Neues Zuhause. Geschichten vom Ankommen

"Das Ruhrgebiet ist meine Heimat"

Die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi während eines Auftritts im Fernsehen
Die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi während eines Auftritts im Fernsehen © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Von Stefan Keim |
Viele Zeitungen haben über Nizaqete Bislimi geschrieben, sie wird in Fernsehtalkshows eingeladen, ihre Stimme wird gehört. Denn die 36-jährige Anwältin ist ein Beispiel dafür, wie sich ein Flüchtling mit Mut, Kraft und Beharrlichkeit durchbeißen kann.
Eine Anwaltskanzlei in der Essener Innenstadt. Vor 22 Jahren kam Nizaqete Bislimi zum ersten Mal hierher. Da war sie ein Flüchtlingsmädchen aus dem damaligen Jugoslawien, in dem die ersten Unabhängigkeitskriege tobten. Heute arbeitet sie in der Kanzlei als Rechtsanwältin.
"Ich war ja '93 schon als Mandantin hier. Mein Chef kennt mich schon, als ich 14 war. Das ist schon bemerkenswert."
Die Familie Bislimi hatte im Kosovo ein gesichertes, bürgerliches Leben. Aber die Situation war für Nizaqete Bilsimis Eltern und die sechs Kinder immer bedrohlicher geworden.
"Wir haben die Panzer gesehen und die Soldaten, wir haben die Demonstrationen miterlebt, Einschusslöcher an den Häusern. Also es roch alles nach Krieg, und dann ist ja '99 auch der Krieg ausgebrochen."
Da kämpften die Bislimis bereits in Deutschland um Aufenthaltsgenehmigungen. Sie hatten eine harte Zeit in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften hinter sich.
"Als wir da reingekommen sind und der Flur schon sehr dunkel war und wir dann zum Zimmer geführt wurden und der Hausmeister die Türe aufgemacht hat, das waren irgendwie nur ... Das Zimmer bestand aus Betten und einem Metallschrank. Und die Gemeinschaftstoiletten, da hab ich mich ganz schlecht gefühlt. Und da war auf einmal dieser Verlust, wir haben keinen Hof mehr, dann auf einmal diese Enge, das war ganz schwierig."
Permanente Angst vor der Abschiebung
Die Asylanträge wurden abgelehnt, die Familie wurde nur geduldet, auf Zeit, ständig rechnete Nizaqete mit ihrer Abschiebung. Während sie Abitur machte, in einer Eisdiele und in einer Trinkhalle jobbte, ihr Jurastudium an Bochumer Ruhr-Universität begann.
"Bei diesem kalten Wetter, im Regen und im Schnee, bei Dunkelheit rauszugehen, den ganzen Tag unterwegs zu sein und gar nicht zu verstehen, was von mir verlangt wird und dann aber auch die Kraft aufzuwenden, um am nächsten Tag weiterzumachen. Das waren wirklich harte Zeiten."
Es gab auch andere Momente. Als junge Frau, die gern hübsch aussehen wollte, entdeckte Nizaqete auch die Vorteile des Schaumfestigers.
"Und ich weiß, dass ich dann überlegt habe: Wie ist das, wenn wir zurück müssen. Schaumfestiger gibt es ja bei uns nicht. Wie viel müsste ich dann mitnehmen, damit ich eine Zeit damit überbrücken kann. Also solche Gedanken hatte ich damals!"
Eine Sachbearbeiterin in Ausländeramt sagte Nizaqete Bislimi, sie könne in Deutschland ohne Aufenthaltserlaubnis nicht studieren. Ein Berufsberater meinte, ihre einzige Chance sei eine Heirat. Sie hat sich nicht entmutigen lassen und fand immer wieder Menschen, die sie unterstützten. Im Dezember 2006 bekam Nizaqete Bislimi endlich die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Der Kampf darum war zermürbend. Die Anwältin kritisiert die Flüchtlingspolitik in Deutschland aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse.
"Ich hab das bei meiner Mutter erlebt. Sie ist etwa in meinem Alter als junge Frau mit ganz viel Energie hierhin gekommen. Und ich konnte wirklich merken, wie sie in dieser Zeit gelitten hat. Und sie ist auch krank geworden. Und das habe ich ständig. Ich habe hier ganz viele Menschen, die hierhin kommen, die fliehen, dann kommen sie hierhin, und erst hier werden sie krank. Dieses Nichtstun, Nichtsdürfen, das macht einfach nur krank."
Der Weg zum Erfolg führt über die Bildung. Nizaqete Bislimi hat oft Pech gehabt in ihrem Leben, manchmal auch das Glück, die richtigen Leute zu treffen.
Eine Kette von glücklichen Umständen
"Dass ich heute hier stehe, hab ich ganz vielen Menschen zu verdanken. Es war - wenn man das so sehen will - so ne Kette von glücklichen Umständen. Und möglicherweise wäre es ganz anders gelaufen, wenn einmal in dieser Kette etwas anders gelaufen wäre."
Ein großer Teil ihres Lebens verlief am Rande des Abgrunds. Immer in Gefahr, das alles, was sie sich mühsam erarbeitet hatte, im nächsten Moment zerstört werden könnte. Heute wirkt Nizaqete Bislimi locker und lebensfroh.
"Es ist nicht gut, wenn ich verbittert wäre. Das ist auch nicht meine Art. In den letzten 20 Jahren hat mich meine Geschichte zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich will das ja noch lange machen."
Nizaqete Bislimi hat einen harten Tag hinter sich. Sie sei müde, hat die Rechtsanwältin und Vorsitzende des Bund Roma Verbandes am Anfang des Gesprächs gesagt. Doch schon bald funkeln die grünen Augen, die Haltung ist gerade, die Kraft kommt zurück. Man spürt, dass sie in dieser Anwaltskanzlei genau am richtigen Ort ist. Eigentlich könnte man Frauen wie sie in der Politik gut gebrauchen. Aber dazu hat Nizaqete Bislimi keine Lust.
"Der Einzelfall, Einzelfallgerechtigkeit, ist das, was mir Kraft gibt. Deshalb würde ich das nicht aufgeben wollen. Ehrenamtlich nebenher, ja, aber nicht hauptberuflich."

Die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi während eines Auftritts im Fernsehen
Nizaqete Bislimi© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Nizaqete Bislimi, 36 Jahre alt, Rechtsanwältin aus dem Kosovo, seit 22 Jahren in Deutschland
Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zu Hause?
"Ich fühl mich schon länger in Deutschland zu Hause. Ich stelle das an ganz vielen Sachen fest. Nicht nur Deutschland, auch da, wo ich lebe, in Essen, im Ruhrgebiet, das ist meine Heimat. Da bin ich zu Hause. Ich bin im Kosovo aufgewachsen. Ich denke gern an meine Kindheit zurück, und wenn ich da bin, fühle ich mich zumindest bei meiner Familie ganz wohl und ganz geborgen. Aber ich bin auch jedes Mal ganz froh, wenn ich von einer Reise zurück komme nach Essen.
Wie lange hat es gedauert anzukommen?
"Das kann ich gar nicht mehr sagen. Ich dachte ja schon, als ich das Studium angefangen habe, war ich angekommen. Aber dann hab ich festgestellt, das ist jetzt wieder ganz schwierig. Ich kann da keine Zeit nennen."
Hat die neue Heimat Sie verändert?
"Ja, sie hat mich verändert. Sie hat mich sehr verändert sogar. Ich habe meine Identität gefunden. Ich bin gewachsen in diesem Land und bin zu der Person geworden, die ich heute bin."
Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist der?
"Das ist schwierig. Vielleicht mehrere Orte. Natürlich Zuhause bin ich gerne, in meiner eigenen Wohnung. Ich bin auch gerne bei meiner Familie, auch das ist ein Lieblingsort. Mehrere Orte."
Wollen Sie hier alt werden?
"Ja, das hab ich vor."