"Hier lernte ich, frei zu leben"
Um dem Wehrdienst und der drohenden Zensur zu entgehen, verließ Rafik Schami 1970 Syrien und ging nach Deutschland. Mittlerweile gehört er zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart.
"Liebe, Betrug, Kriminalität, Tod, Angst vor dem Tod, Auferstehen, Jenseits, Diesseits, Freundschaft, Gier - das sind die Themen, die haben die Chinesen schon behandelt, die Griechen sowieso, die Araber sowieso, die Perser auf jeden Fall. Aber es kommt auf die Variante an, auf das Wie, nicht auf das Was. Das Was wiederholt sich."
Die Literatur von Rafik Schami ist Erzählkunst im wahrsten Sinne des Wortes. Er interpretiert seine eigenen Texte wie ein Musiker.
"Darum geht es in der Kunst, das Wie. Wenn ich Mark Knopfler höre und ich liebe ihn. Bob Dylan hat bis heute noch was zu melden. Ich bin vielleicht altmodisch, das sind meine Sänger, aber natürlich geht es immer um das Selbe. Aber das Wie! Wie singt der? Sogar 'Blowing in the wind' von Bob Dylan singt er selber auf vier, fünf verschiedene Arten. Ich habe vor kurzem eine Aufnahme gesehen: Absolut anders."
Rafik Schami ist 1946 in Damaskus geboren, studiert zunächst Chemie, Mathematik und Physik. Doch das Schreiben ist ihm Herzensangelegenheit. 1001 Nacht. Er ist mit der arabischen Erzählkunst aufgewachsen. Die Ablehnung des Wehrdienstes und die drohende Zensur, veranlassen ihn 1970 Syrien zu verlassen. In Deutschland findet er seine neue Heimat.
"Ich habe hier gelernt, dass man ohne Angst leben kann. Das hat mich sehr verändert, das hat mich mutiger gemacht. Hier lernte ich, das Leben zu genießen, ohne zu viele Gewissensbisse. Hier lernte ich, frei zu leben, mich frei zu äußern. Natürlich werde ich manchmal abgelehnt. Klar! Aber Zensur in dem Sinne habe ich nicht, habe ich wirklich nicht, in keinem einzigen Buch. Das hat mich geprägt und verändert, dass ich wirklich begriffen habe, dass die Freiheit eine Voraussetzung für eine gute Schriftstellerei ist."
Chemiker und Literat
Seit 1982 lebt er als freier Autor in der Pfalz, nachdem der promovierte Chemiker seinen Job in der Industrie kündigte.
"Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich wurde ausgelacht: Der Herr Schami steigt jetzt aus. Dann habe ich gesagt: Nein, jetzt steige ich ein."
In der Literatur von Rafik Schami verschwimmen die Grenzen zwischen Orient und Okzident. Seine Themen kreisen um Menschlichkeit und Liebe, er kritisiert die absurde Loyalität in der Sippschaft in der arabischen Welt, widmet sich dem Leben der Migranten in Deutschland und schreibt von der Wehmut nach der alten Heimat, nach seiner Geburtsstadt Damaskus, die er als Exilautor auf der Schwarzen Liste der Zensur nunmehr seit 44 Jahren nicht mehr besucht hat - fast schon verklärend.
"Natürlich, das ist das Schicksal aller Exilanten, dass sie aus ihrem Herkunftsort eine Idylle machen. Und dann gehen sie an den Ort und sagen: Mein Gott, das hat er gelobt, das da? Das heißt, es ist ein Widerstand gegen das Vergessen. Und dabei machen sie eine Idylle und diese Idylle wird plötzlich golden und das ist nicht wahr. Aber das ist die einzige Abwehr gegen die Nivellierung einer Kindheit. Ich beschimpfe mich täglich, dass ich solche Bilder mache, aber man ist ausgeliefert. Da ist eine Wunde und ihre Heilung ist die Sehnsucht."
Mit den Gedanken in Syrien
Bis heute erfährt Rafik Schami Heilung auf der Bühne. Mit Mikrofon-Headset steht er vor seinem Publikum in ausverkauften Sälen. Die hohe Stirn, das schüttere Haar, die runde Gelehrtenbrille, der Schnauzbart - in sanfter Erzählstimme verleiht er charismatisch seinen Worten mit weichen Gesten den nötigen Nachdruck.
"Ich leide manchmal unter fehlender Ruhe. Dieser Aufstand in Syrien hat mich zwei Jahre gekostet. Ich habe zwei Jahre nicht geschrieben. Ich konnte nicht. Ich habe Essays geschrieben, bescheuerte Klageschriften, bescheuerte Interviews gegeben für die Aktualität, was nach 24 Stunden verschwindet, weil dieser Aufstand in Syrien jeden Tag ein anderes Gesicht bekam. Danach habe ich gesagt: Jetzt reicht es aber, jetzt machst du dich wirklich kaputt, ich will nicht mehr."
Keine politischen Interviews mehr, zurück zu Literatur und Familie. Rafik Schami ist mit der deutschen Zeichnerin und Autorin Root Leeb verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn studiert Literatur.
"Wenn ich zuhause bin, dann habe ich zwei Arbeitsblöcke: Ich stehe frühmorgens auf und arbeite bis Mittag. Und dann die Mittagszeit ist Bürokratie, Einkäufe, Kochen - ich bin der Koch der Familie, ich koche arabisch und mediterran - Freunde besuchen, Freunde empfangen, bis zum Nachmittag. Den Abend sperre ich, am Abend gibt es bei mir gar keinen Besuch. Selten. Aber der Abend ist absolut spitze! Die Welt ruht, niemand telefoniert, niemand schreibt eine E-Mail. Ich bin alleine mit meinen Helden. Dann wecke ich sie auf und sage: Hallo, ich bin schon da, kommt, wir machen weiter."
Gespräch mit Rafik Schami:
Der Schriftsteller Rafik Schami lebt in der Pfalz. Er wurde 1946 in Syrien geboren und floh 1970 nach Deutschland. Seinen gut dotierten Job als promovierter Chemiker gab er auf, um sich ganz der Literatur widmen zu können.
Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zu Hause?
"Ja, ich fühle mich hier zuhause, ich bin in der deutschen Sprache zuhause. Ich bin hier verheiratet, habe hier eine kleine Familie, ich habe hier ein Haus. Und damit sind die Bestandteile einer Heimat gegeben. Und ich bin hier respektiert, bin hier als Autor anerkannt. Ohne Anerkennung gibt es keine Heimat. So, das alles ist stimmig. Aber ich fühle mich mit Damaskus verbunden - nicht mit dem abstrakten Syrien. Und deshalb bin ich ein spezieller Deutscher, ein syrisch Deutscher. Das heißt: Jemand der hier die Heimat gefunden hat, aber mit einem Hang zur Sehnsucht nach einer einzigen Stadt der Welt."
Wie lange hat es gedauert anzukommen?
"Das dauerte schon lange. Ich war mir selber nicht sicher, dass ich hier bleiben würde. Deshalb dauerte es aus meiner Verschuldung auch lange, weil ich nicht entschlossen war, in Deutschland zu bleiben. Ich wollte gerne in ein Entwicklungsland gehen und mein Wissen in den Naturwissenschaften, der Chemie, als Lehrer einsetzen und parallel als Schriftsteller arbeiten. Es hat gedauert bis die Anerkennung kam, bis ich dadurch überzeugt wurde, dass ich hier bleiben will. Ich würde schätzen, so circa zehn Jahre bis ich gesagt habe: Nein, das ist meine Heimat."
Hat die neue Heimat Sie verändert?
"Sehr! Das ist eine wunderbare Frage. Ich habe hier gelernt, dass man ohne Angst leben kann. Das kannte ich nicht. Ich war ja in Syrien im Untergrund tätig und ich lebte immer mit der Angst, dass ich morgen verhaftet werden kann - oder im Bett. Die kommen ja immer im Morgengrauen. Die kommen immer sehr früh bei der Verhaftung, die kommen nicht am Tag. Und ich wusste nie, ob ich im Bett aufwache. In Deutschland musste ich lernen, dass wir hier frei sind - trotz NSA. Wir sind hier frei. Das hat mich sehr verändert, das hat mich mutiger gemacht. Hier lernte ich, das Leben zu genießen, ohne zu viele Gewissensbisse. Hier lernte ich frei zu leben, mich frei zu äußern. Natürlich werde ich manchmal abgelehnt. Klar! Aber Zensur in dem Sinne habe ich nicht, habe ich wirklich nicht, in keinem einzigen Buch. Das hat mich geprägt und verändert, dass ich wirklich begriffen habe, dass die Freiheit eine Voraussetzung für eine gute Schriftstellerei ist."
Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist der?
"Ich bin ein Nomade. Durch meine Steuerberaterin habe ich herausgefunden, dass ich die letzten 30 Jahre hier in Deutschland schon 2320 Lesungen gemacht habe. Ich kennen Deutschland besser als meine deutsche Frau. Von daher ist es schwierig für mich, einen Lieblingsort zu nennen. Ich liebe Hafenstädte wie Hamburg und Bremen. Ich liebe Heidelberg, das in mir große Erinnerungen hervorruft. Ich liebe München, weil meine Frau Münchnerin ist - und ich finde München ist schon halb italienisch. Ich bin ein Fan von Italien. Ich liebe die Pfalz, wo ich jetzt wohne, das ist eine liebliche Landschaft mit Weinbergen. Das sind meine Orte. Deshalb ist es schwierig für mich genau einen Ort zu nennen. Aber ich nenne ihnen einen Ort: Damaskus. Ganz geradeheraus! Weil die Stempel der Erinnerungen aus der Kindheit sehr davon geprägt sind."
Wollen Sie hier alt werden?
"Ja. Vielleicht halbiere ich die Zeit zwischen Deutschland und Italien. Aber ich glaube nicht, dass ich zurückkehre. Ich glaube, wenn es eine friedliche Übergangsregierung gibt, könnte ich helfen. Ich könnte helfen durch meine Beziehungen in Europa, dass der kulturelle Aufbau in Syrien demokratisch unterstützt wird. Also richtige Literatur, richtige Zeitschriften. Ich würde zu Besuch hinfahren, aber nicht dort leben. Denn ich bin schon 44 Jahre am Stück hier. Das geht nicht."