Kunst statt Touristenmassen
Die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate entwickelt sich zu einem kulturellen Zentrum: Eine Millionen Besucher zählte der Louvre Abu Dhabi im letzten Jahr. Jetzt wurde neben der alten Festung "Quasr Al Hosn" ein neuer Kulturcampus eröffnet.
Es ist viel passiert im Emirat Abu Dhabi, das 1971 seine Unabhängigkeit unter der Herrschaft des Scheichs Zayed bin Sultan Al Nahyan erlangte. Bodenschätze haben Abu Dhabi reich gemacht und ließen die Stadt in den letzten Jahrzehnten extrem schnell wachsen.
2018 war das "Year of Zayed"
Doch anders als in Dubai konzentriert sich die Regierung auf die Förderung von Kultur und Kunst – und weniger auf Touristenmassen, die ein Wüstendisneyland mit künstlichen Hotelinsel und Indoor-Skihallen erleben möchten. 2018 wird das "Year of Zayed" gefeiert, das Jahr, in dem der für das Emirat so bedeutende Scheich Zayed 100 Jahre alt geworden wäre. Er legte den Grundstein für die heutige Infrastruktur. Nun wurde seine alte Festung, das "Quasr Al Hosn", mit neuem Kulturcampus nach langem Umbau wiedereröffnet.
Mohammad Khalifa al-Mubarak, Vorsitzender der Tourismus- und Kulturbehörde von Abu Dhabi, über das Projekt: "Die kulturelle Relevanz ist selbstverständlich sehr wichtig. Das Kulturzentrum spricht jeden Emirati an, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt. Es macht einen Großteil ihrer Kulturgeschichte aus. Hier werden die Geschichten des Landes und der Menschen erzählt. Dass es hier mitten im Stadtkern Abu Dhabis solch einen historischen Ort gibt, ist gewaltig. Und gleichzeitig merkt man, sobald man innerhalb der Mauern der Festung ist, dass man in einer lockeren Umgebung ist. Der Ort wird den Menschen eine Möglichkeit geben, hier zu entspannen und sich vorzustellen, wie Abu Dhabi vor 100 oder 200 Jahren ausgesehen hat."
Abu Dhabi als Kulturhotspot
Mohammad Khalifa al-Mubarak ist für alle Kulturinstitutionen des Emirats zuständig. Als wichtiger Teil der Regierung hat sich diese Behörde als Ziel gesetzt, Abu Dhabi in einen international relevanten Kulturhotspot zu verwandeln und gleichzeitig das Kulturerbe der Vereinigten Arabischen Emirate zu vermitteln. Zum Beispiel im 18. Jahrhundert errichteten Bau "Quasr Al Hosn". Er ist einer der ältesten der Region und zeigt nun mit einer Dauerausstellung, wie die Menschen und vor allem die Königsfamilie in den letzten 200 Jahren gelebt und regiert haben.
Die Festung ist nun von einem 140.000 Quadratmeter großem Kulturareal mit Palmengarten, Amphitheater, einer Werkstadt für traditionelles Handwerk und einer Kulturstiftung umgeben. Maya Allison ist Direktorin der NYU Abu Dhabi Art Gallery und Kuratorin der aktuellen Ausstellung der wiedereröffneten Kulturstiftung, in der fast ausschließlich Künstler der Golfregion gezeigt werden. Sie meint:
"Dieses Projekt hier in der Kulturstiftung ist Leidenschaft für mich, denn es geht darum, herauszufinden, wie all die Künstler überhaupt Künstler wurden in einer Zeit, in der es keinerlei Infrastruktur und Unterstützung für sie gab. Es gab bis vor einiger Zeit keine Kunsthochschulen, keine Kunstgalerien und keine Ausstellungsräume in den Emiraten. Wieso sollte man da Künstler werden? Es war aber dann, als ob sie gar keine andere Wahl gehabt hätten, als Künstler zu werden in dieser Welt ohne Infrastruktur".
Herkunft und Tradition stehen im Vordergrund
Es fällt auf, dass hier weniger die Kunstwerke und ihre Bedeutung im Vordergrund stehen, als vielmehr die Geschichte der Künstler, ihrer Herkunft und Tradition. Denn auf dem Kulturareal soll den Emirati ihre Kulturgeschichte auf unaufdringlicher Art und Weise nähergebracht werden. Neue zeitgenössische Kunsttrends und moderne Galerien findet man seit vielen Jahren in Dubai. Auch eine international erfolgreiche Kunstmesse.
Auf der Saadiyat-Insel im Osten Abu Dhabis stehen seit einem Jahr der Louvre und seit 2009 das Manarat Al Saadiyat, ein Museum für zeitgenössische Kunst. Direkt neben den beiden Museen soll bald das Guggenheim Abu Dhabi eröffnen, für das es bereits jetzt eine Sammlung an angekauften Werken gibt. Aber auch andere Museen sind in Planung. Tourismus-Chef Mohammad Khalifa al-Mubarak:
"Wir haben eine relativ klare Kulturstrategie hier. Vor ein paar Monaten haben wir angekündigt, dass wir das 'Al Ain National Museum' in Dubai, das älteste Museum der Vereinigten Arabischen Emirate aus 1971 restaurieren werden. Wir hoffen, dass wir das Museum im Dezember 2020 wiedereröffnen können. Wir werden außerdem ein Center für Musik auf der Saadiyat Insel im Oktober 2019 eröffnen. Wir planen, hier in den nächsten fünf Jahren viele verschiedene archäologische und zeitgenössische Museen zu eröffnen. "
Platz und Geld gibt es genug
Was das Emirat für die nächsten Jahre plant, ist nicht unrealistisch. Hier gibt es genug Platz und finanzielle Mittel, um jegliche Projekte zu realisieren. Woher sollen all die Besucher kommen, die die Museen und Einrichtungen auch brauchen? Maya Allison, die seit über zehn Jahren in Abu Dhabi lebt und arbeitet, ist zuversichtlich. Schließlich ist das Land ja noch jung.
"Soweit ich weiß, gab es 1970 noch keine Straße zwischen Abu Dhabi und Dubai. Da war nur Sand. Und sie haben dann die ersten 20 Jahre damit verbracht, Straßen und Gebäude zu bauen. Ich denke, es gibt diese allbekannte Bedürfnis-Hierarchie der Menschen: Wir brauchen Nahrung, wir brauchen ein Dach über dem Kopf, wir brauchen Infrastruktur und dann Erziehung. Und spätestens nach der Erziehung, sehen wir, wie auch die Künste Früchte tragen und sich entwickeln. Ich glaube, es geht hier nicht direkt um ein bestimmtes Interesse, als vielmehr darum, dass es jetzt möglich ist, die Kulturgeschichte und die zeitgenössische Kunst zu fördern", sagt Allison.
Anders als etwa in China, wo die zeitgenössische Kunst in den letzten Jahren aufgrund wachsenden Reichtums immer präsenter und beliebter wurde und auch als Konsumgut entdeckt wurde, scheint es in Abu Dhabi zu sein. Hier dienen die beeindruckenden Kulturzentren, Museen und Neuankäufe in Millionenhöhe vorerst allein der Kunstvermittlung. Ganz nach dem Motto: Wir zeigen dir, was wir haben, und wir zeigen dir, wer wir sind.