Neues Kulturleben an der Kurischen Nehrung

Von Ute May |
Berühmt wurde das heutige litauische Nida vor allem durch Thomas Mann. Der Literaturnobelpreisträger baute sich im damaligen ostpreußischen Nidden an der Kurischen Nehrung ein Sommerhaus; hier schrieb er vor seiner Emigration <em>Joseph und seine Brüder</em>. Zum 10. Mal startet nun das Thomas-Mann-Festival, das an kulturelle Traditionen früherer Jahre anknüpft und zugleich Position in der Neuzeit bezieht.
Das Meer rollt noch immer so sanft an den flachen Strand des Kurischen Haffs wie seit Jahrtausenden. Und die unvergleichlichen Dünen stehen längst unter Naturschutz.

Nicht nur Lovis Corinth und Max Pechstein fanden hier ein ungewöhnliches Licht und Inspiration. Immer wieder malten sie die flachen Haff-Boote, das Leben und die Menschen des ostpreußischen Nidden, das seit über 60 Jahren Nida heißt und zu Litauen gehört. Auch Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner von der Künstlergruppe Die Brücke kamen hierher.

Berühmt wurde das heutige Nida aber vor allem durch Thomas Mann. Der Literaturnobelpreisträger baute sich hier ein Sommerhaus; hier schrieb er vor seiner Emigration Joseph und seine Brüder.

Thomas Mann ist seit inzwischen zehn Jahren in Nida ein jährliches Festival gewidmet. Der Anlass dafür war banal, berichtet Antanas Gailius, selbst Schriftsteller und Thomas-Mann-Übersetzer und heute Motor des renommierten Meetings:

"Der Grund war vor allem das Sommerhaus von Thomas Mann in Nida, das nach der Wende restauriert wurde ... so ist das Thomas-Mann-Kulturzentrum entstanden. ... Die ersten Festivals waren mit dem Schaffen von Thomas Mann direkt verbunden. Das Thema des Festivals war immer zum Werk oder zur Biografie gewählt."

Das ist seit vier Jahren anders. Denn die Organisatoren wollten aus Nida keinen Wallfahrtsort für Thomas Mann machen - vielleicht gingen ihnen auch ganz einfach anspruchsvolle Themen für ein jährlich wiederkehrendes Festival im Namen des Literatur-Nobelpreisträgers aus.

Dennoch: Der Name Thomas Mann verpflichtet

"... aber nicht, um unbedingt über Thomas Mann zu reden, sondern zum Beispiel über die Verantwortung eines Intellektuellen in unseren Tagen."
"In diesem Jahr beginnen wir mit einer neuen Reihe, das ist Kulturlandschaften. ... Damit verstehen wir unseren Ostsee-Raum und das kleinere Thema für dieses Jahr ist Städte nach dem Umbruch: Gdansk, Kaliningrad, Klaipeda."

Ganz bewusst geht es um die Städte nach dem politischen Umbruch Anfang der 1990er Jahre, denn sie sind nicht mehr das frühere Danzig, Königsberg und Memel. Deshalb steht auch nicht Nostalgie auf der Agenda, sondern die Chancen der Zukunft - zu betrachten aus unterschiedlichen Aspekten.
Dazu gehört auch zeitgenössische Musik. Mit der Uraufführung einer Auftragskomposition des Litauers Feliksas Bajoras wird das 10.Thomas-Mann-Festival am Wochenende eröffnet. Danach geht’s dann richtig los.

"Wir haben die ganze Woche jeden Abend klassische Konzerte ..., sicher werden wir russische Musik haben, auch polnische Musik ... wir haben ein Filmprogramm, dass ist eine Neuerfindung von uns. Seit zwei, drei Jahren läuft das am Leuchtturm in Nidden."

Spät abends, wegen der kurzen nordischen Nächte, gibt’s an diesem romantischen Ort ein open-air-Filmprogramm: Die Blechtrommel oder die Unkenrufe sind Beiträge des Goethe-Instituts Vilnius.

Natürlich kommt die Bildende Kunst an einem Ort wie Nidden nicht zu kurz. Zwar ist die wertvolle Expressionisten-Sammlung, die der Niddener Gastwirt Hermann Blode zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufbaute, verloren; aber heutige Nida ist wieder ein Ort künstlerischer Inspiration.

Das Kulturprogramm bildet den Rahmen für eine anspruchsvolle Vortragsreihe, die den Kern des einwöchigen Festivals bildet, berichtet Antanas Gailius

"Wir haben immer Vorträge zum Thema des Festivals ... und wir haben einen polnischen Vorträger zu Gdansk, wir haben einen litauischen Lyriker, der über Kleipeda spricht. ... wir wollen einen russischen Rednerhaben, der über das heutige Kaliningrad spricht. Und wir haben einen Deutschen, der zu allen diesen etwas zu sagen hat."

Das wird Professor Jürgen Manthey aus Münster sein. Der renommierte Publizist und Literaturwissenschaftler von der Universität Essen hat zum 750. Gründungstag von Königsberg im vergangenen Jahr ein viel beachtetes Buch über die Geschichte dieser Weltbürgerrepublik geschrieben.

International ist das Programm des Thomas Mann gewidmeten Kultur-Festes, international ist auch das Publikum. Besonders deutsche Gäste nehmen jenseits nostalgischer Spurensuche den beschwerlichen Weg Richtung Haff und Kurischer Nehrung auf sich, freut sich Anatanas Gailius:

"Seit einigen Jahren ist es wieder so, man hört in Nidden im Sommer 50 Prozent deutsch, 50 Prozent litauisch. Es kommen auch andere Ausländer ... auf einmal höre ich spanisch auf der Kurischen Nehrung, ... oder französisch."

Weil die Mehrzahl der Besucher aus Deutschland kommt, ist das wird das Wortprogramm auf litauisch und auf deutsch angeboten. Alle Vorträge werden dokumentiert und erscheinen jeweils ein Jahr nach dem Festival als Niddener Hefte - ab jetzt liegt die Ausgabe 2005 vor.

Maya Ehlermann-Mollenhauer sieht die neuen Aktivitäten in ihrem Geburtstort mit gemischten Gefühlen. Ihr Großvater Hermann Blode hatte um 1920 mit einem kleinen Gasthof den Ruf von Nidden als Künstlerkolonie begründet. 1944 war das vorbei.

"Als die Sowjets kamen, fingen die an, die alten Kuhren-Kähne zu verheizen ... wir hatten eine umfangreiche Kunstsammlung, ... die durften wir nicht auslagern. Als es erlaubt wurde, war es zu spät."

Die Bilder von Corinth, Beckstein, Schmidt-Rottluff sind verschwunden.
Zäh und unermüdlich arbeitet die inzwischen 82-Jährige Kunsthistorikerin seit Beginn der 90er Jahre daran, dass Nida wieder ein Ort wird, der Künstler inspiriert. Erste wichtige Schritte sind getan.