Neues Matching-Modell

Welche Pflegekraft passt zu Opa Otto?

07:46 Minuten
Eine Pflegerin begleitet eine Bewohnerin mit Rollator.
Auf jeden Topf passt ein Deckel, heißt es - das gilt auch für die Altenpflege. © picture-alliance/dpa//Christophe Gateau
Von Uschi Götz |
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Altenpflege ist auch Beziehungspflege. Daher ist es wichtig, dass zwei Menschen zueinander passen. Das Startup "Mecasa" erstellt Persönlichkeitsprofile für Pfleger und Patienten – damit sollen Konflikte vermieden werden.
Ein schlichtes Industriegebäude im Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof. Ungezählte Türen, irgendwo im ersten Stock steht auf einem kleinen Schild: Mecasa. Hinter dieser Tür hat ein Start-up Unternehmen seine Büroeinheit. Der größte Raum ist vielleicht 80 Quadratmeter groß. Fünf junge Leute sitzen gerade konzentriert vor Bildschirmen.
Das auffälligste in diesem Zimmer sind ein paar knallgelbe Lampen. Die Gründer Oliver Weiss und Simon Spangenberg haben eine Art Partnerbörse entwickelt - eine Partnerbörse für sogenannte Betreuungsbeziehungen. Sie kennen sich schon lange.
"Oliver und ich sind beste Freunde, wir haben uns im Gymnasium kennengerlernt", erklärt Simo Spangenberg. "Wir sind ins Wirtschaftsgymnasium West in Stuttgart gegangen, in die elfte Klasse, und saßen ab der ersten Minute nebeneinander." Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaft beschließen sie, ein soziales Unternehmen zu gründen.

Wachstumsmarkt Betreuung

Man entscheidet sich für den Bereich Betreuung, erzählt Oliver Weiss: "Das ist natürlich ein großer und dazu ein noch stark wachsender Markt. Ich kann auch nicht negieren, dass ich das auch aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive betrachte. Aber der tatsächliche Auslöser und der Bezug, der war schon früher da, durch unsere Eltern. Meine Mutter ist auch gelernte Krankenschwester, arbeitet bei einem ambulanten Dienst, ähnlich ist es bei Simon. Und wir haben beide schon Praktika in Krankenhäusern, in Altenheimen gemacht, so dass wir schon früh einen Bezug zu diesem Thema Pflege und Betreuung hatten."
Sie gründen ein Unternehmen, das Betreuungskräfte aus den östlichen EU-Ländern an Menschen in Deutschland vermittelt, die zuhause Unterstützung brauchen. Doch kaum am Markt stellen sie fest: So geht es gar nicht.
"Der erste Aspekt ist, dass die beiden Menschen, um die es da geht, sich vorab nicht kennen. Die Betreuungskraft hat keine Ahnung, wer Opa Otto ist, und Opa Otto hat keine Ahnung, wie die Danuta aus Warschau eigentlich drauf ist."
Etwa jedes dritte von den Jungunternehmern vermittelte Verhältnis wurde abgebrochen. "Einer ist mehr extrovertiert und der andere mehr introvertiert und dann kommt es zu Konflikten, die wir als Vermittler meist recht mühsam lösen müssen."

Zusammenbringen, was zusammenpasst

Bei der Frage, wie es anders laufen könnte, kommt die Wissenschaft ins Spiel. Gemeinsam mit der Universität Heidelberg entwickeln Weiss und Spangenberg ein sogenanntes Matching-Modell. Nur zwei wirklich gut zueinander passende Menschen werden zusammengebracht, so das Ziel. Im Mittelpunkt steht dabei ein von dem Heidelberger Psychologie Professor Dirk Hagemann entworfener Fragebogen.
Möchte eine Frau – in mehr als 90 Prozent aller Fälle sind es Frauen – einen Betreuungsjob im Ausland antreten, füllt sie zunächst den Fragebogen aus. Oliver Weiss öffnet die entsprechende Seite der Homepage. Viele Fragen sind zu beantworten, zum Beispiel: "Welche Aufgaben sie bereit ist zu übernehmen, denn nicht alle Betreuungskräfte übernehmen alle Fälle und nicht alle Krankheitsbilder."
Am Ende steht ein psychosoziales Profil. Auf der anderen Seite, also bei dem Menschen, der betreut werden soll, werden Präferenzen abgefragt: "Also dass Opa Otto beispielsweise zum Ausdruck bringt, er wünscht sich eine Betreuungskraft, die viel erzählt, oder eine, die mehr zuhört."
In der Regel seien es die Kinder, die für Mutter oder Vater die Präferenzen angeben, erklärt Weiss. Am Ende werden Betreuungskraft und Betreuungssuchender auf einer Skala eingeordnet:
"Dann gibt es ein definiertes System, das dahinterliegt, das sagt, welche Skalenwerte zueinander passen. Das heißt, das ist eine Berechnung, die dort abläuft, die am Ende einen Grad der Übereinstimmung zum Ausdruck bringt. Beispielsweise Opa Otto und Danuta haben eine Übereinstimmung von 93 Prozent."

Wechsel nach zwei Monaten

Was 93 Prozent Übereinstimmung in der Praxis bedeuten, lässt sich ein paar Kilometer vom Unternehmenssitz entfernt erleben. "Mir ist die Nacht zu lang", stöhnt Herr Steg und durchsucht einen Stapel Zeitungen auf der Suche nach einer Fußballtabelle. Er sitzt am Esstisch seiner großzügigen Wohnung. Seinen richtigen Namen möchte der frühere Sportler nicht nennen: "Alles Fußball, alles Fußball!"
89 Jahre alt ist Herr Steg und eine wahre Frohnatur. Nicht weniger aufgeweckt ist seine Betreuerin Helena. "Möchten Sie etwas trinken?" Während Helena in der Küche Gemüse schnippelt, entdeckt Herr Steg weitere wichtige Sportmeldungen: "Und was habe ich noch da? Das ist jetzt Wasserball. Interessiert mich auch. Und das ist Rockby, Rugby!"

"Rockby" – auch Helena muss in der Küche lachen.
Heute gibt es Kartoffeln, Karotten, Zucchini und Thunfisch. "Das hat er sich gewünscht", sagt die Betreuerin. Die zierliche, selbstbewusste Frau kommt aus Polen. In ihrer Heimat hat sie den Fragebogen von Mecasa ausgefüllt, es gab noch einige Gespräche, auch ein Treffen in Polen. Dann wurde sie Herrn Steg vorgestellt.
Das hat gleich gepasst, erinnert sich die Frau. Bis heute werden die beiden von Mitarbeitern des Startup-Unternehmens betreut. Mecasa organsiert auch den turnusmäßigen Wechsel. Nach zwei Monaten bei Herrn Steg geht Helena wieder für zwei Monate nach Polen, eine Kollegin übernimmt. Ein liebevoller Mensch sei Herr Steg, sagt Helena: "Sehr freundlich! Immer mit Humor, wir lachen viel zusammen."
Herr Steg redet gerne und viel, gerade telefoniert er. Helena wirft die Karotten schwungvoll ins Wasser. Ihre fast 60 Jahre sind der Betreuerin nicht anzusehen. Kurz denkt sie darüber nach, was sie für ein Typ ist: "Ich bin eine sehr ruhige Frau und heiter."

Abbrecherquote ist gesunken

Klappte am Anfang bei Mecasa jede dritte Betreuungsbeziehung nicht, gibt es heute nur noch bei knapp jeder fünften Vermittlung Abbrecher. "Das ist eine gute Zahl", sagt Oliver Weiss: "Das ist zunächst einmal für uns als Unternehmen hilfreich. Aber es ist vor allem für die Familien mit Unterstützungsbedarf toll, weil es heißt, dass es öfters auf Anhieb passt."
Pro Monat kostet eine Betreuungskraft zwischen 2300 und 3000 Euro. Die Pflegekasse übernimmt in der Regel einen Teil der Kosten. Nach allen Abzügen verdienen in diesem Beispiel Betreuungskräfte aus dem Ausland bis zu 1600 Euro netto im Monat. Der Vermittlungsmarkt sei von Intransparenz gekennzeichnet, sagt Weiss. In Kooperation mit dem Deutschen Institut für Normung, kurz DIN, entwickeln die Jungunternehmer deshalb zurzeit Qualitätsstandards für die Vermittlung häuslicher Betreuungskräfte:
"Um Kriterien zu definieren, wie die Vermittlung osteuropäischer Betreuungskräfte im Idealfall laufen sollte. Ab dem nächsten Jahr werden wir einen offiziellen Standard haben, an dem sich der Markt hoffentlich wird messen lassen müssen."
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