Muslimische Kultur in allen Facetten
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Die meisten Medien berichten über Muslime nur im Zusammenhang mit Clankriminalität oder Terrorismus, kritisiert Muhamed Beganović. Sein Magazin "Qamar" will es besser machen und die Lebenswirklichkeit von Muslimen in ihrer ganzen Diversität zeigen.
"Qamar" berichtet über einen muslimischen Wiener Gefängnisseelsorger, porträtiert ein muslimisches Model aus Berlin, das mit sogenannter Modest Fashion bekannt wurde, bringt ein Interview mit einer muslimischen Bloggerin, die mit Erfolg ihr erstes Buch veröffentlicht hat.
"Qamar" hat Platz für eine feministische Kolumne wie auch für Lyrik einer albanischstämmigen jungen Autorin aus Niedersachsen. Das Magazin arbeitet sich polemisch am Verhältnis zwischen Kant und dem Islam ab und berichtet über einen Podcast des Bayerischen Rundfunks, der sich speziell an Muslime wendet. Daneben gibt es unter anderem Empfehlungen für ein halal-zertifiziertes Restaurant in Wien oder einen Pop-up-Store für stylische Turnbeutel. Klar, dass der Geschäftsführer ebenfalls Muslim ist. Muhamed Beganović entwickelte die Idee für das Magazin und ist dessen Chefredakteur:
"Nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten Medien einfach keine Themen über Musliminnen und Muslime bringen, die sie nicht problematisieren. Wenn ich als klassischer Konsument mir anschaue, ich komme als Muslim oder Muslima immer nur vor in Bezug auf Terrorismus, Clankriminalität, weibliche Genitalverstümmelung oder andere problembehaftete Themen; dann werde ich mir auch denken, warum soll ich das jetzt lesen?! Viele wenden sich ab und konsumieren dann eher Onlineformate oder informieren sich über Instagram-Profile. Aus diesem Angebotsloch entsteht einfach der Bedarf für ‚Qamar‘."
Mit seinem nichtmuslimischen Kollegen Clemens Stachel und einem kleinen Team produziert Beganović "Qamar". 2.000 Exemplare, gedruckt, das ist für die beiden leidenschaftlichen Print-Menschen, wie sie sich nennen, wichtig.
"Die Menschen, die da vorkommen, sind Muslime, aber ob sie religiös sind oder nicht, das wissen wir nicht, wir fragen sie auch nicht, das steht für uns einfach absolut im Hintergrund. Es mangelt nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern überall in der Welt nicht an theologischen Inhalten. Nachdem weder ich noch jemand in unserem Team irgendwie ein Imam, Imamin oder irgendwas ist, fühlen wir uns auch nicht kompetent genug, über theologische Inhalte zu diskutieren. Wollen wir auch nicht."
Abseits des traditionellen Medienbetriebs
Pandemiebedingt sind die Redaktionsräume im dritten Wiener Gemeindebezirk noch leer. "Qamar" ist für Beganović und Stachel auch kein Brotberuf: Beganović hatte zwar schon lange den Herzenswunsch, eine Zeitschrift für eine, wie er sagt, von den Medien ignorierte gesellschaftliche Gruppe zu machen. Sein Geld verdient er aber bei einer Logistikzeitschrift. Stachel ist freier Journalist und Filmemacher. Beide kennen sich als frühere Kollegen. Redakteur Stachel bekennt, dass er selbst einer jener Menschen war, die mit Muslimen nie etwas zu tun hatten. Es klingt fast, als fühle er sich schuldig:
"Ich weiß nicht, ob Scham das richtige Wort ist, aber es hat schon was mit so einer Erkenntnis, Selbsterkenntnis zu tun. Wenn man jahrelang, um nicht zu sagen jahrzehntelang in dem Medienbetrieb drinsteckt, der in Österreich wahrscheinlich genauso wie in Deutschland traditionell sehr stark von einer sehr weißen, sehr männlichen, sehr hetero-normativen Struktur geprägt ist, dann muss irgendwann mal – und wenn es spät kommt, ist es besser als nie – die Erkenntnis kommen, dass es da noch etwas anders gibt. Dass man hier Strukturen perpetuiert, Tag für Tag, Woche für Woche, in diesen Abertausenden von Titeln, die erscheinen. Wo man sich irgendwann mal denkt: Na ja, wieso mache ich nicht irgendwas Sinnvolleres?"
Muslime als unterschätzte Zielgruppe
Herausgekommen ist "Qamar". Die 15.000 Euro Produktionskosten habe man bereits wieder eingespielt, eine Anschubfinanzierung kam von der Wirtschaftsagentur Wien. Schreiben könne jeder für "Qamar", auch Kritisches über die Community werde es geben. Die Religion der Autoren spiele keine Rolle, betont Beganović. Bloß die Perspektive sei eben "unsere", sagt er, die muslimische:
"Ich glaube, das ist auch natürlich ein Fehler, den viele klassische Medien machen. Sie haben einfach die Konsumentengruppe generell unterschätzt. Sie sind davon ausgegangen, diese Menschen lesen nicht, konsumieren keine Medien, um die brauchen wir uns nicht zu kümmern. Wir kommen raus, machen ein Produkt, machen minimalst Werbung auf Instagram und haben unsere Produktionskosten eingespielt. Das ist immerhin eine fünfstellige Summe."
Ein Titel, bei dem es "geklickt" hat
Mit der Werbung hapert es noch. Nach wie vor haben viele Firmen und Marken Hemmungen, ihre Produkte im muslimischen Milieu zu bewerben. Muhamed Beganović sieht indes auch hier großes Potenzial für sein sorgfältig gestaltetes Heft. Redakteur Stachel erklärt die Titelwahl:
"'Qamar' heißt nichts anderes als Mond auf Arabisch. Mond passt einerseits gut zum muslimischen Background, weil der Mond eine sehr große Rolle spielt, nicht nur im Kalender. Zweitens, weil es etwas mit der Regelmäßigkeit zu tun hat, die ein Magazin so an sich hat."
Chefredakteur Beganović ergänzt: "Außerdem klingt es auch schön. Es ist ein bissel kompliziert auszusprechen für Menschen, die kein Arabisch können – u.a. auch ich kann kein Arabisch – , aber es rollt doch so schön von der Zunge. Qamarrr, das klingt so mysteriös, so romantisch einfach, das hat für uns gepasst, es hat geklickt."
Abbildung muslimischer Kultur in Österreich
Erhältlich sind die Hefte bislang in vier Buchhandlungen in Deutschland und zwei in Österreich. Ansonsten über den Webshop von "Qamar". Der reguläre Kioskvertrieb lohnt sich noch nicht. Eine kleine Umfrage unter Lesern und Leserinnen zeigt, dass sich Menschen mit ganz unterschiedlichem Profil für das Magazin interessieren.
Eine Leserin sagt: "Ich selbst bin Agnostiker, interessiere mich aber sehr für andere Kulturen und Gesellschaften, von dem her ist 'Qamar' jetzt genau das Richtige. Ich finde es gut und wichtig, dass mit 'Qamar' Musliminnen und Muslimen eine Stimme gegeben wird. Hoffe jedoch auch, dass es bei Nichtmusliminnen und Nichtmuslimen Anklang findet, da es Zeit ist, uns alle zu verbinden, und dass wir endlich für ein Miteinander eintreten und nicht für ein Gegeneinander. Das hatten wir in Österreich ja schon oft genug."
Ein anderer Leser erklärt: "Mir hat 'Qamar' gefallen, weil es an der Zeit war, dass Musliminnen und Muslime ein seriöses und vielversprechendes Medium bekommen. Besonders hat es mir aber gefallen, weil es, wie auch die Musliminnen und Muslime selbst, sehr vielfältig und divers ist. Somit findet jeder und jede auch immer etwas für sich."
Und eine muslimische Leserin ergänzt: "Wir sind nämlich Künstlerinnen, wir sind Musiker, wir sind Politikerinnen, wir sind Aktivisten – wir sind eigentlich alles Mögliche, natürlich, wie in jeder Gesellschaft auch. Das setzt auch ein sehr starkes Zeichen, nicht nur für Musliminnen und Muslime, die dann auch sehen, okay, diese Türen stehen mir offen oder diese Wege kann ich alle einschlagen, das kann ich alles werden, sondern auch für die Mehrheitsgesellschaft, die diese Stimmen gar nicht hört im Alltag, die das auch gar nicht kennt, weil ständig dieselben Bilder und Stereotypen reproduziert werden."