Neues Zuhause. Geschichten vom Ankommen

"Meine Heimat ist die Bühne"

Die bosnische Musikerin Tiana Kruskic
Die bosnische Musikerin Tiana Kruskic © Deutschlandradio / Agnes Bührig
Von Agnes Bührig |
Vor 23 Jahren floh Tiana Kruskic vor dem Krieg in ihrer Heimat Bosnien. Inzwischen lebt die 31-Jährige in Niedersachen und macht Musik. Als Teilnehmerin der Castingshow "The Voice of Germany" wurde die Soulsängerin 2013 einem größeren Publikum bekannt.
Soundcheck auf der Bühne des Celler Schlosstheaters. Tiana Kruskitc, gewandet in ein kurzes schwarzes Glitzerkleid, ein Stirnband über der blonden Perücke, hat das Musikerpodest erklommen und konzentriert sich auf ihren Auftritt: "Der große Gatsby" von F. Scott Fitzgerald. Das Spiel der Neureichen um Sein und Schein in den 20er-Jahren begleitet die 31-Jährige mit ihrer warmen Soulstimme. Der Moment kurz vor dem Beginn ist immer ganz besonders für sie.
"Die größte Freude empfinde ich auf der Bühne, wenn der Soundcheck beginnt und dann die Base drum anfängt, bumm, bumm, bumm. Erst komplett unverstärkt, ohne Mikrofon, und wenn auf einmal der Tontechniker das Mikrofon anmacht und auf einmal durch deinen ganzen Körper rauscht dieser Bass und dann weiß ich: Jetzt geht's gleich los. Da freue ich mich jedes Mal wie ein Kind."
Gerade einmal acht Jahre war Tiana Kruskic alt, als sie 1992 mit ihrer Familie vor dem Krieg in Bosnien floh. In Braunschweig lebten bereits ihre Großeltern. Mit ihren Eltern landete sie in einem Viertel mit vielen Migranten.
"Dadurch, dass wir eben die ersten Kontakte mit ganz viel anderen, nur nicht Deutschen hatten, ist mir das vorgekommen wie ein Land, wo alle einen Platz finden und sich alle auf einer Sprache unterhalten und das irgendwie ganz gut funktioniert."
Zehnjähriger Kampf um die Staatsangehörigkeit
Doch der Start war hart: Die Eltern, ein Richter und eine Professorin, mussten in der Spielhalle ihr Geld verdienen. Um die deutsche Staatsangehörigkeit kämpfte Tiana Kruskic zehn Jahre. Ein Gefühl von Unsicherheit prägte ihre Jugend. Halt gab ihr da die Musik: Zunächst im Kirchenchor, dann in der Schulband.
"Die Musik hat mir Heimat gegeben. Die Band, das sind immer deine besten Freunde, die erste Liebe, die da entsteht, die ersten Geheimnisse, die man da miteinander hat, als Band auch, zusammen. als eine Einheit. Man ist nie allein, das ist immer ganz schön. Erst mal der Chor, wo man nicht allein war, dann die Band, in der man nie allein war. Und so hat sich das multipliziert. Ich hatte wirklich Glück, durch die Musik meine Heimat zu finden."

Die Musikerin Tiana Kruskic
Die Musikerin Tiana Kruskic© Deutschlandradio / Agnes Bührig
Angekommen ist sie in Gifhorn. Kultbahnhof steht in fetzigen Lettern an dem roten Backsteinbau neben den Gleisen. Unten probt die Rentnerband, oben bewohnt sie mit ihrem Partner Billy Ray Schlag eine Zweizimmerwohnung. Neben einem romantischen weißen Schminktischchen mit Flügelspiegel stehen Keyboard und Produktionsrechner. Gemeinsam covern sie Soulmusik. Daneben feilen sie an eigenen Songs.
"Jetzt ist alles vergessen, verlor´n und verkauft, alles verbrannt, verformt und geklaut, ich bin verbannt, ohne Zukunft in Aussicht, alles gelogen, ich sitz auf Behauptungen."
"Raus" heißt dieses Lied. Musik ist auch Therapie, sagt Tiana Kruskic. In ihren Texten tauchen ihre Erfahrungen mit Flucht und Nicht-Gewollt-Sein in den ersten Jahren in Deutschland wieder auf. Aber auch Begegnungen mit Flüchtlingen von heute. Sie dolmetscht für die Neuankömmlinge aus ihrer alten Heimat und trommelt regelmäßig mit deren Kindern. Gefühl und Schmerz, die sie dort mitbekommt, das sind auch Themen der bosnischen Volksmusik, die für Tiana Kruskic eine groβe Rolle spielen.
"In unserer Kultur gibt es den Sevdah. Das ist der bosnische Blues und zwar geht es da sehr oft um gescheiterte Lieben und meist enden die im Tod. Wir haben ganz viel Sehnsucht in unserer Musik, ganz viel Schmerz, ganz viel Trauer, in der wir uns natürlich auch suhlen, die uns natürlich irgendwie auch gut tut in dem Moment. Lass es raus und dann geht es dir danach auch besser."
Ihre Heimat bleibt Bosnien
Tiana Kruskic ist fest verwurzelt in Deutschland und fühlt sich hier zu Hause. Ihre Heimat sei aber immer noch Bosnien, sagt die 31-Jährige und schmunzelt darüber, dass sie in einem Bahnhof gelandet ist: "Vielleicht, damit ich immer schnell weg kann". Dass mittlerweile auch Deutschland ihre Heimat ist, sagt sie aber auch.
"Erst als ich nach Göttingen zum Studieren ging, kam ich in meiner Stadt Braunschweig an. Also ganz witzig, dass da erst so ein Heimatgefühl entwickelt wurde. Heimat war, nach Hause zu kommen, zu meinen Eltern nach Braunschweig, Wäsche zu waschen, das Essen meiner Mutter, meine Freunde."
Tiana Kruskic, 31 Jahre, Musikerin aus Bosnien, seit 23 Jahren in Deutschland
Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zu Hause?
Ich kann dieses Wort Zuhause einfach nicht mehr für einen geographischen Ort fest machen. Zuhause ist und bleibt die Musik, ist die Familie und alles andere ist so wandelbar und es kann von heute auf morgen so schnell zu Ende sein. Und deswegen lasse ich mich darauf nicht mehr ein, weil ich wurde einmal so enttäuscht und ich sehe die Enttäuschung in den Augen meiner Eltern immer noch.
Wie lange hat es gedauert anzukommen?
Wir hatten ja zehn Jahre damit zu kämpfen, überhaupt hierbleiben zu dürfen. Unser Aufenthalt wurde alle zwei, drei oder sechs Monate immer nur verlängert, d.h. von Ankommen war nie die Rede. Man hat zwar Freunde kennen gelernt, aber man hat sich immer eingeredet, nein, die darf man jetzt nicht anfangen zu lieben oder gern zu haben, weil man sich eh wieder trennen muss - man hat diese Erfahrung einmal schon durch gehabt. Und das habe ich seit meinem achten Lebensjahr eben. Und erst als ich nach Göttingen zum Studieren ging, kam ich in meiner Stadt Braunschweig an. Also ganz witzig, dass es da erst so ein Heimatgefühl - wenn es so etwas überhaupt gibt, auf eine Stadt bezogen gibt in meinem Fall - entwickelt wurde.
Hat die neue Heimat Sie verändert?
Was heißt die neue Heimat? In der Musik finde ich immer noch meine Heimat und über geografische Heimaten mag ich gar nicht nachdenken, weil mich das immer deprimiert, es macht mich immer traurig. Sowohl dieses zehn Jahre Nicht-gewollt- werden und auch dieses Nicht-zurück-können, denn es war nicht unser Krieg. Denn es ist ganz oft nicht der Krieg der Bürger. Wenn man nichts damit zu tun haben möchte, dann flieht man, dann kommt man woanders hin und prinzipiell ist es erst mal egal, wo man hinkommt.
Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist der?
Einen Lieblingsort? Der Ort ist immer auf der Bühne. Da fühl ich mich zu Hause, da kann ich sein, da kann ich atmen. Da kann ich mich ausdrücken, da spricht die Musik durch mich und ich spreche für die Musik, und das ist absolutes Heimatgefühl. Und das habe ich überall. Ich trete ja auch in Kroatien auf, in Italien waren wir schon, in Frankreich und eben auch überall in Deutschland und die Bühne ist das zu Hause. Das ist immer wieder wie nach Hause zu kommen, egal, wo man hinkommt. Und das Konzert ist das Zuhause.
Wollen Sie hier alt werden?
Ich glaube, es ist egal, wo man alt wird. Wenn man glücklich ist, wenn man ein schönes Leben gehabt hat - dafür muss man natürlich selbst sorgen, wie böse einem das Schicksal auch spielt, wenn man das Beste daraus macht und immer weiter kämpft und nie aufgibt, dann ist man am Ende glücklich und es ist egal, wo man am Ende alt wird.