"Ich liebe die Elbe!"
Er spricht Plattdeutsch, moderiert im NDR-Radio und liebt Hamburg und die Nordsee: Yared Dibaba stammt aus Äthiopien und kam als Kind nach Deutschland. Trotz seiner Verbundenheit zu seiner alten Heimat fühlt er sich in Norddeutschland verwurzelt.
Eine halbe Stunde ist noch Zeit bis zur Sendung. Yared Dibaba steht neben seiner Kollegin von "Mein Nachmittag" im NDR-Studio in Hamburg-Lokstedt. Zusammen mit der Regie, den Kameraleuten, mit Maske und Requisite gehen die beiden noch einmal den Ablauf der Sendung durch.
Yared Dibaba wirft noch einen Blick auf die vorbereiteten Karteikarten, auf die Informationen über die Studiogäste. Dann hat er kurz Zeit:
"Wir haben hier so ein bisschen so eine Wohnzimmer- oder Zuhause-Atmosphäre. Da ist die Küche, da ist das Wohnzimmer, hinten ist die Diele, die Bastelecke, da haben wir auch einen Tisch stehen und da spielt sich auch alles ab. Es sind vor allem norddeutsche Themen. Und es ist wirklich total interessant! Man lernt sehr viel über die Region, über die Menschen aus der Region und manchmal sind auch lustige Sachen dabei und komische Sachen. Macht richtig Bock!"
Um Punkt 16 Uhr beginnt die Sendung. Zu Gast ist ein 91 Jahre alter Fallschirmspringer. Ein anderer Studiogast erklärt, wie man Rosen-Marmelade kocht.
Yared Dibaba moderiert die Sendung seit sechs Jahren. Er war bei der NDR-Talkshow im Einsatz, spielt kleine Rollen im Fernsehen, spricht fließend Plattdeutsch. Nach der Sendung sitzt er in seinem Büro, bereitet sich auf den nächsten Tag, die nächste Sendung vor. - Mit vier Jahren, 1973, kam Yared Dibaba zum ersten Mal nach Deutschland. Sein Vater studierte Erziehungswissenschaften in Osnabrück. Drei Jahre später kehrte die Familie nach Hause, nach Äthiopien zurück.
"Wir hatten riesengroßes Glück"
"Als wir in Äthiopien waren, 1979, herrschte dort Bürgerkrieg. Das war eine kommunistische Militärdiktatur. Mein Vater hat für die Kirche gearbeitet. Wir gehören zum Volk der Oromo - also, das gab ganz viele Gründe, warum es für uns so gefährlich wurde. Kollegen von meinem Vater wurden entführt, inhaftiert und auch umgebracht. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis wir dann auch an der Reihe gewesen wären. Dann sind wir nach Kenia und sind dann im Landkreis Oldenburg in Niedersachsen gelandet, in Falkenburg, einem kleinen Dörfchen. Und ich kann nur sagen, dass wir wirklich riesen-, riesen-, riesengroßes Glück gehabt haben, dass sich die Dinge so gefügt haben, wie sie sich gefügt haben. Dass wir zusammen als Familie rauskamen. Dass mein Vater gleich einen Job hatte. Wir hatten eine Amtswohnung, wir konnten schon Deutsch, weil wir schon mal in Deutschland waren. Es waren die besten Bedingungen, die man so haben kann für einen neuen Start in einem neuen Land."
Aber ganz so reibungslos lief es für den jungen Yared Dibaba auch in der neuen Heimat:
"Was mich natürlich immer genervt hat, ist, dass wir aufgefallen sind. Es gab weit und breit keine Schwarzen und wir fielen immer auf. Es gab natürlich immer auch den ein oder anderen, der mich beleidigt hat, mich auch körperlich angegangen ist. Es gab schon auch rassistische Übergriffe. Wir hatten natürlich auch Schwierigkeiten in der Schule: Wenn man als Neun- und Zehnjähriger einen Bürgerkrieg im Paket mitschleppt, ist man schon gewissermaßen traumatisiert, hat am Anfang natürlich schon Probleme, sich in der Schule so ein bisschen einzufinden, sich einzuordnen. Und das machte den Start für uns mit Sicherheit nicht leichter."
Heute lebt Yared Dibaba mit seiner Frau und seinen Kindern in Hamburg-Altona. Er liebt die Küste und das Meer. Und hat gleich zwei Heimaten: Äthiopien und Deutschland, besser gesagt: Norddeutschland.
"Ich bin jetzt mittlerweile 36 Jahre hier. Und bin schon sehr verwurzelt hier, vor allem im Norden. Ich glaube, das ist nochmal ein Unterschied: Deutschland kann man auf jeden Fall sagen - aber besonders im Norden, weil das natürlich hier meine Heimat ist."
Aber auch nach 36 Jahren in Deutschland zieht es Yared Dibaba immer wieder auch nach Afrika, nach Äthiopien in die Heimat seiner Kindheit.
"Meine Kinder sind hier in Hamburg auf die Welt gekommen, ich habe im Norden geheiratet. Ich habe viele Freunde hier, Familie ist hier. Aber irgendwie aus dem Kopf kriege ich natürlich nicht, dass ich denke, wenn ich alt bin, vielleicht doch zurückzugehen. Weil das Wetter so schön ist, weil das Essen so lecker ist, weil die Menschen meine Muttersprache sprechen und die Menschen alle so aussehen wie ich."
Yared Dibaba, 46 Jahre, Moderator aus Äthiopien, seit 36 Jahren in Deutschland
Fühlen Sie sich inzwischen in Deutschland zu Hause?
"Ich bin jetzt mittlerweile 36 Jahre hier. Und bin schon sehr verwurzelt hier, vor allem im Norden. Ich glaube, das ist nochmal ein Unterschied: Deutschland kann man auf jeden Fall sagen – aber besonders im Norden, weil das natürlich hier meine Heimat ist."
Wie lange hat es gedauert anzukommen?
"Das kann ich ganz genau sagen: und zwar zehn, fünfzehn Jahre hat es fast gedauert. Als ich 1994, nach 15 Jahren wieder zurückgegangen bin für zwei Wochen, für die Ferien, nach Oromia, in meine Heimat. Als ich da nach dem Bürgerkrieg wieder zurück konnte, meine Großmutter sehen, da, wo meine Eltern gelebt haben, die Orte, wo wir gewohnt haben, da habe ich gesehen: das ist meine Heimat, immer noch. Aber ich auch danach gemerkt, dass ich zwei Heimaten habe, dass ich auch im Norden zuhause bin. Und konnte sozusagen die Sehnsucht stillen, die ich nach meiner ersten Heimat hatte, nach dem Ort, wo ich geboren wurde. Und da habe ich gemerkt: hier im Norden bin ich auch zuhause. Ich glaube, es ist ganz wichtig, zu wissen, wo man herkommt, um eine Identität zu haben, um verwurzelt zu sein. Und deswegen ist es wichtig, diese Heimat auch, die Tradition, diese Wurzeln zu pflegen. Wenn die weg sind, ist man entwurzelt und man fliegt von einer Ecke zur anderen."
Hat die neue Heimat Sie verändert?
"Auf jeden Fall! Ich bin mit Sicherheit jemand, der sehr norddeutsch geprägt ist. Wenn ich jetzt nach Bayern gehen würde oder nach Sachsen oder in ein anderes Bundesland merken die Menschen sofort, dass ich aus dem Norden bin. Ich kann das gar nicht so fest machen. Aber es ist so, dass ich schon sehr norddeutsch geprägt bin und vor allem, wenn ich zurückgehe oder wenn ich mal in anderen Ländern bin, merke ich auch, dass ich total deutsch bin. In vielerlei Hinsicht. Das, was vielleicht die Deutschen ausmacht – hier funktioniert ja alles sehr gut, hier laufen die Dinge gut, wenn man arbeitet, hat man bestimmte Formen, wie man arbeitet, miteinander arbeitet, strukturiert, man ist sehr organisiert – das nimmt man dann irgendwie mit."
Was ist Ihr Lieblingsort? Wo ist der?
"Ich kann allgemein sagen: Ich liebe die Natur. Ich liebe es, draußen zu sein. Und am Wasser bin ich gerne. Sei es an der Nordseeküste ... Und in Hamburg liebe ich die Elbe! Das muss ich einfach sagen: Auch da zieht es mich wieder zum Wasser hin. Ich gehe total gerne an der Elbe spazieren, ich gehe dort auch joggen. Mal zum Kaffeetrinken oder zum Kuchenessen irgendwo an die Elbe. Man sieht das Wasser vorbeirauschen, sieht die Schiffe vorbeifahren. Das hat irgendwie was ganz magisches. Wasser zieht mich ganz besonders an."
Wollen Sie hier alt werden?
"Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe eigentlich immer gedacht, wenn ich alt werde, gehe ich wieder zurück nach Oromia, in meine Heimat, wenn ich sterbe, möchte ich da beerdigt werden. Dass ich da beerdigt werden möchte, ist immer noch tief in meinem Kopf. Ich möchte gerne dort sterben. Das habe ich immer noch nicht aus meinem Kopf rausbekommen. Aber der Gedanke, dass ich jetzt hier im Norden älter werde, wird immer klarer."