Ab Samstag, 12. Dezember 2015, ist das Unterlindenmuseum wieder für Besucher geöffnet. Mehr Informationen auf der Webseite des Museums.
Dialog zwischen den Epochen
Das Unterlindenmuseum im elsässischen Colmar ist für seine Sammlung deutscher Kunst des Mittelalters und der Renaissance bekannt. Nun kommt ein Neubau für moderne Kunst dazu. Sowohl bei den Werken als auch der Architektur sollen Brücken zwischen den Epochen geschlagen werden.
Drei Tage vor der Eröffnung wird im Unterlindenmuseum noch immer gesägt und gehämmert. In der Eingangshalle des ehemaligen Dominikanerklosters aus dem 13. Jahrhundert riecht es nach frischer Farbe, Infotafeln werden an die Wände geschraubt. Man kann sich kaum vorstellen, dass bis Samstag alles fertig wird: In den Ausstellungsräumen sind Gemälde und Skulpturen teils noch mit weißer Plane bedeckt. Das Meisterwerk des Unterlindenmuseums immerhin steht schon: der Isenheimer Altar des Renaissancekünstlers Mathias Grünewald.
Der in drei Teile getrennte Wandelaltar ist in der Kapelle ausgestellt, die über die Galerie des Kreuzgangs zu erreichen ist. Die gotischen Spitzbogenfenster wurden neu verglast, lassen mehr Tageslicht in das Längsschiff. Die Kacheln auf dem Boden haben die Architekten entfernt und durch helles Eichparkett ersetzt.
Grünewald erschuf den Isenheimer Altar im frühen 16. Jahrhundert für eine Antoniter-Präzeptorei. Im Klosterspital der Antoniter wurden Kranke gepflegt, die Bildnisse der Auferstehung Christi und der Verkündigung sollten ihnen Mut machen. Heute gilt der Isenheimer Altar als wegweisend in Form, Technik und Ikonographie. Bis hinein ins 20. Jahrhunderts ließen sich Künstler von der Arbeit Grünewalds beeinflussen, erklärt Chefkonservatorin Pantxika de Paepe:
"Grünewald bleibt in seiner Arbeitsweise recht traditionell, sucht sich seine Aufträge im kirchlichen Umfeld. In der Darstellung ist er aber seiner Zeit voraus. Grünewald hat mit größter Detailtreue gearbeitet, nehmen Sie nur die Verkündigung an die Heilige Jungfrau Maria: Sie ist gleichzeitig erschrocken vom Erzengel – huch, was ist das! -, aber auf der anderen Seite ist sie neugierig und schielt auf den Engel. Es ist eine Präzision, die man auch im 20. Jahrhundert hätte haben können. Durch diese Gegensätzlichkeit schafft er es, den Bogen zu spannen von der mittelalterlichen Kunst bis heute."
Werke von Otto Dix, der sich intensiv mit dem Isenheimer Altar befasste
Über die Stufen einer Wendeltreppe legen auch die Besucher des Unterlindenmuseums ganze Jahrhunderte in wenigen Minuten zurück. Eine unterirdische Galerie verbindet das alte Kloster mit dem neuen Gebäude, dem Ackerhof. Von sakraler Architektur zu Dachschrägen und spitz zulaufenden Winkeln: Zwei architektonische Epochen treffen hier aufeinander. Der Ackerhof hinter der Galerie wirkt von außen dennoch unauffällig und rustikal. Altertümliche Materialien wie dunkelroter Backstein, aber auch die Spitzbogenfenster verweisen aufs Mittelalter. Es ist ein Entwurf, der nicht provoziert. Christine Binswanger, Partnerin im Architektenbüro Herzog & de Meuron aus Basel:
"Wir haben versucht, diese Eingriffe eigentlich so zu machen in den bestehenden Strukturen, dass man sie vielleicht gar nicht unbedingt als neu erkennt. Wir haben weiter versucht, Elemente ähnlich zu gestalten, damit man sie wiedertrifft, wenn man durch diese verschiedensten Gebäude aus den verschiedenen Epochen hindurchgeht. Und dann, wenn wir nur über die neuesten Teile noch sprechen, da ging es darum, Räume, von innen gesehen, Räume für die Sammlung des 19. und 20. Jahrhunderts zu machen. Und die haben wir erst mal klassisch weiß abstrakt gemacht, haben dann aber mit einer Museografie interveniert, die vielleicht eher ungewöhnlich ist."
Über zwei Etagen verteilt sind auf verrückbaren Stellwänden Werke aus der École de Paris von Pablo Picasso oder Roger Bissière zu sehen, aber auch Kunst der Kriegsjahre von Willi Baumeister und Otto Dix, der sich intensiv mit dem Isenheimer Altar befasste. Das Dachgeschoss bietet Raum für Wechselausstellungen. Ein ehemaliges Stadtbad aus der Zeit des Jugendstils von 1906, das an den Neubau anschließt, soll für Vernissagen, Konzerte und Vorträte genutzt werden.
Zeitgenössische Künstler gehören seit den 60er-Jahren in den Katalog des Unterlindenmuseums. Mit Verdoppelung der Fläche auf 8000 Quadratmeter werden die Arbeiten aus den Archiven befreit und erhalten ihren festen Platz in der Ausstellung. Damit verändert sich auch das Konzept des Museums, erläutert Chefkonservatorin de Paepe:
"Es stimmt, unser Museum ist sehr auf mittelalterliche Kunst fokussiert. (...) Aber wir wollen uns in Richtung moderne Kunst weiterentwickeln, ihr einen festen Platz in unserer Sammlung zugestehen, auch Wanderausstellungen empfangen. Dadurch wollen wir ein neues Publikum für uns gewinnen. Wir sind mit den Besucherzahlen zwar zufrieden, aber das Durchschnittsalter ist relativ hoch. Wir wollen versuchen, durch diese Öffnung zur modernen Kunst ein jüngeres Publikum anzusprechen."
Neubau verändert auch das Stadtbild von Colmar
Ob ein jüngeres Publikum nach Colmar reist, um Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zu sehen, bleibt fraglich. Die Konkurrenz in Frankreich und der Schweiz ist groß, die Kunsthalle Basel liegt nur eine dreiviertel Stunde mit dem Zug entfernt. Der Reiz des neuen Unterlindenmuseums liegt im Dialog zwischen alter und zeitgenössischer Kunst, liegt im Brückenschlag zwischen deutschen und französischen Künstlern, gerade vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte des Elsass.
Der Entwurf von Herzog & de Meuron verändert außerdem das Stadtbild in Colmar. Aus dem ehemaligen Dominikanerkloster ist ein Museumskomplex geworden, einen vorher unterirdisch verlaufenden Kanal vor dem Museum haben die Handwerker freigelegt. Er bietet Raum für Begegnung. Christine Binswanger:
"Ich glaube, das Unterlindenmuseum hat jetzt in Colmar, für Colmar aber auch die ganze Region, eine Bedeutung, die sich jetzt auch im Stadtraum abbildet. Das war vorher nicht der Fall. Vorher ist man in ein Kloster hineingetreten und hat dann dort Kunstwerke gesehen und kam dann wieder raus. Und jetzt gibt es neu diesen Platz oder diesen Ort, der wirklich auch ein Stück Stadtraum unmittelbar verbinden wird mit diesem Museum, mit dieser Sammlung, mit diesem Meisterwerk von Grünewald natürlich auch."
Hinweis: Recherchen für diesen Beitrag wurden im Rahmen einer Pressereise des Unterlindenmuseums ermöglicht.