Gangsta war gestern
Im Hip Hop galt lange das Gesetz der dicken Hose. Es ging um Sex, Gewalt und teure Autos. Mittlerweile gibt es immer mehr Rapper, wie Drake und Kendrick Lamar, die die Konventionen hinterfragen und ihre Schwächen in Songs thematisieren.
"I’m so sick of people saying that I’m, like, lonely and emotional and longing for a woman."
Er habe es so satt, dass die Leute denken, er sei einsam, emotional und sehne sich nach einer Frau - so Drake in einem Interview im kanadischen Fernsehen. Relativ zeitgleich zu diesem Interview hörte man aus jedem Kanal seinen Song Hotline Bling, der die Geschichte einer vergangenen Liebe erzählt, in der das Mädchen immer nur nachts anrief, wenn gerade kein anderer Mann da war. Der Drake in diesem Song ist genau das: Einsam, emotional und er sehnt sich nach einer Frau.
"Bei Drake geht es in seinen Songs ganz stark um Schwäche."
Das Drama des schwarzen Mannes
Musikjournalist Tobias Rapp:
"Schwäche gab es im HipHop auch schon immer. Und die Angst, in einen Abgrund zu fallen und das Gefühl von Paranoia. Das ist im Hip Hop nichts Neues. Aber Drake spielt das nicht als Heldendrama durch. Das ist nicht der Mann, der schlimme Dinge getan hat, und jetzt in Abgründe schauen muss, wie das eben ein Gangster aufgeführt hätte."
Das Drama des schwarzen Mannes, der aus dem Ghetto kommt, der täglich die Spirale aus Gewalt, Kriminalität und Drogen durchspielt, der sich hochkämpft und dann an der Spitze seinen Platz verteidigen muss - damit war vor allem 50 Cent erfolgreich, der letztendlich permanent seine eigene Biographie auf die Bühne brachte. Entdeckt hatte ihn der Mitbegründer des Genres, Dr. Dre, dessen Geschichte und die seiner Band N.W.A. letztes Jahr mit dem Film "Straight Outta Compton" ins Kino kam.
"Diese Songs verherrlichen Gangster und Drogen!"
"Unsere Songs spiegeln unsere Realität wieder."
"Unsere Songs spiegeln unsere Realität wieder."
Der Film war möglicherweise das letzte Kapitel im Gangsta-Rap - nicht nur, weil damit die eigene Historisierung begann, sondern auch, weil Dre mittlerweile mit Kendrick Lamar einen Rapper produziert, der zwar das Compton Gangsta-Milieu bestens kennt, aber einen ganz anderen Zugang zu dieser Welt offenlegt.
"Auch Kendrick Lamar ist auf eine andere Art und Weise ein Rapper, der vollkommen für den Aufbruch aus dem Gangsta-Rap Paradigma heraus in eine andere künstlerische Welt steht. Das hörspielartige Album, mit dem er bekannt geworden ist, war eine Platte, die davon handelt, wir er, der so ein kleiner Junge ist, der im Ghetto aufwächst, der aber Angst vor den Gangstern im Ghetto hat, der, halb wurde er geschubst, halb sprang er rein, wie er mit den bösen Jungs in einem Auto landet und wie ihm das alles so zustößt. Das war so eine Schuljungen-Fantasie."
Ähnlich wie Drake zeigt Lamar nicht nur einfach ein Fotoalbum, sondern er erzählt die Geschichte zwischen den einzelnen Bildern. Er teilt seine Erfahrungen von Ambivalenz, von Niederlagen und Schwäche. Die reine Selbstdarstellung ist moralisch fragwürdig, wie er in einem MTV Interview sagte.
"With money and my celebrity - how can I use it? How can I pimp it? Can I pimp it negative or can I pimp it in a positive way?"
Männlicher Hip Hop hat viele Facetten
Die Frage sei, wie er seine Bekanntheit nutzen könne, positiv oder negativ, so Kendrick Lamar.
"Die schwarze amerikanische Erfahrung ist sehr vielfältig und hat mittlerweile unglaublich viele Facetten und Layers, das ist ja längst nicht mehr so, dass die nur von Niederlage handeln würden. Es gibt große Triumphe in der schwarzen amerikanischen Geschichte, es gibt riesige Aufstiegsgeschichten, genau wie es eben Rassismus, Schmerz, Gewalterfahrung und all diese Dinge auch gibt. Und all das hat in den letzten 100 Jahren, seit Musik aufgenommen wird, hat das Niederschlag gefunden in Aufnahmen und Kendrick Lamar bedient sich in diesem riesigen Pool um am Ende was zu machen, was seine Geschichte ist, was zu erzählen, was seiner Stimme entspricht."
Dass männlicher HipHop heute deutlich mehr Facetten hat, dass vom sensiblen Mann, der statt Bitches lieber unabhängigen Frauen hinterherjagt, bis zum offen bisexuellen Intellektuellen wie Frank Ocean alle Spielarten möglich sind, hat sicher auch mit der Erfahrung des ersten schwarzen Präsidenten zu tun. Rassismus und Segregation sind zwar immer noch Teil der täglichen Erfahrung, was die Polizeigewalt der jüngsten Geschichte immer wieder gezeigt hat. Aber für den HipHop gibt es deutlich mehr Erzählmöglichkeiten, Geschichten von Abgründen, Brüche und Widersprüchlichkeiten. Der Superheldencomic ist durcherzählt, Drake, Lamar oder Frank Ocean berichten vom echten Leben.