bei der Eröffnung, wo sie auch sehr offen sagt, dass sie großes Interesse daran hat, viel Geld dort hinein zu leiten. Und ich kenne es von Kollegen, die dort Aufführungen machen (sehr viele Kinderaufführungen im Tanz gehen dahin) und daher weiß ich sehr spezifisch, dass die Gelder da – ja, besser sind."

An ihre echten Gegner kommt Miri Regev nicht ran

Zähneknirschend nehmen selbst eher politisch links stehende Künstler inzwischen Angebote für gut bezahlte Gastspiele in den Siedlungen an – oft aus Geldnot – und tragen damit ironischerweise zur Verfestigung jener Politik bei, die sie eigentlich kritisieren. An ihre echten Gegner aber kommt Kulturministerin Miri Regev nur schwer heran, wie z.B. die Nicht-Regierungsorganisation Zochrot. Die engagiert sich seit mehr als zehn Jahren gegen das in Israel übliche Totschweigen der Vertreibung und Enteignung von Palästinensern bei der Staatsgründung 1948 – von den Palästinensern "Nakba" genannt.
Außerdem setzt sich Zochrot für die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge ein – was in Israel nicht nur Konservative, sondern auch viele Linke für vollkommen ausgeschlossen halten. Folglich erhält die NGO ihre finanzielle Unterstützung ausschließlich von ausländischen Organisationen. Damit ist Zochrot dem Druckmittel der Subventionsstreichung zwar entzogen, doch das von ihnen veranstaltete Filmfestival "48mm" findet alljährlich in der sehr beliebten und staatlich alimentierten Cinematheque in Tel Aviv statt. Und der wird aufgrund dieser Veranstaltung jedes Jahr erneut die Kürzung aller Mittel angedroht – bisher allerdings folgenlos. Bei der jüngsten Ausgabe von "48mm" hat das Kulturministerium aber noch zu weiteren Mitteln gegriffen. Debbie Farber, Organisatorin des Filmfestivals und Mitglied bei Zochrot.

"Deutliches Gefühl des Zensurversuchs"

"Dieses Jahr hat Miri Regev ein Komitee geschickt, dass sich die Filme angeschaut hat, um zu überprüfen, ob deren Inhalte die Existenz des Staates Israel gefährden. Am Ende sind wir zwar ungeschoren davon gekommen, aber zwei Dinge sind uns klar geworden: erstens, dass wir dieses Festival auch ohne die Erlaubnis des Kulturministeriums ausrichten würden. Und zweitens, dass ein deutliches Gefühl des Zensurversuchs und der Bedrohung von Andersdenkenden zurück bleibt – nicht nur von Palästinensern, sondern auch von Israelis, die sich gegen die Besatzung und andere Ungerechtigkeiten wehren. In meinen Augen hat sich in den letzten Jahren das Land immer stärker zu einem faschistischen Staat entwickelt – und das wird niemand bestreiten können."
Die letzten beiden Sätze, betont Debbie Farber, sage sie nicht im Namen der Organisation Zochrot, sondern als Privatperson. Doch hört man diesen äußerst harschen Vorwurf in Gesprächen immer wieder – auch von prominenten israelischen Künstlern wie dem Dichter Meir Wieseltier und dem Graphikdesigner David Tartakover. Damit konfrontiert, gibt sich der stellvertretende Generaldirektor des israelischen Außenministeriums Rafael Gamzou gelassen und diplomatisch.
"Wenn Sie mich fragen – und ich versuche an dieser Stelle als Mitglied der Regierung ganz objektiv zu sein – ich bin froh, dass es in Israel unterschiedliche Meinungen und kontroverse Debatten gibt. Ich bin überzeugt, dass wir immer noch eine großartige Demokratie sind mit einer sehr offenen und pluralistischen Kunstszene. Natürlich ist es gut und gesund, dass es Diskussionen gibt. Aber es ist nicht so, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann, weil ich denke, dass wir auf dem Wege zu einer Diktatur sind. Davon sind wir wirklich weit entfernt. Und ich möchte betonen: Auch wenn wir als Regierung viele künstlerische Produktionen finanzieren, sitzen wir nicht in den Jurys, die über die Auswahl dieser Produktionen entscheiden. Alle diese Entscheidungen werden von Fachleuten aus der Kunstszene gefällt."
Dass zumindest das so bleibt – darauf hoffen alle von Subventionen abhängigen Künstler des Landes. Viele von ihnen betonen, dass die Auseinandersetzungen auf kulturpolitischer Ebene symptomatisch für den rechtsnationalen Kurs der gesamten Regierung von Ministerpräsident Netanjahu stehen; aber sie wissen, bei aller Empörung und Verunsicherung auch, dass spätestens in drei Jahren wieder gewählt wird. Es gibt die Hoffnung, dass dann – mit etwas Glück – der Schaden für die Kultur wieder gerichtet werden kann.
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